Sophienlust Bestseller Staffel 1 – Familienroman. Marietta Brem
nach dem Tod ihres Mannes war sie mit ihrem Sohn Nick von der Familie aufgenommen worden, und später hatte Sophie von Wellentin ihrem Enkelsohn sogar das herrliche Herrenhaus mit der Auflage vererbt, daß der Besitz zu einem Kinderheim umfunktioniert werden sollte.
»Es ist fast ein kleines Wunder, wie auch Agnes an Sabine hängt. Die ersten Tage hat das Kind niemanden an sich herangelassen, und erst, als sich Sabine von ihr das Bild der Mutter hat zeigen lassen, besteht zwischen den beiden eine innige Freundschaft.« Schwester Regine schaute nachdenklich auf ihre schmalen Hände. Die feingliedrigen Finger hatte sie ineinander verschlungen. Das tat sie meistens, wenn Probleme sie beschäftigten.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Schwester Regine. Ich bin sicher, es wird alles wieder in Ordnung kommen.« Denise spürte die Unsicherheit der jungen Frau.
»Hoffentlich haben Sie recht. Mir tut Peter so leid. Er ist ein lieber Junge, der es nicht verdient hat, daß man ihn abschiebt. Es geht mich zwar nichts an, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich die Frau nicht verstehen kann. Wie kann man nur freiwillig die eigene Familie verlassen.«
»Sie liebt anscheinend einen anderen Mann mehr als ihren eigenen. So hat es mir jedenfalls Herr Eckstein erzählt, obwohl er sich auch dabei noch bemüht hat, seine Frau in Schutz zu nehmen. Ich finde seine Haltung bewundernswert.«
Die Verwalterin holte aus dem Schrank einen Schnellhefter, in dem sie alle Unterlagen über Peter Eckstein deponiert hatte. »Peters letztes Zeugnis ist gut, aber er war schon immer ein bißchen ein Einzelgänger, sagte sein Vater. Diese Eigenschaft scheint sich hier in Sophienlust noch verstärkt zu haben.«
»So sieht es aus«, gab die Kinderschwester zu. »Nicht einmal Heidi ist es bisher geglückt, ihn aus seiner Reserve herauszulocken. Und Sie wissen ja, wie hartnäckig unsere Heidi sein kann, wenn sie etwas erreichen will.«
»Ja, das stimmt.« Bei dem Gedanken an das zierliche, aber doch recht energische Persönchen, das alle hier im Kinderheim ins Herz geschlossen hatten, mußte Denise lächeln. Heidi Holsten war mit ihren fünf Jahren das jüngste der Dauerkinder, der Sonnenschein des ganzen Heimes.
»Ich glaube, Sie haben eben dasselbe gedacht wie ich. Wenn wir unsere Heidi nicht hätten.«
»So ähnlich, ja«, stimmte Denise lachend zu.
In diesem Augenblick fühlten sich die beiden Frauen wie Verbündete.
*
Marga Eckstein hatte lange gebraucht, bis sie sich zu einer Entscheidung hatte durchringen können. Und diese Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen.
Von Volker, ihrem Mann, hatte sie erfahren, daß sich ihr gemeinsamer Sohn Peter in einem Kinderheim befand. Der Brief, den Volker ihr geschrieben hatte, war kurz und unpersönlich gewesen, und seltsamerweise hatte es ihr wehgetan.
Warum das so war, darüber konnte und wollte sie sich keine Rechenschaft ablegen, obwohl es sie ziemlich beunruhigt hatte. Jedenfalls war ihr spätestens danach klargeworden, was sie zu tun hatte. Sie mußte zu Peter.
Plötzlich konnte sie sich nicht mehr erklären, wie sie so eine Dummheit hatte begehen und ihr eigenes Kind hatte im Stich lassen können.
Sie hielt sich am Treppengeländer fest. Wenn sie es nur schon hinter sich hätte. Vor der Begegnung mit Manfred fürchtete sie sich, aber noch mehr dachte sie daran, daß Volker, ihr Mann, erfahren könnte, daß ihre Beziehung, für die sie ihre Familie aufgegeben hatte, gescheitert war.
Als sie vor der Wohnungstür stand, zögerte Marga. Ihr Herz klopfte ungewöhnlich rasch, was sie auf die Aufregung zurückführte. Sollte sie Manfred überhaupt behelligen, oder sollte sie lieber mit dem Zug fahren?
Nein, Marga entschloß sich, Manfred um diesen Gefallen zu bitten. Schließlich hatte er ihr seine Freundschaft und seine Hilfe angeboten. Die Demütigung wäre für sie unerträglich, wenn sie Volker zufällig begegnen würde, und sie dann noch dazu allein wäre. Was mußte das für eine Genugtuung für ihn sein.
