Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

Musikergesundheit in der Praxis - Claudia Spahn


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im Brustraum stattfindet. Diese Form der Beschreibung und Wahrnehmung der äußerlich sichtbaren und innerlich spürbaren Vorgänge bei der Atmung ist vermutlich u. a. deswegen so verbreitet, da sich der Atemvorgang aus physiologischen Gründen der direkten Wahrnehmung und vollständigen willentlichen Steuerung entzieht. Wir verfügen – leider – weder über eine bewusste sensorische Information, in welcher Stellung bzw. Position sich die entscheidenden Atemmuskeln während des Atemvorgangs im Körper befinden, noch können wir diese Muskeln willentlich von einer Position in eine andere bewegen. Auch das Zwerchfell ist als der wichtigste Atemmuskel nicht willentlich steuerbar. Hierin unterscheidet er sich grundsätzlich von anderen Muskelgruppen wie beispielsweise jenen der Hand, deren feinmotorische Bewegungen, wie das millimetergenaue Aufsetzen der Finger auf dem Griffbrett beim Geigenspiel, vom Spieler willentlich gesteuert und beobachtet werden können. Allerdings können indirekt die Auswirkungen der Atembewegungen körperlich-sensorisch, optisch und akustisch wahrgenommen und beurteilt werden. Durch Aktivierung der steuerbaren Muskeln, wie beispielsweise der Bauchmuskeln, kann die eigentliche Atmungsmuskulatur im Rahmen der Atemstützfunktion in ihrer Funktion indirekt beeinflusst und kontrolliert werden.

      Da sich die Werte für Druck und Luftfluss je nach Instrument sehr stark unterscheiden, sind auch die Anforderungen an die Atmung beim Spiel der verschiedenen Blasinstrumente und beim Singen sehr unterschiedlich und lassen sich nicht verallgemeinernd darstellen. Die Betrachtungen müssen deswegen so instrumentenspezifisch wie möglich vorgenommen werden.

      Die folgenden Beschreibungen der körperlichen Vorgänge bei der Atmung bei unterschiedlichen Blasinstrumenten stützen sich auf die mehrjährigen Beobachtungen der Arbeitsgruppe des Freiburger Instituts für Musikermedizin.9

      Wie in Abb. I.63 dargestellt, konnten die Atmung (v. a. Bewegung des Zwerchfells) sowie die Bewegungen der Stimmlippen im Kehlkopf und die Veränderungen im Vokaltrakt (Zunge, Gaumensegel, Lippen) während des Spiels auf dem jeweiligen Blasinstrument sichtbar gemacht werden. Die Bewegungen des Zwerchfells sowie die Artikulationsbewegungen der Zunge und des Vokaltraktes wurden mit speziellen kernspintomografischen Techniken (sog. dynamischer Magnetresonanztomografie) filmisch dargestellt und die Bewegungen der Stimmlippen im Kehlkopf mit endoskopischen Verfahren aufgezeichnet.

      Hierdurch ist es möglich, die unterschiedlichen Spieltechniken der Artikulation und Atemführung bei Blasinstrumentalisten zu verfolgen.

      Im Folgenden werden aus der Fülle des Materials einige besonders auffällige Beobachtungen herausgegriffen. Die Vermittlung der Bewegungsabläufe ist in den Grenzen des Mediums Buch natürlich nur sehr eingeschränkt möglich. Der interessierte Leser sei deshalb nochmals auf die filmische Darstellung der dynamischen Vorgänge auf der DVD verwiesen.

      »Druck- und flusskontrollierte«-Instrumente

      Die Instrumente, die eine vergleichbar geringe Luftmenge benötigen sowie einen geringen Anblasdruck aufweisen, bezeichnet man als flusskontrollierte Systeme bzw. Ventilfunktionen (flow-controlled valve); hierzu können u. a. die Flöteninstrumente (Quer- und Blockflöten) gezählt werden (Tab. I.2, S. 52). Zu den Instrumenten, welche ebenfalls geringe Werte für den Luftfluss zeigen, die aber eine erheblich höhere Druckentwicklung am Mundstück aufweisen, gehören aus der Familie der Holzblasinstrumente die Oboe und das Englischhorn (und auch in abgeschwächter Form die Klarinette). Diese Instrumente bezeichnet man als druckkontrollierte Systeme bzw. Ventilfunktionen (pressure-controlled valve) (Fletscher und Rossing 1998); auch die Blechblasinstrumente (s. u.) gehören zu den druckkontrollierten Systemen.

      In der dynamischen Magnetresonanztomografie sieht man beim Spielen von ausgehaltenen Tönen bei den Flöten und der Klarinette gleichförmige und langsame Bewegungen des Zwerchfells – ähnlich wie bei den Sängern. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim vibratolosen Spiel der Flötisten mittlere, den Atemspalt etwa auf die Hälfte verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten.

