Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

Musikergesundheit in der Praxis - Claudia Spahn


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von Luft- und Speisewegen. Der Kehlkopf hat einerseits die Aufgabe, bei der Einatmung genügend Luft in die Lungen zu lassen. Hierfür müssen im Inneren des Kehlkopfs bewegliche Elemente vorhanden sein, die sich öffnen können. Anderseits soll er die unteren Atemwege vor dem Eindringen von Flüssigkeit und Fremdkörpern schützen. Dafür benötigt er Elemente, welche die Öffnung verschließen können. Die hauptsächlichen »Öffner« und »Schließer« sind die Stimmlippen. Abb. I.57 zeigt einen Blick von oben in den Kehlkopf hinein: Die Stimmlippen sind zur Einatmung weit geöffnet. Der Raum zwischen den Stimmlippen – der von den Stimmlippen und der hinteren Kehlkopfinnenwand begrenzt wird – wird Glottis genannt. Der Begriff Glottis leitet sich vom altgriechischen Begriff glottís ab, der das Mundstück einer Flöte bezeichnet. Die Ebene der Stimmlippen wird auch als Glottisebene bezeichnet. Die Glottis kann zum Schutz vor dem Eindringen von Speise in die Luftröhre, aber auch zum Aufbau der Bauchpresse verschlossen werden. Der Schluss der Stimmlippen kann vollständig oder auch nur teilweise erfolgen. Als »Nebenprodukt« dieses Verschlussmechanismus kann beim Singen der primäre Kehlkopfklang erzeugt werden. Der Vorgang der Stimmerzeugung ist komplex und bedarf einer ausführlichen eigenen Darstellung.6

      Abb. I.56: Kehlkopf mit Luftröhre

      Abb. I.57: Blick von oben in den Kehlkopf

      Teilweise Verschlüsse der Stimmlippen können auch regelhaft bei Bläsern während des Spielens beobachtet werden. Eine Beschreibung der bei den verschiedenen Blasinstrumenten im Kehlkopf ablaufenden Vorgänge findet sich in Kap. I.1.3, S. 49 ff.

      Vokaltrakt

      Als Vokaltrakt werden die Resonanzräume oberhalb der Glottisebene bezeichnet. Die Bezeichnung rührt daher, dass in diesen Räumen bei der Sprachproduktion akustisch die unterschiedlichen Vokale gebildet werden. Anatomisch ist der Vokaltrakt begrenzt durch die Rachenwände, das Gaumensegel, die Zunge und nach vorn hin durch die Zähne und Lippen. Die Zunge ist ein erstaunlich großes Gebilde, welches den Mundraum in seiner Ruhestellung nahezu vollständig ausfüllt (Abb. I.58a und b). Die Zunge und das Gaumensegel sind mit sehr beweglichen Muskeln ausgestattet, die vielfältige und große Bewegungen im Vokaltrakt ermöglichen. Dies ist für die Klangbildung und -formung beim Blasinstrumentenspiel und Singen wichtig. Da diese klanggestaltenden Vorgänge sehr dynamisch ablaufen, kann man sie am besten mit »bewegten« Bildern, also in Filmen, darstellen und verstehen. Solche Filme wurden von der Arbeitsgruppe des Freiburger Instituts für Musikermedizin erstellt und 2013 auf der DVD DAS BLASINSTRUMENTENSPIEL: PHYSIOLOGISCHE VORGÄNGE UND EINBLICKE INS KÖRPERINNERE im Helbling Verlag veröffentlicht; sie werden im Kap. I.1.3, S. 53 ff., näher beschrieben.

      Abb. I.58a und b: Zunge und Resonanzräume des Vokaltrakts: a) anatomische Zeichnung, b) Darstellung in der Kernspintomografie

      Bläser – Ansatzmuskulatur, Kiefer und Halswirbelsäule

      Für Bläser findet die Tonbildung am Übergang vom Vokaltrakt zum Instrument statt. Bei Holz- und Blechbläsern unterscheiden sich die physiologischen Vorgänge, welche zur Tonbildung führen. Gemeinsam ist jedoch allen Bläsern, dass zwischen Instrument und Spieler ein »Ansatz« gebildet werden muss. Dieser ist wesentlich von der mimischen Muskulatur – besonders den Lippen – und der Muskulatur des Vokaltrakts abhängig. Die komplex aufgebaute mimische Muskulatur zeigt Abb. I.59. Die physiologischen Vorgänge in der oberflächlich unter der Haut gelegenen mimischen Muskulatur lassen sich mit Oberflächenelektroden elektrophysiologisch untersuchen. Diese Art der Muskelfunktionsprüfung kann auch bei einer gestörten Funktion zu Trainingszwecken verwendet werden.7