Das Läuten der Klingel war so laut, daß die Frau in dem leichten Kamelhaarmantel zusammenzuckte. Sie unterdrückte den ersten Impuls, einfach davonzulaufen, aber dann bereute sie es, als sie das überraschte Gesicht ihres früheren Geliebten sah. Allzu glücklich schien er nicht zu sein.
»Du, Marga?« fragte er gedehnt und deutete dann einladend auf die Wohnzimmertür.
Marga spürte, wie sie vor Verlegenheit errötete. »Du... du mußt mir helfen, Manfred«, stieß sie hastig hervor und schlüpfte an ihm vorbei in die Wohnung.
»Ist etwas geschehen?« Manfred war sichtlich erleichtert. Er hatte schon befürchtet, daß die Frau dort anknüpfen wollte, wo sie vor ihrem Streit aufgehört hatten. Dazu aber war er nicht bereit.
»Ich muß nach Maibach. Peter lebt dort in einem Kinderheim. Das hätte Volker nie tun dürfen«, brach die Frau das verlegene Schweigen.
»Du hast kein Recht, deinen Mann anzuklagen.« Manfred setzte sich in einen der schweren, lederbezogenen Sessel und schlug die langen Beine übereinander. »Was sollte er denn mit dem Jungen anfangen, wenn er zur Arbeit muß?«
»Da... da hast du auch wieder recht«, gestand Marga kleinlaut. »Das habe ich mir gar nicht überlegt. Ich weiß nur, daß ich Peter aus dem Heim holen muß. Der arme Junge. Und ich bin schuld daran.« Unvermittelt begann die Frau zu schluchzen. Sie preßte ihre Hände vor das Gesicht.
»Hast du vielleicht ein Taschentuch für mich, bitte?«
Manfred reichte ihr das Gewünschte, und Marga tupfte sich das Gesicht ab. »Ich fühle mich so elend. So gemein und niederträchtig wie ich war, benimmt sich keine Mutter. Ich... ich kann es einfach nicht... verstehen, wie ich so... handeln konnte.«
»Ich glaube, ich kann dich verstehen. Dein Leben verlief in geordneten Bahnen, alles war Routine, Gewohnheit. Da kann man leicht den Blick für das Wesentliche verlieren.«
»Meinst du? War das wirklich der Grund? Ich dachte, ich sei in dich verliebt. Ohne dich konnte ich mir meine Zukunft gar nicht mehr vorstellen. Dabei hatte ich ja alles, was sich eine Frau nur wünschen kann. Und das habe ich aufgegeben für eine Scheinwelt.«
Marga schluchzte noch einmal auf, aber dann schien sie sich beruhigt zu haben. Ihr Entschluß stand fest. Sie mußte in dieses Kinderheim und Peter von dort heimholen.
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann, Marga, dann sage es mir. Du weißt ja, daß ich zu dir halte, wenn du mich brauchst.«
»Darum bin ich ja gekommen. Bitte, Manfred, du mußt mit mir nach Maibach fahren. Ich könnte die Schande nicht ertragen, wenn Volker mich alleine dort sieht. Nie gönne ich ihm den Triumph, daß er recht gehabt hat.«
»Muß das sein?« Manfred stellte sich das ziemlich unangenehm vor, wenn er womöglich mit Margas Mann zusammentraf. Aber er hatte ihr Unterstützung versprochen, und er gedachte sein Versprechen auch zu halten, so schwer es ihm auch fiel.
»Also gut, wenn du unbedingt möchtest«, gab er nach, als sie heftig mit dem Kopf nickte.
»Ja, unbedingt«, brach es aus ihr heraus.
»Und wann?«
»Am liebsten gleich, wenn du Zeit hast.«
»Na ja.« Manfred fuhr mit den Fingern durch sein dichtes Haar. So schnell hatte er eigentlich nicht damit gerechnet. Aber vielleicht war es wirklich besser, wenn er das Ganze rasch hinter sich brachte.
»Also gut, wenn du es so eilig hast, dann fahren wir eben gleich. Ich muß mich nur noch schnell umziehen. Dort in der Schublade findest du Straßenkarten. Bitte such die richtige heraus. Ich kenne mich in der Gegend dort nämlich wirklich nicht so besonders aus.«
Nachdem der Mann im Schlafzimmer verschwunden war, kniete sich Marga vor dem halbhohen Schränkchen nieder und zog die Schublade auf, wie er es ihr aufgetragen hatte. Bald hielt sie die richtige Karte in den Händen, und sie stellte überrascht fest, daß Maibach gar nicht so weit von hier entfernt war. In knappen zwei Stunden müßten sie die Strecke