Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman. Toni Waidacher
in die weichen Decken ein und schloss die Augen. Sie war überzeugt davon, dass sie keinen Moment würde schlafen können. Klaus machte die Deckenlampe aus, es war ziemlich dunkel im Zimmer. Irgendwann glitt die junge Frau trotz aller Ängste, trotz allen Kummers doch hinüber in das Reich der Träume. Es nahm sie gefangen und schenkte ihr für ein paar Stunden Vergessen.
Klaus hatte dagegen mehr Schwierigkeiten. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, und trotz aller Sorgen, die er sich um den Vater und dessen Frau machte, empfand er Martinas Nähe nicht nur als angenehm, sondern als ausgesprochen beruhigend.
Viele Dinge gingen ihm durch den Kopf, auch sein wechselhaftes Verhalten, über das er sich bis jetzt kaum Gedanken gemacht hatte. Jetzt jedoch suchte er nach Antworten auf seine vielen Fragen. Vor allem den Grund suchte er dafür, dass er an einem Tag besonders liebenswürdig zu Martina gewesen war, am nächsten Tag jedoch abweisend, fast bösartig ihr das Leben auf dem Hof schwer gemacht hatte.
Jetzt dämmerte ihm langsam, woran das lag. Seine bittere Erfahrung mit Carola, die der Vater so überstürzt auf den Hof geholt und die es wirklich nur auf ein bequemes Leben abgesehen hatte, steckte ihm noch in den Knochen. Aber Martina und ihre Mutter waren anders. Sie waren offen und ehrlich, und sie wollten sich nicht nur verwöhnen lassen und das Leben genießen. Sie waren beide bereit, auch mit anzupacken, damit kein Stillstand eintrat.
Am liebsten hätte Klaus Martina jetzt noch einmal geweckt, um ihr zu sagen, wie leid ihm sein Verhalten der letzten Wochen tat, wie sehr er bereute, ihr das Leben so schwer gemacht zu haben, dass sie bereits zweimal von hier verschwinden wollte, ohne ihm etwas davon zu sagen.
Wie furchtbar musste es für Martina gewesen sein, dass ausgerechnet sie, die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in Person, wie eine Schwerverbrecherin behandelt wurde, der man nur nichts nachweisen konnte. Und das alles war aus dem Gefühl der Eifersucht geschehen, aus der Angst, die Liebe des Vaters zu verlieren. Dabei hätte er wissen müssen, dass dies gar nicht möglich war, dass er immer sein Vater sein würde, ein Band, das nur der Tod trennen konnte.
Jetzt fiel ihm der Unfall wieder ein, und die Angst um seinen Vater und auch um Monika wurde immer größer. In diesem Moment tat er einen Schwur, den er niemals brechen würde. Wenn der Vater und seine Frau wohlbehalten zurückkehrten, würde er mit Martina und auch mit Monika sprechen und ihnen alles erklären, selbst wenn er damit das Risiko einging, deren Freundschaft damit vollends zu verlieren.
Die Gewissensbisse wurden immer schlimmer. Klaus drehte sich auf seinem Sofa von einer Seite auf die andere, aber er wurde immer wacher. Schließlich war er so nervös, dass er aufstand und sich aus der Küche ein Glas Wasser und eine leichte Schlaftablette holte. Immerhin musste er am nächsten Morgen wieder fit sein. Nur nachdenken wollte er nicht, denn inzwischen konnte er sich selbst nicht mehr verstehen.
Nach einer guten halben Stunde endlich tat die Tablette ihre Wirkung. Klaus fielen die Augen zu, und die drückenden Gedanken kamen immer langsamer, zögernder. Schließlich war auch er eingeschlafen.
Das gnadenlose Schrillen des Telefons, das sie in die Mitte zwischen sich auf den Tisch gelegt hatten, holte beide aus ihren Träumen. Martina öffnete erschrocken die Augen und wusste im ersten Moment gar nicht, wo sie war und weshalb sie die Nacht nicht in ihrem eigenen Bett verbracht hatte, sondern in der Stube.
Klaus drehte sich brummend auf die andere Seite und zog sich die blaue Wolldecke über den Kopf. Die Wirkung der Tablette hatte noch kaum nachgelassen.
So war es Martina, die sich als Erste wieder erinnerte und den Hörer von der Gabel riss. Sie meldete sich mit Namen und lauschte. »Sind Sie ganz sicher? Ich meine…« Ihre Hand zitterte heftig, mit dem sie den Hörer ans Ohr presste.
