Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey
Was mich betrifft, kann ich nur sagen, daß ich Ihren Jungen mag, er gefällt mir wirklich. Doch kommen Sie, gehen wir zum Hotel zurück.«
Während sie den Rückweg einschlugen, sagte Madlon:
»Ich glaube eigentlich nicht, daß Nils Sie ablehnt, Herr Dr. Martens. Er ist im Augenblick nur sehr schwierig. Wir sollten das nicht überschätzen. Ich lebe seit einigen Monaten allein mit meinem Jungen, und er hat sich noch nicht an die veränderten Verhältnisse in seinem Leben gewöhnen können.«
»Bitte, halten Sie mich jetzt nicht für neugierig, Frau van Enken, aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat Nils seinen Vater verloren, nicht wahr? Es tut mir leid, wenn es so sein sollte, aber es erklärt das Verhalten Ihres Jungen.«
»Er hat seinen Vater nicht in dem Sinne verloren, wie Sie annehmen müssen, Dr. Martens. Es ist nur so, daß ich mich von meinem Mann habe scheiden lassen, und Nils leidet noch immer unter der Trennung. Er will sich einfach nicht damit abfinden. Es ist sonst nicht meine Art, mit anderen Menschen über meine ganz persönlichen Angelegenheiten zu reden, aber bei Ihnen habe ich das Gefühl, Ihnen vertrauen zu können, und es erleichtert mich auch etwas, darüber reden zu können.«
»Es ist auch nicht gut, wenn man alle schlechten Ereignisse in sich hineinfrißt, Frau van Enken. Ich bin ein guter Zuhörer, das bringt schon allein mein Beruf mit sich.«
»Ich danke Ihnen, und bitte, nennen Sie mich Madlon. Es klingt nicht so unpersönlich.«
»Gern, aber nur, wenn Sie mich auch bei meinem Vornamen nennen, einfach Kay.«
»Einverstanden, Kay.«
»Eigentlich ist es schade, ich wäre gern weiter mit Ihnen durch die Nacht spaziert. Wollen wir morgen etwas gemeinsam unternehmen? Vielleicht fahren wir nach Paternion in ein Freibad, oder wir unternehmen eine Autofahrt durchs Drautal bis nach Spittal?«
»Vielleicht. Ich werde Nils von Ihrem Vorschlag berichten, ich sage Ihnen beim Frühstück Bescheid.«
»Ich würde mich freuen, könnte ich wieder einen Tag mit Ihnen und Ihrem Sohn verbringen, Madlon«, sagte Kay, wahrend er sie noch zu ihrer Zimmertür begleitete.
»Es waren schöne Stunden mit Ihnen«, verabschiedete er sich von ihr, »schlafen Sie gut, und träumen Sie etwas Schönes.«
»Gute Nacht, Kay«, sagte Madlon mit warmer Stimme, »Sie sind ein wahrer Freund.«
Ich will aber nicht nur dein Freund sein, hätte Kay am liebsten geantwortet, doch er wußte sich zu beherrschen. Da war Madlon auch schon in ihrem Zimmer verschwunden, und ihm blieb nichts anderes übrig, als das seine ebenfalls aufzusuchen.
In seinem Herzen blieb der heiße Wunsch, Madlon ganz für sich zu gewinnen.
*
Madlon knipste das Licht an und drehte sich um. Doch schon nach dem ersten Schritt blieb sie erschrocken stehen und starrte auf die schmale Jungengestalt, die mit angezogenen Beinen in einem Sessel kauerte. Graugrüne Augen sahen sie mit vorwurfsvollem Blick an.
»Nils, Junge, weshalb bist du nicht in deinem Bett und schläfst? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Ich konnte nicht schlafen, Mutti. Warum hast du mich allein gelassen?«
»Geh, Nils, du bist doch kein Baby mehr. Ich war noch nicht müde und habe noch einen langen Spaziergang gemacht. Außerdem hast du fest geschlafen, als ich wegging. Jetzt husch, husch, in dein Bett. Morgen werden wir einen schönen Tag mit Dr. Martens verbringen. Er hat uns beide eingeladen, mit ihm eine Ausflugsfahrt durch das Drautal zu unternehmen. Dazu mußt du ausgeschlafen sein.«
»Ich will diese Fahrt gar nicht machen, Mutti«, begehrte Nils auf, »ich will mit dir allein sein. Immer ist er dabei. Du hattest mir einen schönen Urlaub versprochen, aber er ist überhaupt nicht schön. Der Doktor soll dich in Ruhe lassen.«
»Was soll das denn, Nils? Dr. Martens ist doch ein netter Mann, und er mag dich. Warum sprichst du so unfreundlich über ihn? Wenn er uns die Umgebung zeigt und uns Gesellschaft leistet, freue ich mich darüber.«
Mit leichtem Kopfschütteln sah Madlon ihrem Sohn nach. Es war also doch kindliche Eifersucht, die sein negatives Verhalten beeinflußte. Nun, sie würde sich trotz der Gesellschaft Kays noch mehr mit ihm beschäftigen, dann würde sich das schon geben. Er mußte doch seine Abwehr gegen Kay irgendwann einmal aufgeben, und das sicher je eher, je mehr sie mit Kay zusammen waren und er ihn richtig kennenlernen konnte. Sie jedenfalls freute sich auf den kommenden Tag.