      Abb. I.59: Mimische Muskulatur – Grundlage für die Ansatzbildung bei Bläsern

      Abb. I.60: Verbindungen zwischen Unterkiefer, Kopfstellung und Halswirbelsäule

      Auch die Stellung und Funktion des Unterkiefers und der Halswirbelsäule sind für den Ansatz von Wichtigkeit. Die Kiefergelenke bilden mit der Halswirbelsäule, dem Schädel und dem Schultergürtel eine Funktionseinheit. Im Gegensatz zum Oberkiefer ist der Unterkiefer kein Teil des Schädels, sondern frei beweglich und über Muskulatur mit dem Zungenbein – und damit auch mit der Zunge und dem Vokaltrakt – verbunden. Hierdurch wird der Unterkiefer bei möglichen Fehlhaltungen des Kopfes und der Halswirbelsäule direkt in Mitleidenschaft gezogen. Abb. I.60 illustriert, wie die Muskulatur unterhalb des Zungenbeins den Unterkiefer zurückhält, wenn der Kopf nach vorn bewegt wird. Dies führt zu einer erhöhten Kompression in den Kiefergelenken, welche wiederum Schmerzen und eine Beeinträchtigung des Spielgefühls nach sich ziehen kann (vgl. S. 37). Gerade Bläser sind jedoch auf ein freies und bewegliches Kiefergelenk für die Tonbildung angewiesen. Die Nähe der Kiefermuskulatur und die enge Verbindung der Halswirbelsäulenmuskulatur zum Ohr und seiner Blutversorgung können mögliche Erklärungen dafür liefern, warum bei einer starken Funktionsstörung des Kiefergelenks oder der Halswirbelsäule Ohrgeräusche auftreten können.

      Die Atmung ist die Grundlage allen Lebens. Beim Menschen dient sie dazu, den lebenswichtigen Gasaustausch in der Lunge zu gewährleisten. Hierbei wird vornehmlich »frischer« Sauerstoff aufgenommen und Kohlendioxid als »Abfallprodukt« abgegeben. Die Steuerung der Atmung ist im entwicklungsgeschichtlich ältesten Bereich des Gehirns, dem sog. Stammhirn, gelegen. Von diesem Teil des Gehirns, der nur etwa daumengroß ist, werden auch andere lebenswichtige Funktionen wie der Kreislauf und der Schlaf gesteuert. Die Atmung hat eine direkte Verbindung zu seelischen Prozessen. Dies findet etymologisch seinen Ausdruck darin, dass im Altgriechischen der Begriff psyché ursprünglich »Atem« und »Leben« bedeutete.

      Der oben angesprochene Gasaustausch findet im Hauptatmungsorgan, der Lunge, statt, die sich im Brustkorb befindet (Abb. I.61).8

      Der wichtigste Atemmuskel, der die Füllung und Leerung der Lunge mit Luft im Wesentlichen bewerkstelligt, ist das Zwerchfell (Abb. I.55). Die Einatmung ist ein aktiver Vorgang, bei dem durch Kontraktion der Einatemmuskulatur das Volumen des Brustraums erweitert wird und Luft durch Sog in die Lunge einströmt (Abb. I.62b). Die Ausatmung ist bei der sog. Ruheatmung, d. h. der Atmung ohne körperliche Anstrengung, ein passiver Vorgang. Während der Ausatmung erschlafft das Zwerchfell und die Schwerkraft sowie die Rückstellkräfte des Brustkorbs und der Lunge verkleinern den Brustraum (Abb. I.62a). Die Ausatmung kann jedoch auch als aktiver Vorgang ausgeführt werden, beispielsweise bei körperlicher Anstrengung, bei forcierter Atmung aus psychischen Gründen oder auch beim Spielen eines Blasinstruments und beim Singen. Bei der aktiven Form der Ausatmung ziehen sich Muskelgruppen zusammen, die das Volumen des Brustraums verkleinern können. Dies sind vor allem die inneren Zwischenrippenmuskeln und die Bauch- und Rumpfmuskeln.

      Abb. I.61: Lunge, Bronchien und Luftröhre

      Die maximale, in der Lunge befindliche Luftmenge bezeichnet man als Totalkapazität. Sie beträgt bei einem erwachsenen Mann ca. sieben Liter. Die Luftmenge, die an der Ein- und Ausatmung beteiligt ist, bezeichnet man als Vitalkapazität. Unter Residualkapazität versteht man die Luftmenge, die auch nach maximaler Ausatmung immer in der Lunge als Rest verbleibt. Von der maximalen Einatmung bis zur maximalen Ausatmung werden


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