Der Countertenor Jochen Kowalski. Jochen Kowalski

Der Countertenor Jochen Kowalski - Jochen Kowalski


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Auftritte.

      Haben Sie von Ihrer Mutter die Musikalität geerbt?

      Ja, das denke ich. Sie hatte eine unglaublich schöne Stimme, so klar und jubelnd. Wenn sie in der Kirche anfing zu singen, dann hat sie alle übertönt – als Kind war mir das manchmal so peinlich, dass ich mich zwischen den Kirchenbänken verkroch … Dabei sang sie überhaupt nicht schrill oder ätzend, eher so wie Elisabeth Grümmer, mit Inbrunst und Innigkeit – vielleicht liebe ich diese Sopranistin auch deshalb so besonders.

      In der Kirche habe ich übrigens auch selbst zu singen begonnen und habe bei den Krippenspielen jahrelang den Josef gesungen, noch über den Stimmbruch hinaus, bis ich fünfzehn oder sechzehn war. Und als es gar nicht mehr ging, hab ich wenigstens noch die Weihnachtsgeschichte vorgelesen.

      Eine »Rampensau« waren Sie also damals schon?

      Wahrscheinlich, dabei ist es etwas paradox, denn eigentlich hat mir nie jemand zugehört. In geselligen Runden falle ich nicht besonders auf und bin eher still. Aber als ich da vorne im Altarraum stand, fand ich plötzlich eine Beachtung, die ich sonst nicht erhielt. Das ist übrigens bis heute so geblieben: Mir hört doch nur jemand wirklich zu, wenn ich neben einem Klavier oder vor einem Orchester stehe.

      Wie sah es bei Ihnen in der Familie aus: Wurde da Hausmusik gespielt?

      Es gab ein Klavier, das extra für meinen ältesten Bruder angeschafft worden war, und er hat auch hervorragend gespielt. Reinhard und ich sollten es dann dem Großen nachtun. Aber wie habe ich das gehasst! Zunächst musste ich Akkordeon lernen, musste immer nach Nauen zu einem Musikdirektor, jeden Montagnachmittag – ein echter Alptraum! Diese Etüden und der ganze Kram haben mich so zur Verzweiflung gebracht, dass ich schließlich die Stricknadeln meiner Mutter nahm und den Blasebalg durchlöcherte. Aber das Teil spielte immer weiter! Irgendwann haben auch meine Eltern gemerkt, dass sie sich das Geld für den Unterricht sparen konnten. Mein Verhältnis zum Akkordeon ist jedenfalls bis heute ziemlich belastet: Wenn Gerhard bei irgendwelchen Familienfeiern nur mit diesem Ding ankommt und es auspackt, werde ich schon aggressiv.

      Wie sind Sie dann zur Musik gekommen? Hatten Sie Radio und Plattenspieler?

      Wir hatten alles, Radio, Plattenspieler und auch ziemlich früh schon, seit Anfang der sechziger Jahre, einen Fernseher. Meine Eltern hatten ja Geld, es war alles da: Wir besaßen ein Auto, wir waren die ersten, die eine vollautomatische Waschmaschine bekamen …

      Kam man denn da so einfach ran als »normaler« DDR-Bürger?

      Ach, die Handwerker der DDR kannten doch alle ihre Tricks! Meine Eltern hatten Schinken, Wurst und Fleisch, und da wurde dann einfach ein bisschen umgeschichtet. Die privaten Geschäftsleute haben sich untereinander alle geholfen, das war das perfekteste Netzwerk, das man sich vorstellen kann. Wir waren einfach Jäger und Sammler. Jeden Samstag kamen die Freunde meiner Eltern zu Besuch: Der eine hatte ein Lebensmittelgeschäft, der nächste war Kfz-Mechaniker, und dann haben sie ihre Schätze ausgetauscht. Damit haben sie ganze Wochenenden zugebracht.

      Welche Fernseh- und Radioprogramme wurden bei Ihnen eigentlich gesehen und gehört? West oder Ost?

      Fast ausschließlich West. Viele der DDR-Fernsehfilme habe ich in den letzten Jahren, bei den Wiederholungen im MDR, zum ersten Mal überhaupt gesehen. Zum Beispiel WEIHNACHTSGANS AUGUSTE, der als großer DDR-Hit gehandelt wird – so einen Schwachsinn haben wir uns nie angeguckt, und ich muss sagen: Wir haben nichts verpasst. Der Ostsender wurde bei uns nur montagabends angeschaltet, weil da die alten UFA-Filme liefen. Und eine Musiksendung wurde angedreht, Die goldene Note, das DDR-Pendant zu Anneliese Rothenberger lädt ein. Und diese beiden waren dann auch meine absoluten Lieblingssendungen, später kam noch Theo Adam lädt ein dazu.

      Was hat Ihnen bei Anneliese Rothenberger so gut gefallen?

