Gia Yü. Konfuzius
der Schulgespräche als zweifelhaft beiseite lassen, ergeben sich aus inneren Gründen die folgenden Punkte mit größter Wahrscheinlichkeit:
1. Dem Wang Su lag eine unabhängige Materialsammlung vor, die er ediert und kommentiert hat.
2. Diese Materialsammlung war das Traditionsgut einer der beiden Schulen innerhalb des Konfuzianismus der Han-Zeit, von der Wang Su in seiner Zeit der tatkräftigste Verfechter war. Diese beiden Schulen werden in der Regel als die Schule der älteren Texte und die Schule der neueren Texte bezeichnet. Sie wichen nicht nur in der Auswahl der von ihnen als maßgeblich angesehenen Klassiker voneinander ab, sondern auch in wichtigen kulturpolitischen und politischen Fragen und insbesondere in dem von ihnen geprägten Konfuziusbild. Daß es sich bei den Schulgesprächen um eine Materialsammlung der Schule der älteren Texte handelt, ergibt sich aus der Tatsache, daß sich Parallelen zu diesem Material insbesondere in von dieser Schule als maßgeblich angesehenen Texten – z. B. dem Dso Dschuan, den Schang Schu Da Dschuan und Maus Kommentar zum Schï Ging – oder in Kompilationen von anerkannten Vertretern dieser Schule – z. B. dem Buch der Sitte des älteren Dai oder dem Schuo Yüan des Liu Hiang – wiederfinden. Demgegenüber sind die Traditionen der Schule der neueren Texte in den Schulgesprächen fast überhaupt nicht vertreten. Einzelne Gedankengänge des großen Begründers dieser Schule, Dung Dschung Schu, klingen zwar gelegentlich an, die für Dung Dschung Schu bezeichnenden Teile seiner Lehre sind jedoch in den Schulgesprächen nicht enthalten oder sogar direkt bekämpft. Auch die Konfuziustradition der sogenannten zehn Flügel des Buchs der Wandlungen kommt in den Schulgesprächen nicht vor, obwohl Wang Sus Biographie bemerkt, daß er seines Vaters Kommentar zum Buch der Wandlungen fertiggestellt habe.
3. Das in dieser Sammlung enthaltene Material kann nicht zu einer Zeit entstanden, sondern muß während verschiedener Perioden zusammengetragen worden sein. Die Entstehung des Konfuziusmythos setzte ja schon unmittelbar nach dem Tode des Meisters ein. Teile der Schulgespräche stehen in Geist und Ausdrucksweise den Lun Yü sehr nahe. Andere Teile müssen zu Ende der Dschou-Dynastie entstanden sein, in einem geistigen Klima, in dem das Buch Mongdsï entstand, mehr noch als das aber in einer Umgebung, aus der das Lü Schï Tschun Tsiu und das Buch Sündsï hervorgewachsen sind. Namentlich dem Letzteren verdanken die Schulgespräche viel. Sün King ist ja dann der Dschou-Meister des Konfuzianismus geworden, den die Schule der älteren Texte am höchsten verehrte. Weitere Teile der Schulgespräche können nicht vor der Han-Zeit entstanden sein. Es finden sich darin Ideen, die herkömmlicherweise dem Lu Gia und dem Gia I zugeschrieben werden. Und viele der Episoden sind in einen institutionellen und ideologischen Rahmen gesetzt, der zur Dschou-Zeit noch nicht bestand, sondern erst mit der Monopolisierung des Beamtenstandes durch die Konfuzianer unter dem Kaiser Wu der Han seine Gültigkeit erlangte. Auch Beimischungen des Gedankenguts nichtkonfuzianischer Schulen, der Taoisten, der Schule der Politiker, der Schule der Rechtslehrer etwa, waren dem Konfuzianismus der ausgehenden Dschou-Zeit noch nicht in dem Maße eigen.
In der zweiten Hälfte des zweiten oder der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts scheint jedoch diese Materialsammlung im Wesentlichen abgeschlossen gewesen zu sein. Anders läßt es sich nicht erklären, daß das Gedankengut des Yang Hiung, aus dessen Schule Wang Su hervorgegangen ist, sich in den Schulgesprächen nicht vertreten findet. Es ist natürlich wahrscheinlich, daß spätere Verwalter dieses Materials in Einzelheiten an den vorhandenen Episoden und Abhandlungen weitergearbeitet haben. Und Wang Su mag einer von diesen gewesen sein.
1*Ein vollständiges Verzeichnis dieser Parallelstellen befindet sich in dem Buch von R. P. Kramers, K’ung Tzu Chia Yü, The School Sayings of Confucius. Leiden 1950, S. 361–379.
