Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman. Toni Waidacher
nickte. »Er kommt sofort, telefoniert nur noch mit einem Lieferanten.« Er wandte sich Martina zu. »Und du willst meine Schwester werden?« Sein Lächeln hatte etwas Zynisches, als er sie von oben bis unten musterte.
»Wer sagt da was von wollen?«, fragte Tina schnippisch zurück. Ihre schönen blauen Augen waren dunkel geworden. Zorn stieg in ihr auf. Alle die schlimmen Bilder, die sie sich während der Fahrt ausgemalt hatte, schienen sich nicht nur zu bewahrheiten, sondern sich auch noch zu verselbstständigen. Anscheinend war es noch schlimmer als befürchtet.
»Ich will nur die Hochzeit meiner Mutter abwarten, und dann gehe ich zurück nach Starnberg. Also keine Angst, ich werde Ihnen den Platz net streitig machen.« Aus Protest übersah sie beflissen die vertraute Anrede.
»So zornig? Das schadet deiner Schönheit, liebes Schwesterl.« Klaus wurde immer ironischer. Er ärgerte sich über sich selbst, denn er merkte, dass die Fremde ihm auf Anhieb ziemlich sympathisch war. So etwas durfte ihm nicht passieren. Seit er von der bevorstehenden Heirat seines Vaters erfahren hatte, war er dabei, sich gegen jede Freundlichkeit von der verhassten Seite zu wappnen.
Tina jedoch hatte beschlossen, sich von dem Bauernsohn nicht provozieren zu lassen. Kühl lächelnd zuckte sie die Schultern. »Ich werde schon auf meine Schönheit aufpassen. Da brauch ich net so einen ungehobelten Klotz von Bauernsohn, der mir sagt, was mir schadet.« Ohne auf seine Reaktion zu warten, ging sie ein paar Schritte vom Haus weg.
Monika hatte ziemlich verwirrt die Auseinandersetzung von Tochter und künftigem Stiefsohn mit angehört. Es war offensichtlich, dass ihre Träume von einem trauten Heim sich so wohl nicht bewahrheiteten.
Erleichtert lief sie auf Paul zu, der gerade aus dem Haus gelaufen kam. »Entschuldige, Schatzerl, ich war noch am Telefon, hab’ aber so schnell wie möglich abgebrochen. Ihr habt euch schon mit Klaus bekannt gemacht?«
»Das kann man wohl sagen«, antwortete Monika und wartete darauf, dass er sie umarmte, was er auch sofort tat. »Sie haben sich gleich gestritten. Das wird keine Freundschaft mit den beiden«, flüsterte sie ihm so leise ins Ohr, dass niemand sonst es hören konnte.
»Wie meinst das, Schatzerl?«, flüsterte Paul zurück. »Heißt das womöglich, dass du mich jetzt nimmer heiraten kannst, weil unsere Kinder sich net auf Anhieb so gut verstehen wie wir?« Er hielt sie noch immer innig in seinen Armen.
»Nein, natürlich net. Vielleicht fügt sich mit der Zeit alles von selbst. Darauf will ich hoffen.«
»Lass uns erst einmal auf Hochzeitsreise gehen«, fuhr er leise fort. »Wenn die beiden erst aufeinander angewiesen sind, wird es sich entscheiden, ob sie net doch noch Freunde werden können. Diese Zeit müssen wir halt abwarten.« Er hielt sie im Arm, als wollte er sie für alle Zeiten auf diese Weise beschützen.
»Welch ein Liebesglück«, spöttelte Klaus und starrte auf seinen Vater. »Sag bloß, du findest das Verhalten der beiden net peinlich.« Er wandte sich an Martina, die ebenfalls ein wenig neidisch der Mutter und ihrem Verlobten zugeschaut hatte.
»Warum denn?«, fragte sie gleichmütig zurück. Sie wollte ihm ihre Gefühle nicht preisgeben, wollte ihm nicht zeigen, dass sie sich für sich selbst ebenfalls so eine Liebe wünschte, in der sie sich so geborgen fühlen konnte. »Meine Mutter hat es verdient, dass sie endlich glücklich wird. Bei deinem Vater kann ich das net sagen, da ich ihn net kenne.«
»Du wirst ihn schon noch kennenlernen«, sagte Klaus. »Und mich auch, das darfst mir glauben.«
Es klang wie eine Drohung.
»Ich glaub’s dir«, antwortete Tina. Über ihren Rücken lief eine Gänsehaut.
*
Das Zimmer, das Paul Anstätter ihr zugewiesen hatte, war hell und freundlich eingerichtet. Ein breites Bett stand an der linken Wand hinter der Tür, und gegenüber der Tür war ein großes Fenster, das um diese Jahreszeit die Morgensonne ungehindert einließ.
