Reisen im Sudan. Alfred Edmund Brehm

Reisen im Sudan - Alfred Edmund Brehm


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zum ersten Mal Reitkamele bestiegen und machten, um sich in den hohen Sätteln im Gleichgewicht zu erhalten, wunderliche Anstrengungen.

      Die Entfernung unseres Ziels, des Lagerplatzes Amke oder Abke, beträgt, von Wadi-Halfa aus gerechnet, über zwei Meilen. Schon eine Viertelmeile oberhalb des letztgenannten Ortes sieht man keine menschlichen Wohnungen mehr. Man gelangt in das Gebiet des von Wüsten eingeschlossenen zweiten oder »großen Katarakts«. Das Auge erschaut nichts als Steine, Sand, Felsen, den Himmel und den durch Hunderte von Felseninseln zerspaltenen, schäumenden und donnernden, seine gestauten Fluten gewaltsam über die hemmenden Felsblöcke stürzenden Nil; nur hier und da reckt ein Mimosenbäumchen seine Zweiglein in die ruhige Luft; es hat am Ufer oder selbst mitten zwischen dem zerklüfteten Gestein doch noch Nahrung und somit die Möglichkeit zum Leben gefunden. Das Schauspiel ist entsetzlich schön. Es scheint, als läge hier die Natur noch in der chaotischen Verwirrung des Schöpfungsmorgens vor dem Auge des Beschauenden: so unendlich wild ist das vom Donner des Wasserfalls scheinbar erzitternde Panorama.

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       Scheik-Wohnung

      Mit einbrechender Nacht kamen wir in Abke an. Die Matrosen vieler hier in einer Bucht wie im Hafen liegenden Barken saßen bei einer Temperatur von +14° Reaumur am Feuer und wärmten sich. Auch unseren verwöhnten Körpern tat die Wärme des Feuers wohl. Die Nacht war wundervoll. Noch hallte das Tosen des Katarakts in unserer Nähe als Echo wider, aber es begleitete nur die nicht unmelodischen Klänge der nubischen Zither, welche, weil sich das junge Volk der Schiffer zum Tanz ordnete, vor uns von kundiger Hand geschlagen wurde. Im Strom konnte ein scharfes Auge den Mastenwald der unweit vereinigten Schiffe erkennen; er selbst glich einem stillen, nur melodisch an dem Felsenufer plätschernden See, darin die leuchtenden Sternlein wieder flimmerten. Würzige Mimosendüfte schwängerten die frische reine Luft. Im leichten Wind rauschten die Kronen der Palmen; sie rauschten sanfter und weicher – wir schliefen!

      In Abke lagen mehr als fünfzig jener kleinen Barken, welche man zur Fahrt in den Katarakten benutzt, und löschten ihre von Dongola el Urdi hierhergebrachte, fast nur aus Sennesblättern bestehende Ladung. Die Schiffchen sind aus einzelnen, verhältnismäßig kleinen Planken ohne Rippen zusammengenagelt, haben einen Mast mit rautenförmigem Segel, aber keine Kajüten, sondern nur einen höchst unbequemen Schiffsraum, welcher selten mehr als vierzig arabische Zentner an Ladung aufnimmt. Alle Abweichungen dieser Bauart von der anderer Nilschiffe sind durch die gefährliche Wegstrecke, innerhalb deren sie sich bewegen, geboten. Die Rippen fehlen, damit das Boot eine möglichst große Elastizität bekommt und bei dem häufig vorkommenden Auffahren und Aufstoßen an Felsenstücke nicht sogleich leck wird; die zwischen zwei Rahen (eine bewegliche und eine unbewegliche) eingeklemmten Segel sind rautenförmig, damit man die Kraft des Segels nach der verschiedenen Stärke des Windes regulieren kann; das Boot ist klein, kurz und niedrig, weil alles darauf ankommt, schnelle Wendungen machen zu können.

