Reisen im Sudan. Alfred Edmund Brehm
unserem Diener Idrieß, dass man auf den Baron unwillig sei, weil dieser nicht zurückkehre, nachdem Wind aufgekommen wäre. Um die Reise fortsetzen zu können, habe man den Matrosen Aabd-Lillahi (oder Aabd-Allah) fortgeschickt , um den Baron zurückzurufen. Mir ahnte davon nichts Gutes: Aabd-Lillahi war uns allen als jähzorniger, wütender und roher Mensch zur Genüge bekannt geworden.
Wenige Minuten später hörte ich den Baron um Hilfe rufen und sah ihn am Strand im ernsthaftesten Handgemenge mit dem Nubier, welcher sich der Jagdflinte meines Gefährten zu bemächtigen suchte. Er würde diesen, wäre er in Besitz der Waffe gelangt, wahrscheinlich zusammengeschossen haben, weshalb ich auch keinen Augenblick zögerte, das Gefürchtete womöglich noch zu verhindern. Ich nahm die Büchse zur Hand und den Nubier aufs Korn; aber die Streitenden veränderten ihre Stellungen so oft, dass ich, ohne den Baron zu gefährden, den Schuss nicht wagen konnte. Jetzt wurde er frei, ich zielte genauer – da brach er plötzlich, noch ehe ich geschossen hatte, blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust gestoßen.
Von ihm erfuhr ich nun auch den Hergang der Sache. Aabd-Lillahi war im höchsten Zorn schimpfend und fluchend auf ihn zugekommen, hatte ihn mit Gewalt dem Ufer zugedrängt und in der Nähe des Schiffes sogar geschlagen. Der Baron nimmt erzürnt sein Gewehr von der Schulter und will dem Nubier einen Kolbenschlag versetzen, dieser aber springt wütend auf ihn los, presst ihm mit der Hand die Kehle zusammen, schimpft ihn Christenhund und Ungläubigen und droht, ihn mit dem Gewehr, dessen er sich bemächtigen will, niederzuschießen. Von diesem Menschen war alles zu fürchten und der Baron, bei seiner wehrhaften Verteidigung, in seinem vollen Recht.
Es ist unmöglich, von dem sich nach diesem Auftritt erhebenden Lärmen eine Beschreibung zu geben. Das Schiffsvolk schrie wie immer entsetzlich, schwor fürchterliche Rache und zog haufenweise zum Padre Ryllo. Dieser Jesuit war nicht nur niederträchtig genug, der Menge recht zu geben, sondern hetzte sie sogar noch gegen uns – Ketzer – auf. Don Angelo, der Arzt der Mission (welcher, beiläufig bemerkt, eine dunkle Idee von der Möglichkeit der Heilkunde haben mochte), wurde beordert, den »armen Verwundeten« zu sondieren und zu bepflastern. Das Volk wurde, wie leicht zu begreifen, durch diese christlichen Maßregeln noch weit erbitterter und anmaßender. Die Reïsihn erklärten unter tierischem Gebrüll wiederholt, unsere Barke zurücklassen und sich selbst Recht verschaffen zu wollen. Wir setzten unsere Waffen zu einer Verteidigung auf Leben und Tod in den besten Stand, bedeuteten die Schiffsführer, welche am nächsten Morgen ihre Drohungen erneuerten, ihre Pflicht zu tun, versprachen, uns vor das Gericht des Gouverneurs der Provinz Dongola zu stellen, und schworen, jeden, welcher sich unserem Boot in feindlicher Absicht nähern würde, niederzuschießen.
Unsere Energie verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Matrosen fügten sich murrend unseren Gewaltmaßregeln und sagten uns Gehorsam zu.
Aabd-Allahs Wunde war nicht gefährlich. Eine Rippe hatte die Kraft des außerdem unfehlbar tödlichen Stoßes gebrochen. Nachdem das im Anfang sehr heftige Wundfieber vorüber war, genas er bald. Da er sich später willfährig zeigte, den Streit in Güte beizulegen, gab ihm der Baron drei Speziestaler Schmerzensgeld und schlichtete damit den bösen Handel zu beiderseitiger Zufriedenheit.
Die Jesuiten haben sich später bemüht, die Handlung meines Gefährten in ein schlechtes oder wenigstens zweideutiges Licht zu ziehen und seine Selbstverteidigung als Verbrechen darzustellen, weshalb ich ihn hier vertreten zu müssen glaube. Er handelte, wie jeder andere in seiner Lage gehandelt haben würde. Mord und Totschlag ist in jenen Ländern keineswegs etwas so Außergewöhnliches, dass man nicht an eine kräftige Verteidigung denken sollte, wenn man sein Leben bedroht sieht.
