Weihnachtserzählungen. Charles Dickens

Weihnachtserzählungen - Charles Dickens


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blieb er stehen, um dem Schreiber seinen Weihnachtsgruß zu sagen, der, sosehr ihn auch fror, doch wärmer war als Scrooge, denn er gab ihn herzlich zurück.

      »Da ist noch so ein Narr«, murmelte Scrooge, der zugehört hatte, »mein Schreiber, der fünfzehn Schilling wöchentlich bekommt, Weib und Kind hat und von fröhlichen Weihnachten schwatzt. Da möchte man wirklich ins Tollhaus verschwinden.«

      Während der Verrückte den Neffen hinausbegleitete, hatte er zwei andre Leute hereingelassen. Es waren stattliche Herren von gutem Aussehen, die nun, ihre Hüte abgenommen, in Scrooges Kontor standen; sie trugen Bücher und Papiere in Händen und machten ihm eine Verbeugung.

      »Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre?« sagte einer der Herren mit einem Blick in seine Listen; »habe ich die Ehre mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley?«

      »Mr. Marley ist schon seit sieben Jahren tot«, antwortete Scrooge; »gerade heute nacht vor sieben Jahren ist er gestorben.«

      »Wir zweifeln nicht, daß seine Freigebigkeit von seinem überlebenden Partner würdig weitergeführt wird«, sagte der Herr, indem er seine Vollmacht vorwies.

      Seine Behauptung traf wirklich zu, denn sie waren zwei verwandte Geister gewesen. Bei dem unheilkündenden Wort »Freigebigkeit« schauderte Scrooge zusammen, schüttelte den Kopf und gab die Vollmacht zurück.

      »In dieser festlichen Zeit des Jahres, Mr. Scrooge«, hub der Herr an, indem er eine Feder zur Hand nahm, »ist es noch wünschenswerter als sonst, daß wir, so gut es geht, für die Armen und Verwahrlosten sorgen; sie haben gerade in dieser Jahreszeit schwer zu leiden. Vielen Tausenden fehlt es am gewöhnlichsten Lebensbedarf, Hunderttausende vermissen auch die geringste Behaglichkeit, Sir!«

      »Gibt’s keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.

      »Gefängnisse genug!« versetzte der Herr und legte die Feder wieder weg.

      »Und die Arbeitshäuser?« fuhr Scrooge fort; »bestehen sie wohl noch?«

      »Ja, noch immer!« entgegnete der Herr; »ich wünschte, ich könnte nein sagen.«

      »Die Tretmühle und das Armengesetz sind also noch in Kraft?« fragte Scrooge weiter.

      »Beide in voller Wirksamkeit, Sir.«

      »Oh«, meinte Scrooge, »nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, es sei etwas vorgefallen, das ihren nützlichen Gang hemme; ich bin froh, das Gegenteil zu hören.«

      »In der Überzeugung«, erwiderte der Herr, »daß diese Einrichtungen den Menschen schwerlich christliche Freude an Leib und Seele vermitteln können, sind einige von uns bemüht, einen Geldbetrag aufzubringen, mit dem wir den Armen Speise und Trank und Mittel zur Erwärmung verschaffen wollen. Wir haben diesen Zeitpunkt gewählt, weil gerade jetzt Mangel schmerzlich und Überfluß freudig empfunden wird. Was darf ich für Sie zeichnen?«

      »Nichts!« versetzte Scrooge.

      »Sie wünschen ungenannt zu bleiben?«

      »Ich wünsche allein gelassen zu werden!« sagte Scrooge. »Wenn Sie wissen wollen, was ich wünsche, meine Herren, so ist dies meine Antwort. Ich selbst mache mir zu Weihnachten auch keine guten Tage und kann nichts dazu beitragen, sie Müßiggängern zu verschaffen. Ich helfe bereits, die vorerwähnten Anstalten zu unterhalten – sie kosten genug, und wem es schlimm geht, der mag sich dorthin wenden.«

      »Viele können nicht dorthin gehen; und viele würden lieber sterben.«

      »Wenn sie lieber sterben«, versetzte Scrooge, »so sollen sie es nur tun und so die überflüssige Bevölkerung vermindern. Außerdem – Sie entschuldigen – verstehe ich davon nichts.«

      »Aber Sie könnten es verstehen«, bemerkte der Herr.

      »Das ist nicht meine Sache«, erwiderte Scrooge. »Es genügt, wenn ein Mann seine eigene Sache versteht; er braucht sich nicht mit denen anderer zu befassen. Die meinen nehmen mich ganz in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«

      Da die Fremden einsahen, daß es nutzlos sei, ihr Vorhaben weiterzuverfolgen, entfernten sie sich. Scrooge ging mit gehobener Meinung von sich selbst und in besserer Laune als gewöhnlich wieder an die Arbeit.