      Die Mission bedurfte acht dieser Schiffe zum Transport ihrer und unserer Effekten und stieß am 18. November zugleich mit einigen und zwanzig anderer Barken vom Ufer ab, um bei günstigem Wind ihre Reise fortzusetzen. Es war ein schöner Anblick, den Strom mit einem Mal von mehr als dreißig mit weit geöffneten, weißen Segeln fahrenden Schiffen bedeckt zu sehen. Unsere Boote zeichneten sich von den übrigen durch die an der Rahenspitze flatternden Pavillone aus. Die höchst malerisch auf einem zackigen kohlschwarzen Felskegel gelegene Lehmfestung von Abke verschwand den Blicken; wir betraten das Battn el Hadjar, »den Bauch der Steine«, d. i. das Steintal: die wüsteste Provinz Nubiens, den traurigsten Landstrich, welchen ich je gesehen habe. Hohe, kahle, schwarze und glänzende Felsenmassen steigen senkrecht aus dem Nil, welcher sich durch sie hindurch im Laufe der Jahrtausende sein Bett graben musste, empor, engen ihn ein und zersplittern, sich seinem tobenden Drängen kühn entgegenstellend, seine Kraft, stauen ihn hoch auf und zwängen ihn derart ein, dass er zur Zeit seines höchsten Wasserstandes um zweiundvierzig Fuß höher steht als im April. Sie brechen die Macht des Mächtigen. Er strebt, sie zu vernichten, umschäumt sie mit seinem ewig rauschenden Wogenschwall; sie stehen unerschütterlich. Alles Kulturland haben sie verdrängt, aber mit ihnen im ewigen Wechselkampf sucht der Strom sein göttliches Vorrecht, das segensreiche Korn zu nähren und zu stärken, auch hier geltend zu machen. Wo er ein stilles Plätzchen findet, senkt er seinen fruchtbaren Schlamm auf das nackte Gestein und führt diesem selbst den Samen zu. Mitten im Strom sieht man von Weidengebüsch überzogene, ursprünglich kahle Felseninseln. Die Weiden haben ihre Zweige tief eingesenkt in das zerklüftete Gestein und treiben zur Zeit des niedersten Wasserstandes Blätter, Zweige, neue Wurzeln. Sie gewähren den gefiederten Wanderern gastlich ein wirkliches Dach. Fröhliche Sänger durchschlüpfen die blüten- und insektenreichen Flecken; die ägyptische Gans brütet dort still auf ihren sechs bis zehn Eiern, der Pelikan ruht dort von seiner Fischjagd aus und putzt sich mit plumpem Schnabel das rosenrot überhauchte Gefieder, die schwanzwippende Felsenbachstelze (Motacilla capensis) wird hier geboren. Jetzt schwellt die gewitterreiche Regenzeit der Tropen den mächtigen Strom. Die Umstände ändern sich, die Felsen sind jetzt die Träger des Lebens, der Strom droht Vernichtung des grünenden Weidendickichts der Insel. Aber schlank und schmiegsam beugt sich die Gerte vor dem Zürnen des Gewaltigen. Sie senkt sich, zitternd vor dem heftigen Wellendrang, tief ein in die trüben Fluten, aber geschickt weicht sie und grünt und blüht bei fallendem Nil kräftiger und lebendiger als vorher.

      Das Steintal ist kaum fähig, kleine Vögel zu ernähren, und dennoch gibt es Menschen, welche es ihre Heimat nennen. In meilenweiten Abständen haben sie sich kleine Hütten erbaut, sie besitzen nur das, was sie der Milde des Stromes zu verdanken haben. Mit Lebensgefahr schwimmen sie zu einer von dem Gebirge her vielleicht unzugänglichen, stillen Felsenbucht und streuen hier Blumenkörner in den auf den Steinen haftenden Schlamm. Der Ertrag der Ernte ist ihr Reichtum; sie besitzen weiter nichts; sie sind so arm, dass ihnen selbst die ägyptische Regierung keine Steuern auferlegen konnte. Es gibt im Battn el Hadjar wohl auch einzelne Stellen, an denen mehrere Nubier vereinigt ihre Strohhäuser aufgeschlagen haben, ein kleines Stückchen Feld bewirtschaften und zwei Rinder oder vier Ziegen halten können, aber das sind Oasen, welche nicht das Gepräge dieser unglücklichen Provinz an sich tragen. Ein Palmenbaum, ein Strauch, eine Hütte wird hier mit Jubel begrüßt; ein Bohnenfeld ist das Ziel tagelanger Hoffnung, ein Schöpfrad das Zeichen des Reichtums. Das Steintal ist unendlich, unsäglich arm!

      Am 19. November. Die Mohammedaner feiern das Fest zur Erinnerung an das Opfer Abrahams; unser Schiffsvolk sitzt in Feiertagskleidern auf dem Deck der Barken und lässt den günstigen Wind unbenutzt vorüberblasen; wir kommen erst um Mittag in Bewegung. Ruhig sitzen wir im Schiffsraum. Urplötzlich erzittert die Barke in ihrem ganzen Bau, sie ist mit furchtbarem Krachen auf einen Felsen gefahren. Wir springen entsetzt auf und machen Anstalten zum Schwimmen. Aber unser alter stromkundiger Reïs Bellahl sitzt mit dem gemütlichsten Gesicht von der Welt am Steuer und ruft uns freundlich zu: »Mahlesch!« Dank sei es diesem »Berge und Täler ebnenden, das Unmögliche möglich, das Unerträgliche erträglich machenden, den Zorn beschwichtigenden, die Angst verbannenden« Wort, mit der unendlich vielfachen Bedeutung, welche ich mit: »Es tut nichts« übersetzen will – wir beruhigen uns. »Die Barken sind sehr fest und halten manchen Stoß aus; ich habe noch ganz andere erlebt«, sagt unser Altvater aller Kataraktschiffer, »seid ohne Sorgen!« Es war nicht zu bezweifeln, Bellahl kannte den Strom wie kein anderer, er wusste jeden unter dem Wasser liegenden Felsen, schon ehe wir hinkamen, aber ebenso unzweifelhaft schien es zu sein, dass er mit einem gewissen Behagen das Schifflein auf den ihm bewussten Felsen jagte. Einige Tage nach dem eben Erzählten stieß unser mit starkem Wind segelndes Schiffchen so heftig auf versteckte Felsen auf, dass das Wasser durch ein bedeutendes Leck ins Innere eindrang. Aber man war auch auf Ähnliches gefasst. Lumpen und Werg lagen bereit und wurden sofort zum Kalfatern verwandt; sie reichten nicht; da riss sich einer der Matrosen sein Hemd vom Leib und opferte es zu gleichem Zweck für das allgemeine Wohl. In wenigen Minuten war der Schaden beseitigt.


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