Unsere Reise förderte von nun an rasch. Wir näherten uns, weil der im Dahr el Mahhaß felsenfreie Strom uns nicht mehr aufhalten konnte, der Hauptstadt Dongola täglich mehr. Am 12. Dezember störte ein Zufall noch auf kurze Zeit die Ruhe einer äußerst angenehmen Nilfahrt durch das im Vergleich mit dem mühsam durchsegelten Battn el Hadjar reich bebaute Palmenland Dongola. Unser Reïs zertrümmerte beim Auffahren auf die letzten Felsblöcke, welche er zu finden glauben mochte, das Steuer unseres Bootes. Obgleich der Schaden notdürftig wieder ausgebessert wurde, blieb der Verlust doch so fühlbar, dass die Wellen bei einem heftigen Windstoß über Bord schlugen und an dem gänzlichen Umschlagen der Barke wenig fehlte. Nachdem uns Reïs Bellahl am 14. Dezember in seiner Wohnung mit Palmenwein* bewirtet hatte, schied er von uns. Wir fuhren weiter und landeten um Mittag auf der großen, gut bebauten und stark bevölkerten Insel Argo, auf welcher vormals ein eigener König herrschte9. Der hier wohnende Eigentümer unserer Barke machte uns seinen Besuch und beschenkte uns mit einem wohlgenährten Schaf und einem Krug Butter, welche hierzulande immer flüssig ist. Am folgenden Tag landeten wir in Dongola el Urdi, nachdem wir, von Wadi-Halfa aus, siebenundzwanzig Tage unterwegs gewesen waren.
Die Stadt Dongola, gemeiniglich schlechtweg »el Urdi«, das Lager, genannt, wurde nach einem Plan des Naturforschers Ehrenberg10 an der Stelle des kleinen Dorfes Akromar erbaut und diente den Türken, welche die Provinz erst vor Kurzem erobert hatten, anfangs als Festung. Dongola ist ein unbedeutender Ort, welcher schlechte Basare* mit wenigen Verkaufsartikeln, einige Kaffeehäuser und Branntweinkneipen enthält. Es ist der Sitz eines türkischen »Mohdihrs« oder Provinzgouverneurs.
Am ersten Sonntag nach unserer Ankunft (am 19. Dezember) las Padre Ryllo in der hiesigen koptischen Kapelle die Messe in arabischer Sprache. Das Gotteshaus war sehr zahlreich besucht worden. Ryllo brachte von dort ein Brötchen, wie es die koptischen Christen bei ihrer Abendmahlsfeierlichkeit gebrauchen, mit zurück. Es war aus Weizenmehl frisch gebacken, rund, einen Zoll hoch und hielt drei Zolle im Durchmesser; auf der oberen Seite sah man das fünffache Kreuz von Jerusalem.
Die Mission wollte die zu hoffende Genesung ihres von Kairo an ununterbrochen an einer sich mehr und mehr verschlimmernden Dysenterie leidenden Chefs in Dongola abwarten. Der Ort bot uns zuwenig, als dass wir diese unbestimmte Zeit hier hätten verbringen können. Wir trennten uns daher von der Mission, mieteten eine Barke bis zum Dorf Ambukohl am Eingang des Weges durch die Wüstensteppe Bahiuda und verließen Dongola am 20. Dezember. Unser Verhältnis zur Mission war nicht das beste gewesen, aber doch tat es uns leid, von Männern scheiden zu müssen, mit denen wir länger als drei Monate zusammen gelebt hatten; wir fühlten, dass wir von nun an ganz auf uns gestellt waren. Der falsche Bischof gab mir Gesundheitsregeln, Pater Knoblecher herzlich gemeinte Mahnungen mit auf den Weg; Padre Ryllo wünschte uns kalt und steif glückliche Reise; Don Angelo machte schlechte Witze, Padre Muhsa, mein alter grilliger, aber seelenguter, väterlicher Freund und Bekehrer, und Baron S.S. begleiteten uns bis zu unserem Schiff. So schieden wir in Frieden voneinander.
Oberhalb von Dongola bieten die Ufer des Stromes wenig Bemerkenswertes. Handak und Alt-Dongola, »Dongola adjuhs«11, sind so unbedeutende Ortschaften, dass sich wenig oder nichts über sie sagen lässt. Wir verkürzten uns den einförmigen Weg mit Jagen und Präparieren des Erlegten, bis der 24. Dezember herankam. Dieser weckte freilich mancherlei Empfindungen in unserem Innern. Wir befanden uns im Innern Afrikas, unsere Gedanken waren daheim. Der Abend stimmte uns weich; wir beschlossen, ihn wie im Vaterland zu feiern. Uns selbst konnten wir gegenseitig nichts bescheren, darum beschenkten wir unsere Diener. Dann holten wir Wein herbei und tranken aufs Wohl der fernen Lieben. Und als es vollends Nacht geworden war, setzten wir uns hinaus in die helle Sternennacht und horchten still dem Schlag der murmelnden, vom Kiel des Schiffes gebrochenen Wellen; und während dieses langsam, feierlich den Strom durchfurchte, begingen wir ernst und ruhig das Fest der Weihenacht.
Am 25. Dezember landeten wir in Aabduhn, einem unbedeutenden Dorf, weil wir gehört hatten, dass wir auch von hier aus durch die Steppe ziehen könnten und zwei bis drei Tage Zeit ersparen würden. Wir traten mit einem uns von unserem Reïs zugeführten Araber in Unterhandlung, welcher uns versprach, bis Sonnenuntergang acht Kamele für die Mietsumme von vierzig Piastern (für jedes Kamel) zu stellen. Aber wir warteten, nachdem er sich entfernt hatte, um die Lasttiere herbeizuschaffen, mehrere Stunden vergeblich auf seine Rückkehr. Ungehalten wegen der verlorenen Zeit, wollten wir den Lügner durch den »Kaimakahn«* bestrafen