      Inzwischen hatten Nebel und Dunkelheit so zugenommen, daß Leute mit brennenden Fackeln umherliefen und sich anboten, vor den Wagenpferden herzugehen und sie ihren Weg zu führen. Der alte Turm einer Kirche, deren brummende Glocke sonst schlau aus einem gotischen Fenster in der Mauer auf Scrooge herunterguckte, wurde unsichtbar, und sie schlug die Stunden und Viertelstunden nun in den Wolken mit einem zitternden Nachklang, als ob ihr die Zähne im erfrorenen Kopf klapperten. Die Kälte nahm immer mehr zu. Auf der Hauptstraße an der Ecke des Hofes hatten einige Arbeiter, die die Gasröhren ausbesserten, in einem Kohlenbecken ein großes Feuer angezündet, um das sich ein Haufen zerlumpter Männer und Jungen drängte, die ihre Hände wärmten und vor der Glut beglückt mit den Augen blinzelten. Am Pumpbrunnen, der verlassen stand, froren die Tropfen rasch und verwandelten sich in menschenfeindliches Eis. Der Lichtschein aus den Läden, in denen Stechpalmenzweige und -beeren in der Lampenhitze der Schaufenster knisterten, rötete die bleichen Gesichter der Vorübergehenden. Der Geflügel- und der Spezereienhandel wurden zum hellen Vergnügen: eine prächtige Veranstaltung, von der man schier unmöglich glauben konnte, daß so langweilige Dinge wie Kauf und Verkauf etwas mit ihr zu tun haben sollten. Der Oberbürgermeister in der mächtigen Mansionhouse-Feste gab seinen fünfzig Köchen und Kellnern Befehl, ein Weihnachtsmahl zu rüsten, wie es eines Oberbürgermeisters würdig ist; und selbst der armselige Schneider, den er am vorigen Montag wegen Trunkenheit und Rauflust auf der Straße um fünf Schilling bestraft hatte, rührte in seiner Dachstube den Pudding für morgen, während sein hageres Weib mit dem Säugling ausging, um Fleisch zu kaufen.

      Noch nebliger und noch kälter wurde es. Durchdringend, beißend, bohrend kalt! Wenn der gute heilige Dunstan die Nase des Teufels nur mit einem Hauch solchen Wetters berührt hätte, statt seine gewöhnlichen Waffen zu gebrauchen, dann hätte dieser erst kräftig aufgeheult! Der Eigentümer einer winzigen jungen Nase, die von der gierigen Kälte so benagt und angeknabbert war wie Knochen von Hunden, beugte sich gerade zu Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen; allein beim ersten Vers:

      Gott sei mit Euch, mein edler Herr,

      Mög Euch kein Trübsal treffen

      griff Scrooge so heftig nach seinem Lineal, daß der Sänger bestürzt entwich und das Schlüsselloch dem Nebel und der dem Hausherrn noch verwandteren Kälte überließ.

      Endlich kam die Stunde des Geschäftsschlusses. Widerwillig stieg Scrooge von seinem Schreibstuhl und teilte dadurch diese Tatsache wortlos dem in seinem Schacht harrenden Schreiber mit. Dieser blies sogleich seine Kerze aus und setzte seinen Hut auf.

      »Sie werden vermutlich morgen den ganzen Tag frei haben wollen?« fragte Scrooge.

      »Wenn’s Ihnen recht ist, Sir!«

      »Ist mir nicht recht«, antwortete Scrooge, »und gehört sich nicht. Wenn ich Ihnen dafür eine halbe Krone abzöge, so wette ich, fühlten Sie sich schlecht behandelt.«

      Der Schreiber lächelte matt.

      »Und doch«, fuhr Scrooge fort, »halten Sie mich nicht für schlecht behandelt, wenn ich Ihnen für einen ganzen Tag Geld ohne Arbeit verabreiche.«

      Der Schreiber bemerkte, daß dies ja nur einmal im Jahr vorkomme.

      »Eine schlechte Ausrede, um einem an jedem 25. Dezember das Geld aus der Tasche zu stehlen!« murrte Scrooge und knöpfte seinen Überrock bis zum Kinn zu. »Aber ich nehme an, daß Sie den ganzen Tag haben müssen. Seien Sie dafür übermorgen umso zeitiger hier.«

      Der Schreiber versprach das, und Scrooge zog grollend ab. Das Kontor war im Nu geschlossen. Der Schreiber, dem die langen Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten, da er sich mit keinem Überrock brüsten konnte, lief Cornhill hinunter, wobei er am Ende einer Kette von Knaben zu Ehren des Weihnachtsabends wohl zwanzigmal schlitterte, und eilte dann, so schnell er konnte, nach Camden-Town nach Hause, um mit den Seinen


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