Das Herz der Natur. Francis Edward Younghusband

Das Herz der Natur - Francis Edward Younghusband


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Licht. Still und klar liegt der Teich; das einlullende Murmeln eines Wasserfalls lässt erkennen, wem er seine Entstehung verdankt. Ein sanftes Bächlein trägt den Überlauf fort. Gebirgsschutt und Felsblöcke, von köstlichen Farnen und Moosen übergrünt, fassen ihn ein. Über ihn neigen sich Palmen mit lang herabhängenden starren Fiedern. Bäume mit hoch aufgerichtetem Stamm von der Höhe der Nelsonsäule in London recken sich hinauf, dem Licht entgegen. In Mengen flattern Schmetterlinge lautlos hin und her. Ganz still ist die Luft, sie fühlt sich an wie Seide. Wolken schweben umher von ungreifbarer Weichheit, wie Schnee so weiß und rein; sie erscheinen, lösen sich auf und bilden sich aufs Neue. Durch die Lücken der überhängenden Bäume schaut stellenweise der tiefblaue Himmel herein. Da und dort dringt das Sonnenlicht durch das Blättergewölbe, und dann schimmern die grünen Laubtöne noch heller. Die Stimmung, die über der Stelle liegt, ist erfüllt von Verschwiegenheit und Zurückhaltung. Aber so still und ruhevoll sie ist, lässt sie doch keine Empfindung des Stillstands aufkommen. Tief und unbewegt ist der Teich, und doch voll regsten Lebens. Beständig wird sein Wasser erneuert. Und wenn auch kein Blatt im Wald sich regt, ruft er doch mit dem ganzen Drang des Lebens nach Nahrung und Licht, nach Luft und Feuchtigkeit. Vor diesem Kleinod eines Teiches in seiner frischgrünen Umrahmung verspüren wir eine zarte, feinsinnige Lebenstätigkeit. Eine scheue, innerliche Schönheit lebt in dem Waldtal, sie berührt uns nach der krafterfüllten Schönheit des Stromes, nach der kühnen, stolzen Schönheit der Felsenwände besonders wohltuend. Doch nicht kraftlos ist diese Schönheit; gerade in ihrer Ruhe und in ihrer Zuversicht liegt Kraft.

      DRITTES KAPITEL

      DER WALD

      Der am tiefsten gelegene Abschnitt des Tistatals hat eine Höhe von nur 210 Metern über dem Meeresspiegel. Das Tal ist tief eingeschnitten, eng begrenzt und ständig von Feuchtigkeit gesättigt. Kaum, dass sich ein Lufthauch regt, und wie in einem Treibhaus wird alles Pflanzenleben zu gesteigertem Wachstum angetrieben. Die Bäume erreichen allerdings nicht die Höhe der Riesenbäume Kaliforniens oder der Eukalypten Australiens; aber einige der Bäume im Tistatal haben doch eine Höhe von 60 Metern, mit stützenreichen Stämmen von 12 bis 15 Metern Umfang, und sie erwecken den gleichen Eindruck von Stattlichkeit und ruhevoller Gelassenheit. Mit unglaublicher Kraftanspannung und in unaufhörlichem Kampf haben sie ihre gegenwärtige stolze Stellung gewonnen, und bereitwillig zollt ihnen der Reisende den ihnen gebührenden Tribut.

      Mächtige tropische Eichen von fast 15 Metern Umfang kommen vor, 15 Meter hohe Pandanussträucher mit einer riesigen Krone aus großartigen, fast fünfviertel Meter langen Blättern, viele Arten von Palmen, Rotang, Bambus, Bananen und hohe Gräser, wie sie nur in dichten, heißen Dschungeln wachsen. Riesenhafte Schlingpflanzen heften sich an die höchsten Bäume. Eine dem Kürbis verwandte Kletterpflanze trägt ungeheure, gelblichweiße, hängende Blüten; eine andere eigenartige, krugförmige Blumen.

      Schlingpflanzen, Pfeffergewächse und Pothos verflechten sich mit den Palmen und Bananen zu einem undurchdringlichen Dschungel. Orchideen umkleiden die Bäume. Immer und überall hören wir das Schwirren und Summen der Insektenwelt, manchmal leise und beruhigend, dann wieder misstönend und grell. Und überall, wohin wir nur schauen, sehen wir unzählige Falter umherschweben; viele sind stumpftönig und von anspruchslosem Aussehen, manche aber von einer Leuchtkraft der Farben, die uns einen Ausruf des Entzückens entlockt.

      Wir mögen schweißüberströmt sein, geplagt von Fliegen und Moskitos und in ständiger Furcht vor Blutegeln. Alle diese Belästigungen aber vergessen wir über der Freude an diesen Wundern der Tropen, seien es Bäume oder Orchideen, Farne oder Schmetterlinge. Wie solch ein farbenprächtiges Insekt sich vor uns niederlässt, langsam die Flügel hebt und senkt und sich dreht und wendet, fast als stelle es sich uns zum besonderen Vergnügen zur Schau – das ist ein Anblick, der uns für alle Qual entschädigt, die seine Gefährten in der Insektenwelt uns verursachen mögen.

