Sophienlust Bestseller Staffel 1 – Familienroman. Marietta Brem
wir außer Haus. Mit dem Garten hätten Sie ebenfalls keine Arbeit. Und was das Gehalt betrifft, wäre ich bereit, Ihnen noch etwas zuzulegen.«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über Birgits Gesicht. »Eigentlich hätte ich es überhaupt nicht nötig, arbeiten zu gehen«, sagte sie. »Mein Mann hat mir genug Vermögen hinterlassen, um ein ruhiges, beschauliches Leben führen zu können. Aber jeder Mensch braucht eine Aufgabe. Ich hielt es zu Hause in den eigenen vier Wänden einfach nicht mehr aus. Deshalb habe ich die Stelle bei Ihnen angenommen.«
»Ich möchte Sie keineswegs drängen, Frau Keller«, versicherte der Geschäftsmann. »Und zu beschönigen gibt es auch nichts. Die Aufgabe, die ich Ihnen zugedacht habe, wird bestimmt nicht leicht sein. Es war auch nur so eine Idee, als Sie erwähnten, wie gut Sie mit Kindern zurechtkommen.«
Birgit berührte kurz seine Hand. »Ich werde darüber nachdenken, Herr Kayser«, versprach sie. »Aber jetzt gehe ich erst einmal in die Küche und brühe uns noch eine Tasse Kaffee auf.«
»Dann werde ich inzwischen den Tisch abräumen.« Wolfgang stand auf. Er griff nach dem Tablett, das Birgit vor dem Essen auf ein Beistelltischchen gelegt hatte, und begann, die Tassen und Teller zusammenzustellen.
Es wurde noch ein gemütlicher Abend. Gemeinsam wuschen sie ab, dann setzten sie sich mit Kaffee und Gebäck auf die Couch. Birgit hatte eine Kerze angezündet, auf dem Plattenteller drehte sich das Klavierkonzert Nummer eins von Sergei Rachmaninoff. Über den Vorschlag, den Wolfgang ihr beim Essen gemacht hatte, sprachen sie nicht mehr.
*
»Adina ist ein Naturtalent«, meinte Pünktchen zu Nick. Sie waren zu dritt ausgeritten. Adina saß auf einem braunen Wallach, der zum Gestüt der von Schoeneckers gehörte.
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Dominik von Wellentin-Schoenecker. »Ich habe noch niemanden kennengelernt, der nach relativ wenigen Reitstunden schon so gut auf einem Pferd gesessen hätte wie Adina.«
»Dabei war ich auch nicht gerade untalentiert«, bemerkte Pünktchen und knuffte ihn in die Seite.
»Anwesende sind immer ausgeschlossen«, erklärte Nick lachend. »Zudem ist Adina gewöhnlich nur auf dem Pferd zu ertragen.«
»Also in letzter Zeit hat sie sich ziemlich zusammengenommen«, verteidigte Pünktchen sofort die Zimmerkameradin.
»Sieh an, gerade sah es noch so aus, als wärst du eifersüchtig«, meinte Nick. Er saß mit Pünktchen am Waldrand, während Adina wieder einmal nicht aus dem Sattel zu bekommen war. Sie wollte noch einige Minuten reiten, bevor sie sich ausruhte und zu ihnen setzte.
»Doch nicht auf Adina.« Pünktchen griff in die Keksdose, die ihnen Magda vorsorglich mitgegeben hatte. »Anfangs war sie ja wirklich eklig, aber inzwischen ist sie gar nicht mehr so übel.«
»Ich glaube, sie vermißt eine Mutter«, vermutete Nick.
»Sie spricht doch so gut wie nie von ihrer Mutter.«
»Das könnte ein Grund sein«, meinte Nick. »Übrigens ist meine Mutter auch dieser Meinung. Adina hat einen netten Vater, aber der hat kaum Zeit für sie. Ihre Großmutter ist alles andere als mein Fall. Weißt du noch, wie sie meine Mutter gefragt hat, ob sie es wirklich nötig hätte, sich mit fremden Gören abzugeben?«
»Ihrer Meinung nach gehörten wir alle in ein strenges Heim à la anno neunzehnhundert. Das heißt, nicht alle. Du und Henrik natürlich nicht. Ihr gehört ja zu einer Familie.«
»So ähnlich hat sie sich ausgedrückt.« Nick kicherte. »Ich bin nur froh, daß sie ihre Enkelin nicht jeden Tag besucht. Zweimal die Woche ist mehr als genug.«
»Und nach jedem Besuch ist es besonders schwer, mit Adina auszukommen«, sagte Pünktchen. Sie beschattete die Augen mit der Hand und blickte angestrengt in die Richtung, in der Sophienlust lag. »Sag mal, kommt da nicht Henrik?«
Nick blickte in die angegebene Richtung. »Tatsächlich!« Er sprang auf. »Er wollte doch mit Fabian ein Baumhaus bauen.«
Es dauerte noch zwei Minuten, bis Henrik von Schoenecker sie erreicht hatte. Er sprang von seinem Fahrrad. »Adina soll nach Hause kommen«, rief er ihnen zu. »Ihr Vater und eine fremde Frau sind da.«
»Was für eine Frau denn?« erkundigte sich Pünktchen.