1. KAPITEL
SIANG LU / Beamter in Lu
Das erste Kapitel bringt Biographisches aus der Zeit von Kungs Amtstätigkeit. Daß Kung eine Reihe höherer Ämter in seinem Heimatstaat Lu bekleidet habe, war zur Han-Zeit ein feststehender Bestandteil der konfuzianischen Tradition. Im Schrifttum der neueren Zeit sind starke und zum Teil begründete Zweifel darüber geäußert worden, bis zu welchem Grade diese Tradition auf historischen Tatsachen beruht. Es ist meines Erachtens unrichtig, Kungs Amtstätigkeit völlig in das Gebiet der Fiktion zu verweisen. In den zuverlässigsten und frühesten Quellen wird berichtet, daß er in einem nahen Verhältnis zu seinem Fürsten stand, und in der Literatur der ausgehenden Dschou-Zeit wird seine Amtstätigkeit mehrfach erwähnt. Anders als durch intime persönliche Erfahrung kann auch Kungs Beschlagenheit in den Riten des amtlichen Verkehrs nicht erklärt werden. In seinem Buch »Kung-tse, Leben und Werk« (Stuttgart 1925) hat mein Vater versucht, die Tradition über Kungs Amtstätigkeit in ein sinnvolles Bild seines Lebens einzubauen. Im Hinblick auf die entscheidende Rolle, die der Han-Konfuzianismus in der Organisation des Beamtentums zu spielen unternahm, war es natürlich von Bedeutung, die Tradition über Kungs Amtstätigkeit aufzubauen und auszuschmücken.
Einzelheiten aus den ersten beiden Abschnitten finden sich u. a. in zum Teil abweichenden Versionen in Dso Dschuan, Ding 1 (Legge S. 745), im Lü Schï Tschun Tsiu (Wilhelm S. 248), im Kapitel Tan Gung des Li Gi (Legge S. 150) und in der Biographie des Konfuzius im Schï Gi. Die dramatische Fürstenzusammenkunft im Jahre 500 ist in der älteren Literatur häufig dargestellt. Sie wird erwähnt im Tschun Tsiu (Ding 10. Jahr) und ist danach ausführlicher beschrieben im Gu Liang, in einer Glosse zum Gung Yang und im Dso Dschuan (Legge S. 776, Couvreur 3,558). Im Schï Gi wird sie dreimal beschrieben: in den Annalen von Tsi (Chavannes 4, 77f.), in denen von Lu (Chavannes 4, 127) und ausführlicher in der Biographie des Konfuzius (Chavannes 5, 319ff., Wilhelm 1928 S. 13ff.). Auch das Sin Yü des Lu Gia (2. Jh. v. Chr.) enthält eine Schilderung (Annemarie von Gabain in Ostasiatische Studien 1930, 37f.). Alle diese Texte einschließlich des Gia Yü-Texts wurden analysiert von Granet, Danses et légendes de la Chine ancienne 2, 171 ff. Danach ist die Version des Gia Yü in einem oder mehreren der früheren Texte belegt. Sie zeigt jedoch in der Anordnung des Stoffs und in einzelnen Formulierungen Selbstständigkeit. Die Reduktion der Stadtmauern der Adelsgeschlechter ist im Tschun Tsiu unter diesem Jahr erwähnt. Das Dso Dschuan (Legge S. 781, Couvreur S. 571 f.) und nach ihm das Schï Gi (Chavannes X. 324ff., Wilhelm 1928 S. 15 f.) enthalten eine ausführliche Schilderung. Der Ausspruch des Kung am Anfang des Abschnitts ist im Gung Yang unter diesem Jahr aufgezeichnet. Der letzte Abschnitt findet sich im Sün Dsï, Kap. Ju Hiau (Dubs S. 94f.) und im Sin Sü des Liu Hiang, Kap. 1 und 5. Die segensreichen Folgen seiner Wirksamkeit, zum Teil eine Wiederholung des ersten Abschnitts, finden sich auch im Schï Gi.
1. Stadthauptmann in Dschung Du
Meister Kung trat seine amtliche Laufbahn an als Stadthauptmann von Dschung Du1. Er schuf feste Ordnungen für die Ernährung der Lebenden und die Bestattung der Toten. Alte und Junge hatten verschiedene Nahrung2, Starke und Schwache hatten verschiedene Berufe, Männer und Frauen gingen getrennt auf den Wegen. Auf den Straßen kam Verlorenes nicht weg. Geräte waren nicht mit täuschendem Zierat geschmückt. Die Innensärge waren vier Zoll dick, die Außensärge waren fünf Zoll dick. Natürliche Bodenerhebungen wurden als Gräber benutzt, kein Grabhügel wurde aufgehäuft und keine Bäume wurden gepflanzt.
Nachdem er ein Jahr also gewirkt hatte, da nahmen ihn die Fürsten der westlichen Gegenden3 zum Vorbild.
Fürst Ding4 redete zu Meister Kung und sprach: »Wie wäre es, wenn wir für die Regierung des Staates Lu Eure Maßregeln anwendeten?« Meister Kung entgegnete: »Für die ganze Welt würden sie taugen, nicht nur allein für Lu.«
2. Aufseher der öffentlichen Arbeiten
So ging es zwei Jahre lang, da ernannte ihn Fürst Ding zum Aufseher über die öffentlichen Arbeiten5. Da teilte er das Land in fünf Klassen nach der Art des Bodens6, und jedes Gewächs erhielt den Standort, auf dem es am besten gedieh, so war jedes an seinem