      Abb. I.63: Schematische Darstellung der drei Ebenen des Blasvorgangs mit den dazugehörigen Möglichkeiten der Visualisierung

      Beim Klarinettenspiel fällt in den endoskopischen Aufnahmen die Engstellung der Stimmlippen etwas ausgeprägter aus und beträgt für die verbleibende Öffnung der Glottisfläche etwa ein Drittel. Diese Mitbewegungen zeigen keine wesentliche Abhängigkeit von der Tonhöhe. Die Stimmlippen bewegen sich dagegen bei Ausformung des Vibratos deutlich mit. Der Atemstrom wird dabei nicht durch einen kompletten Schluss der Stimmlippen unterbrochen, sondern durch eine rhythmische – zur Vibratofrequenz synchrone – Annäherung der Stellknorpel modifiziert (vgl. Abb. I.57, S. 47).

      Insbesondere bei der Oboe besteht die Besonderheit, dass der Luftverbrauch beim Spielen in der Regel so gering ist, dass am Ende einer musikalischen Phrase noch ein prozentualer Rest der Vitalkapazität als überschüssige Luft in der Lunge verbleibt. Diese muss vor einer erneuten Einatmung zunächst abgeatmet werden. Wegen dieses spezifischen Charakteristikums spricht man auch von »Oboistenatmung«. Diese ist in den kernspintomografischen Filmen an den Zwerchfellbewegungen eindrucksvoll abzulesen: Nach einer Erschlaffung des Zwerchfells während der Ausatembewegung kommt es vor der erneuten Einatmung zunächst zu einer weiteren Verkleinerung des Brustraumvolumens – also einer Aus- oder Abatmung von überschüssiger Luft –, bevor sich das Zwerchfell durch Kontraktion wieder nach unten senkt und Luft in die Lungen strömt. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim vibratolosen Spiel bei der Oboe deutlich verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten, die den Atemspalt etwa auf ein Viertel der verbleibenden Öffnung reduzieren. Diese Mitbewegungen zeigen keine wesentliche Abhängigkeit von der Tonhöhe. Die Stimmlippen bewegen sich bei Ausformung des Vibratos – ähnlich wie beim Spiel der Flöten und der Klarinette – sehr stark, wobei der Atemstrom ebenfalls durch eine rhythmische Annäherung der Stellknorpel, synchron zur Frequenz des Vibratos, modifiziert wird.

      Blechbläser

      Bei den Blechblasinstrumenten sind die Luftmenge und der Anblasdruck stark abhängig von der Größe und Bauweise des Instruments: Je größer und länger das Rohrsystem ist, desto größer sind die Werte für den Luftfluss. Bei den Tubisten sind die Anblasdrucke ebenfalls geringer als bei den übrigen Blechblasinstrumentalisten. Beim Spiel von Waldhorn und Trompete liegen die Werte für den Luftverbrauch in einem ähnlichen Bereich wie bei Querflöte und Klarinette. Beobachtungen in der dynamischen Magnetresonanztomografie und in endoskopischen Aufnahmen liegen für die Trompete und das Waldhorn vor. In den Aufnahmen der Magnetresonanztomografie ist deutlich zu sehen, dass – insbesondere bei hohen Tönen – neben der Bewegung des Zwerchfells auch die Bauchwandmuskulatur aktiviert wird, um die erforderlichen hohen Anblasdrucke zu erzeugen. In den endoskopischen Aufnahmen des Kehlkopfs sind beim Trompetenspiel ausgeprägte, den Atemspalt fast vollständig verengende Mitbewegungen der Stimmlippen zu beobachten, obschon es hierbei nicht zu einem vollständigen Stimmlippenschluss kommt.

      Zirkularatmung

      Eine Sonderform der Bläseratmung stellt die Zirkular- bzw. Permanentatmung dar. Sie kann besonders gut mit Instrumenten, die einen geringen Luftverbrauch erfordern – wie beispielsweise Oboe und Klarinette –, ausgeführt werden. Das Ziel der Zirkularatmung ist es, »unendlich« lange musikalische Phrasen ohne Unterbrechung durch Einatmungsvorgänge spielen zu können. Das Prinzip der Zirkularatmung besteht darin, einen ununterbrochenen Ausatemstrom zu erzeugen. Dies gelingt dadurch, dass das Gaumensegel und der Zungenrücken abwechselnd dazu genutzt werden, den Rachenraum zu öffnen und zu schließen. Bei der normalen Atmung erfolgen Öffnung und Schluss des Nasenrachenraums nur durch das Gaumensegel: Wird durch die Nase eingeatmet, ist es offen, wird durch den Mund ausgeatmet – wie es zur Erzeugung des Anblasdrucks bei Blasinstrumenten erforderlich ist –, ist es geschlossen. Bei der Zirkularatmung werden diese Bewegungen des Gaumensegels durch zwei Vorgänge ergänzt: Zum einen wird in den Backen bei der Ausatmung ein Luftreservoir angelegt (die Backen werden dabei äußerlich sichtbar aufgebläht), zum anderen wird der Zungenrücken an den Übergang von hartem


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