Mit diesen Gedanken ging sie zu Bett, und zum ersten Mal begleitete das Gesicht des Mannes, der ihr Herz mit zärtlichen Gefühlen erfüllte, in ihre Träume.
Madlon ahnte nicht, daß Nils im Zimmer neben ihr nicht einschlafen konnte.
Unbewußt fühlte der Dreizehnjährige eine Gefahr in Person des Mannes, der immer öfter mit seiner Mutti zusammentraf, und innerlich wehrte er sich dagegen. Es war seine Mutti, sie gehörte nur ihm und seinem Vati. Auch wenn sie sich immer wieder gestritten hatten und auseinander gegangen waren, konnten sie sich doch auch wieder vertragen. Er wollte nicht immer nur bei der Mutti oder nur beim Vati bleiben, nein, sie sollten doch wie früher wieder eine richtige Familie sein.
Tränen füllten seine Augen, und verzweifelt drückte er sein Gesicht in die Kissen. Niemand, auch nicht seine Mutti, sollte wissen, wie ihm in diesem Moment zumute war.
Nur langsam ebbte seine Verzweiflung ab, und bevor er endlich einschlief, dachte er noch: Na wartet, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.
Als Madlon ihren Sohn am nächsten Morgen weckte, fiel ihr sofort auf, daß er blasser war als sonst. Besorgt fragte sie:
»Fehlt dir etwas, Nils? Fühlst du dich nicht gut?«
Doch Nils gab nur eine ausweichende Antwort.
Als sie wenig später mit Nils hinunter in den Frühstücksraum kam, wartete Kay schon auf sie und den Jungen.
Mit aufleuchtendem Blick begrüßte er sie und schob ihr fürsorglich einen Stuhl zurecht. Danach wandte er sich Nils zu. Er fuhr ihm über das leuchtende Haar und sagte fröhlich:
»Guten Morgen, Nils. Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Wir haben einen langen, aber bestimmt schönen Tag vor uns, wenn ihr damit einverstanden seid, daß wir gemeinsam etwas unternehmen.«
Zwar merkte Kay sofort, daß Nils erstarrte, doch er überging seine Reaktion einfach. Er würde sich weiter bemühen, die innere Abwehr des Jungen zu durchbrechen, mit der er sich wie mit einem Panzer umgab. Es würde ihm bestimmt noch gelingen, wenigstens die Freundschaft des Jungen zu erringen.
Fragend sah Kay Madlon an.
»Ja.« Sie nickte bestätigend. »Wir machen die Fahrt gern mit.«
Das Frühstück verlief an diesem Morgen recht schweighaft. Als Madlon ihren Sohn nach dem Frühstück noch einmal aufs Zimmer schickte, um etwas zu holen, sagte sie zu Kay:
»Nils meint es sicher nicht böse. Bitte, haben Sie etwas Geduld mit ihm. Ich sagte Ihnen ja schon gestern abend, daß er immer noch so an seinem Vater hängt.«
»Keine Sorge, Madlon, ich habe volles Verständnis für Ihren Jungen. Ich bin sicher, daß er sein abwehrendes Verhalten mit der Zeit aufgeben wird. Reden wir jetzt nicht mehr darüber. Sorgen wir beide dafür, daß es für ihn ein schöner und abwechslungsreicher Tag wird. Was ich dazu beitragen kann, das werde ich tun.«
»Danke für Ihr Verständnis, Kay.«
Nils kam mit seiner Jacke zurück, und Kay führte Madlon und den Jungen zu seinem Wagen.
*
Eine volle Woche war inzwischen wieder verstrichen. Das tägliche Beisammensein mit Madlon machte Kay sehr glücklich. So sehr es ihn jedoch danach drängte, ihr gegenüber von seinen Gefühlen zu reden, so hielt ihn das Verhalten ihres Sohnes noch davon ab. Zwar ging Nils widerspruchslos überall mit ihnen hin, doch er ließ Kay und seine Mutter nicht aus den Augen.
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