Nach dem Abendessen, das sie gemeinsam eingenommen hatten, war sie etwas frustriert und ziemlich müde nach oben gegangen. Sie wollte nur noch allein sein und über alles in Ruhe nachdenken können.
Doch dazu kam es nicht mehr. Kaum zehn Minuten, nachdem sie sich ausgezogen und ins Bett gelegt hatte, war sie auch schon eingeschlafen. Das Buch, in dem sie noch versucht hatte zu lesen, fiel zu Boden, aber auch das hörte sie nicht mehr.
Als sie am nächsten Morgen schon ziemlich früh die ersten Sonnenstrahlen an der Nase kitzelten, öffnete sie die Augen. Im ersten Moment nahm sie kaum etwas wahr, war noch zu gefangen in ihrem letzten Traum. Alles war verworren gewesen, deshalb konnte sie sich auch nicht gleich zurechtfinden.
Erschrocken richtete sich Tina auf. Ihre langen blonden Haare, die weit über ihre schmalen Schultern fielen, kringelten sich in weichen Locken ineinander, dass sie aussah wie ein Engel.
Doch das wusste die junge Frau natürlich nicht. Ihre Gedanken gingen in eine ganz andere Richtung. Nach und nach fiel ihr nämlich wieder ein, wo sie sich befand und zu welchem Zweck. Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie, obwohl es dafür eigentlich gar keinen besonderen Grund gab. Lediglich die Abneigung ihres künftigen Stiefbruders störte sie etwas, aber doch gewiss nicht so sehr, dass es ihr bei dem Gedanken, ihm gleich wieder begegnen zu müssen, den Appetit verdarb.
Eine Viertelstunde blieb Martina noch im Bett liegen, reckte und streckte sich und versuchte dabei, ihre Gedanken zu ordnen und zu sammeln. Drei Wochen waren es bis zur Hochzeit ihrer Mutter. So lange musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen, denn sie wollte ihr nicht den schönsten Tag verderben. Die Mutter hatte es verdient, glücklich zu werden.
Nach einer Weile stieg sie entschlossen aus dem Bett und lief barfuß in das angrenzende kleine Bad. Die Spiegelleuchte flammte auf, denn in diesem Raum war kein Fenster. Dennoch wirkte alles sauber und glänzend und vor allem hell und freundlich.
Martina stand vor dem Spiegel und betrachtete sich. Die auffallend blauen Augen sahen etwas müde aus, und die langen blonden Haare waren noch wirr von der Nacht. Dennoch wußte sie, dass sie mit wenigen Handgriffen ihr Bild so würde verändern können, dass sie zufrieden mit sich sein konnte. Es war das Vorrecht ihrer Jugend, auch nach einer nicht so guten Nacht noch frisch auszusehen.
Rasch schlüpfte sie in ihren bunten Sommerrock, der locker ihre schlanken Beine umspielte, und wählte dazu ein einfarbig hellblaues Sommershirt, das ihre blonden Haare bestens zur Geltung brachte. Ein letzter Blick noch in den Spiegel, dann verließ sie ihr Zimmer.
Jetzt sah sie erst, wie geschmackvoll das ganze Haus eingerichtet war. Ein richtiges Bauernhaus hatte sie sich etwas anders vorgestellt, einfacher und vielleicht auch ein wenig ärmlich. Dieses Haus hier jedoch strahlte eine Ruhe aus, eine gepflegte Bescheidenheit, die man sich nur leisten konnte, wenn man beim Einkaufen nicht nach dem Preis fragen musste.
Ein dicker Teppich, der den ganzen Flur des oberen Stockwerks bedeckte, schluckte jedes Geräusch, und an den Wänden hingen Bilder, denen man ansehen konnte, dass es Originale waren, zwar keine bekannten, aber eben doch Originale.
Martina fand problemlos die Küche. Der Duft nach frischem Kaffee wies ihr den Weg, so dass sie gar nicht fehl gehen konnte. Die Tür war nur angelehnt, und anscheinend befanden sich bis jetzt nur Vater und Sohn beim Frühstück.
»… das hatte ich dir nicht geglaubt, Vater. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass du deine Drohung wahr machen könntest«, schnappte Martina als Gesprächsfetzen auf.
Sie blieb wie angewurzelt stehen. Ihr fröhliches »guten Morgen« blieb ihr im Halse stecken. Es war für sie offensichtlich, dass die beiden Männer über sie, Martina, und über ihre Mutter sprachen.
Obwohl es gegen ihre Natur war, blieb sie stehen und lauschte. Doch die Männer schwiegen kurz. Dann hörte sie wieder
Pauls Stimme, die etwas bedrückt klang.
»… im Grunde geht es dich doch gar nix an, Klaus. Du bist erwachsen und hast bald dein eigenes Leben. Ich will net allein zurückbleiben als der alte Zausel vom Berg. Noch bin ich jung genug, um für eine eigene Familie sorgen zu können. Das