      Wie es bei der dampferfüllten, tropfnassen Luft nicht anders zu erwarten ist, herrschen die Farne in der Pflanzenwelt vor. Nicht weniger als zweihundert verschiedene Arten hat man gefunden. Am bemerkenswertesten sind die Baumfarne, von denen es hier allein acht Arten gibt. Im Durchschnitt werden sie etwa 6 Meter hoch, aber auch Pflanzen von 12 und 15 Metern Höhe sind keine Seltenheit. Mit ihren schlanken Stämmen und ihren Kronen aus riesigen, anmutigen Fiederwedeln bilden sie in den Wäldern eine auffallende Erscheinung; in den feuchteren Tälern, wo sie sich zu fruchtbarer Üppigkeit entwickeln, kann man sie sowohl in ausgedehnten Hainen als auch in kleinen Gruppen stehen sehen. Vier Arten Frauenhaar, immer von anziehender Duftigkeit und Anmut, kommen vor; von Farnen, die auch in Europa heimisch sind, Osmunda regalis, der Königsfarn, dazu die Mondraute und die Natterzunge. Dann gibt es einen Farn, der riesenhafte Größenverhältnisse erreicht, besonders in den kühleren Wäldern, wo seine massigen Wedel über 4½ Meter lang und fast 3 Meter breit werden; von einer Wedelspitze zur gegenüberstehenden gemessen dehnt er sich über 7 Meter aus. Ein schmucker Kletterfarn zieht sich über die Stämme hoher Bäume; häufig kommt ein anderer vor, der sich an Gräsern und kleineren Sträuchern hinaufrankt; wieder ein anderer bildet fast undurchdringliche Dickichte von 5 und 6 Metern Höhe. Unter den Arten, die auf Felsen und Bäumen wachsen, sind die Hautfarne, von denen es acht Arten gibt, von größter Zartheit und Schönheit. Am größten wird der irische Hautfarn; er überzieht im tiefen Schatten die Vorderseite großer Felsen; seine Wedel werden über 30 Zentimeter lang. Viele anmutige Tüpfelfarne und Streifenfarne wachsen während der Regenzeit auf Felsen und Bäumen. Ein besonders zierlicher Tüpfelfarn, der auf dem Boden wächst, hat 2½ bis 2¾ Meter lange, manchmal auch 6 Meter messende Wedel von entsprechender Breite. Weiterhin fällt uns der Vogelnest-Streifenfarn in die Augen, dessen umfangreiche gewichtige Wedel im Schatten auf Felsen und Baumstämmen wachsen.

      Wenn wir nicht besondere Kenner der Farne sind, ist es uns unmöglich, unter so vielen Arten jede einzelne zu bestimmen. Jedenfalls gewinnen wir von ihnen den Eindruck der Zierlichkeit und Anmut und einer oft ätherischen Leichtigkeit sowie einer wunderbaren Verschiedenartigkeit in Größe und Gestalt.

      Von den Farnen wenden wir uns zum übrigen Wald. Nach der anfänglichen Verwirrung über die Überfülle und Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt versuchen wir, einige wenige Einzelerscheinungen oder Typen im Auge zu behalten, deren Übereinstimmung wir erkennen können mit Formen, die wir sonst wo in Indien oder in irgendeinem Palmenhaus in England gesehen haben. Wir befinden uns in der regungslosen, dampferfüllten Atmosphäre eines Treibhauses und sind uns bewusst, dass rings um uns in wuchernder Fülle seltene, wundervolle Pflanzen wachsen, von denen ein einziges Exemplar in der Heimat als Kostbarkeit gewertet und mit pfleglichster Sorgfalt behandelt werden würde. Wir sehnen uns danach, diese Schätze erkennen zu können und dadurch eine engere Verbindung herzustellen zwischen der Heimat und diesem so ausnehmend begünstigten Gebiet, begünstigt hinsichtlich des Pflanzenlebens. Unter den Riesenbäumen, den Bambusstauden, den Palmen, den Kletterpflanzen, den Sträuchern, Blumen, Orchideen schauen wir suchend nach Freunden aus, zumindest nach Bekannten, aus denen, wie wir hoffen, Freunde werden mögen im Verlauf immer neuer Begegnungen auf unseren Wanderungen durch die Wälder.

      Unter den Blumen sind es naturgemäß zuerst die Orchideen, die uns anziehen. Als wirkliche Edelsteine leuchten sie aus dem umgebenden Grün. Wie mit einem plötzlichen Ruck wird der Blick auf sie gezogen. Hier scheint die Vollkommenheit in Farbe, Form, und Bau so nahe erreicht zu sein, wie das überhaupt möglich ist. Ist die Orchidee weiß, so ist sie vom reinsten Weiß und leuchtet keusch und unberührt inmitten der stumpfen Töne ihrer Umgebung. Ist sie purpurfarben oder blassgelb oder goldgelb, rosig oder violett oder weiß, immer ist die Farbe von einer Tiefe und Reinheit, an der das Auge sich satt schaut. Anscheinend sind Orchideen darum von außergewöhnlicher Schönheit, weil gerade die wachsartige Beschaffenheit ihrer Blüten ein ausgezeichnetes Mittel ist, um die Farbe zu voller Wirkung kommen zu lassen. Diese Beschaffenheit ist von eben der Art, die sich am besten eignet, die Schönheit der Farbe zu offenbaren. Pflücken wir einen Zweig dieser erlesenen Kostbarkeiten im Wald vom Ast und halten ihn ins Sonnenlicht, so haben wir die Empfindung, Farbe nahezu in ihrer Vollendung zu erblicken.

      Für sich allein schon wären die Farbe und der Bau der Blüte schön genug. Doch ein weiterer Reiz dieser Orchideen liegt in ihrer Gestaltung, in der Krümmung ihrer Kelchblätter und Blütenblätter, in den


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