      Sie war immer so elegant! Dieses Ambiente! Ihre Kleider, und dann der Köter auf ihrem Schoß! Ich war einfach begeistert … Wir waren ja auch die ersten in Wachow, die einen Farbfernseher hatten, und dann sogar noch einen, mit dem man West-Sendungen sehen konnte. Der normale DDR-Farbfernseher sowjetischer Bauart war technisch nämlich so präpariert, dass darauf nur die beiden DDR-Programme eingespeist werden konnten; wir aber hatten einen Apparat, der sowohl PAL- als auch SECAM-fähig war, der kostete damals die Kleinigkeit von 4.000 Mark. Durch irgendwelche wunderbaren Beziehungen stand der eines Tages bei uns im Wohnzimmer, und so konnte ich Anneliese Rothenberger mit ihren prächtigen Abendroben und Kulissen sogar in Farbe sehen. Und dann, sehr viel später, stand sie eines Tages leibhaftig vor mir …

      Haben Sie ihr erzählt, was sie für Sie bedeutete?

      Ja, das hab ich, und ich besitze noch heute einen ganz wunderbaren Brief von ihr. Als ich sie kennenlernte, in München, da wirkten wir beide an einer Benefizgala im Nationaltheater mit. Ich war noch ganz jung, und sie hat mich wohl gleich gemocht. Wir haben uns dann lange unterhalten. Anneliese Rothenberger hatte kein leichtes Leben, sie kam aus einem schwierigen Elternhaus und hat sich alles hart erarbeiten müssen. Heute machen sich viele Leute über sie lustig, aber man darf nicht vergessen, welche Pionierleistungen sie vollbracht hat, gerade in der Vermarktung der Klassik – es war ja noch eine ganz andere Zeit. Ich habe die Stars, die sie präsentierte, allesamt geliebt: Hermann Prey, Josef Metternich und Rudolf Schock, der war der Allergrößte! Auch Rudolf Schock weiß heute keiner mehr richtig zu würdigen, er ist durch seine Heimatfilme aus den fünfziger Jahren etwas in Verruf geraten, und darüber vergisst man leicht, was das für ein Sänger war! Seine klassischen Aufnahmen sind hinreißend.

      Sind Sie damals, als Sie Die goldene Note und Anneliese Rothenberger gesehen haben, auf die Idee gekommen, selbst Sänger werden zu wollen?

      Ja, das war die Initialzündung. Ich war wie verrückt, vor allem nach Rudolf Schock, und habe bei seinen Platten immer mitgesungen. Und dann waren da noch meine ersten Theaterbesuche. Ich war zwölf oder dreizehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal ins Theater ging, in Brandenburg an der Havel. Und dort habe ich etwas später auch meine ersten Opernaufführungen gesehen, den FREISCHÜTZ und den RIGOLETTO, teilweise erinnere ich mich sogar noch an die genauen Besetzungen. Ich fand das damals natürlich schön, aber ich wusste schon instinktiv: Da will ich nie landen. Doch dann habe ich ausgerechnet dort zum allerersten Mal auf einer Opernbühne gestanden, als Student im Jahr 1982, mit dem Don Basilio aus Mozarts FIGARO: Es muss grauenhaft gewesen sein. Übrigens war das genau drei Wochen vor meinem Debüt als Countertenor in Halle.

      Wenn Sie da eigentlich nicht landen wollten: Hatten Sie denn Vergleichsmaßstäbe? Waren Sie als Jugendlicher auch schon an der Berliner Staatsoper gewesen?

      Ja, da bin ich immer heimlich hingefahren mit dem Motorrad. Auch in die Komische Oper, dort habe ich Walter Felsensteins sensationelle Aufführung von HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN gesehen, die ich nie vergessen werde: mit Melitta Muszely in den vier Frauenpartien, Hanns Nocker als Hoffmann und dem tschechischen Bassbariton Rudolf Asmus in der Rolle der Bösewichte. Als Asmus die SPIEGELARIE sang, da wusste ich ganz genau: Das ist es, was ich einmal machen will. Ich war von diesem Gedanken so besessen, dass ich sogar einen Brief an die Komische Oper schrieb und anfragte, ob ich bei ihnen eine Ausbildung zum Opernsänger machen könnte. Und wer, glauben Sie, hat mir darauf geantwortet? Es war Götz Friedrich, der damals dort als Oberspielleiter engagiert war. Er teilte mir mit, dass für die Ausbildung von Opernsängern die Musikhochschulen zuständig seien, und wünschte mir alles Gute für meinen weiteren Weg. Rückblickend muss ich sagen: Toll, dass die damals überhaupt auf meine Anfrage reagiert haben. Und dann meldet sich gleich Götz Friedrich in Person!

      Nur eine Woche später hatte ich mir Karten gekauft für LOHENGRIN an der Staatsoper, und dieses Erlebnis war so überwältigend, dass ich dachte: Ich werde ohnmächtig. Der Vorhang ging auf und öffnete sich für einen strahlend blauen Rundhorizont – wir befinden uns ja am Ufer der Schelde –, dazu dieser Klangrausch, und Lohengrin erschien in einem silbernen Kostüm auf einem silbernen Schwan. Und dann sang er, Kammersänger Martin Ritzmann: Das vergesse ich mein Lebtag nicht, ich wäre bereit gewesen zu sterben, wenn ich so hätte singen können. Ritzmann sang an diesem Haus übrigens alles, es war ja wirklich ein Ensembletheater, und er sang es fantastisch, auch wenn ihn im Westen kaum einer kannte.

      Wie


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