Henrik hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Sie sieht jedenfalls nett aus.«
»Ob Herr Kayser eine Freundin hat«, überlegte Pünktchen laut.
»Laß das nur nicht Adina hören«, sagte Nick besorgt.
»Hältst du mich für so blöd?« fragte Pünktchen leicht gekränkt.
»Natürlich nicht«, versicherte Nick hastig. Er legte den Arm um ihre Schultern. Mit seiner freien Hand winkte er Adina her, die gerade in ihre Richtung sah.
»Ich radle wieder zurück«, sagte Henrik. »Sonst behauptet Fabian nachher, er hätte das Baumhaus völlig allein gebaut.« Er schwang sich auf sein Rad und sauste davon.
Adina brachte ihren Wallach kurz vor Pünktchen und Nick zum Stehen. »Was ist denn?« fragte sie. »Ich habe keine Lust, etwas zu essen. Ich reite viel lieber.«
»Dein Vater ist gekommen«, sagte Nick. »Henrik war gerade hier. Du sollst nach Hause kommen.«
»Du meinst nach Sophienlust«, korrigierte Adina hoheitsvoll. »Mein Zuhause ist nicht hier.«
»Egal wie du das siehst, jedenfalls möchte dich dein Vater sehen«, sagte Pünktchen. »Am besten, wir reiten alle zurück. Was meinst du, Nick? Wir könnten ja nachher noch einmal ausreiten.«
»Einverstanden.« Der Sechzehnjährige bückte sich und räumte den Picknickkorb wieder ein, während Pünktchen die Pferde losband.
»Vielleicht komm’ ich dann wieder mit«, sagte Adina. Sie blickte vom Rücken ihres Wallachs auf Pünktchen und Nick hinunter.
»Dein Vater ist bestimmt nicht nur zu einer Stippvisite hier«, erwiderte Nick. Er befestigte den Korb am Sattel seines Pferdes.
»Du willst nur nicht, daß ich euch störe«, erklärte Adina, sich voll bewußt, wie ungezogen das war. Sie drückte die Schenkel an die Seiten ihres Wallachs und ritt davon.
»Manchmal möchte ich sie nehmen und…« Nick lachte auf. »Komm, Pünktchen, machen wir, daß wir nach Hause kommen.« Er wartete, bis sich Pünktchen in den Sattel geschwungen hatte, bevor er ebenfalls aufsaß.
*
»Sie kamen mir gleich so bekannt vor«, sagte Denise von Schoenecker zu Birgit Keller. »Ich wußte nur nicht, wo ich Sie einordnen sollte. Die Welt ist doch klein. Daß wir uns beim Konzert in Maibach kennengelernt haben, hatte ich völlig vergessen.«
»Kein Wunder, unsere Begegnung war ja auch nur kurz«, erwiderte Birgit. Bewundernd blickte sie sich in dem herrlichen Biedermeierzimmer um. Sie liebte schöne Möbel über alles, und diese hier gehörten zu den schönsten, die sie je gesehen hatte.
»Man merkt, daß Sie mit Antiquitäten zu tun haben«, sagte Denise lächelnd. »Die Einrichtung dieses Zimmers stammt noch aus der Zeit, als Sophienlust ein Herrensitz war. Sophienlust gehörte der Urgroßmutter meines Sohnes Nick. Sie vererbte ihm den ganzen Besitz mit der Auflage, aus ihm ein Heim für elternlose oder Geborgenheit suchende Kinder zu machen.«
»Wie alt ist denn Ihr Nick?« fragte die Besucherin. Sie erinnerte sich des Jungen, den sie beim Konzert mit den beiden Mädchen gesehen hatte.
»Sechzehn erst, aber er nimmt seine Aufgabe schon seit Jahren sehr genau und setzt sich auch für die Kinder ein«, antwortete die Gutsbesitzerin. »Allerdings verwalte ich das Heim noch, bis er volljährig ist.«
»Eine schöne Aufgabe«, meinte Birgit.
»Für Kinder zu sorgen ist die schönste Aufgabe, die man sich denken kann«, sagte Denise ernst. »Und ich finde es von Ihnen fabelhaft, daß Sie nun für Adina sorgen wollen.« Sie sah Wolfgang Kayser an.