Jetzt war auch Klaus ganz wach. Sofort standen auch die Ereignisse des gestrigen Nachmittags wieder vor seinem geistigen Auge. »Wer ist es?«, fragte er aufgeregt. »So red doch. Was ist mit den Eltern?«
Martina schwieg. Ihre Lippen zitterten. Sie bedankte sich und legte den Hörer auf die Gabel zurück. Dann schaute sie Klaus an, ohne etwas zu sagen.
»Ist es…. sind sie… tot?«
Martina schüttelte den Kopf. »Sie leben beide, und es geht ihnen gut.« Sie wirkte wie erstarrt, als könnte sie diese wundervolle Nachricht noch gar nicht glauben.
Klaus schüttelte den Kopf. Noch immer schien er nichts zu begreifen. Langsam erhob er sich und trat ans Fenster, starrte blicklos nach draußen.
Verwundert schaute Martina ihm nach. Sie wusste nicht, was sie von seinem Verhalten denken sollte. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er in Jubel ausbrechen würde. Und nun kam gar nichts.
Da sah sie, dass seine Schultern zuckten. Er weinte. Die Anspannung der letzten Stunden fiel von ihm ab, und er hatte plötzlich keine Kontrolle mehr über seine Reaktion. Erst als er eine sanfte Hand auf seiner Schulter spürte, zuckte er zusammen, wischte sich hastig das Gesicht ab. »Es ist nix«, murmelte er und wandte sich ab.
»Ich weiß«, antwortete Martina leise. »Ich weiß…«
*
Zwei Tage später kamen Paul und seine Frau um eine Woche früher als geplant nach Hause zurück. Sie sahen glücklich aus, doch auch, wenn der Unfall keine Verletzungen verursacht hatte, so sah man ihnen die Anspannung der letzten Tage doch an.
Martina hatte zur Begrüßung eine Torte gebacken und den Esstisch schön mit Blumen dekoriert, und Klaus hatte sich beeilt, damit er mit der täglichen Arbeit auf dem Hof heute etwas früher fertig wurde, um Zeit für Vater und Stiefmutter zu haben.
Beide freuten sich sehr, die Eltern bald wieder um sich zu haben.
Endlich würde das Schreckgespenst der Unfallmeldung sein Gesicht verlieren, wenn sie sich selbst davon überzeugt hatten, dass nichts geschehen war.
Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten sehr groß. Bis weit in die Nacht hinein saßen sie am Tisch, und die Eltern erzählten und erzählten, auch von dem Unfall, der zum Glück kein Menschenleben gekostet hatte. Einige der Mitfahrenden waren leicht verletzt worden, aber keiner hatte lange im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Der Bus war lediglich ein ganzes Stück einen Abhang hinuntergesaust, doch seine Fahrt war durch das Können des Fahrers rasch gebremst worden, der den Bus immer wieder an die Felswand gelenkt und diese gestreift hatte, um das Tempo auf diese Weise zu drosseln. Die Zeit bis zur Entdeckung und Bergung der Buspassagiere hatte sich allerdings als eine nervenzerfetzend langwierige Angelegenheit gestaltet. Zumal sich niemand mit dem Handy mit der Außenwelt in Verbindung setzen konnte, da sie offensichtlich in einem Funkloch gelandet waren.
Monika versuchte immer wieder, im Gesicht ihrer Tochter zu lesen, ob sich das Verhältnis zwischen den beiden jungen Leuten inzwischen gebessert hatte. Doch Martina konnte ihr dazu nichts sagen und auch nichts signalisieren, denn sie wusste es selbst nicht.
Zwar hatte sich seit jenem Morgen, als sie Klaus in Tränen gesehen hatte, einiges gebessert, doch eine klärende Aussprache hatte es noch immer nicht gegeben. So war die junge Frau noch immer entschlossen, bald nach Starnberg zurückzukehren.
Spät in der Nacht verabschiedeten sich die Eheleute von ihren Kindern, denn sie waren rechtschaffen müde. Monika folgte ihrer Tochter noch in die Küche unter dem Vorwand, ihr beim Spülen helfen zu wollen. Die beiden Männer blieben bei einem Glas Wein in der Stube.
»Und, wie ist es gelaufen?«, fragte die Mutter, nachdem sie leise die Tür geschlossen hatte. »Ich hab’ mir große Sorgen gemacht, ob hier auch alles läuft, nachdem du und Klaus ständig im Kampf gelegen hattet. Hat sich euer Verhältnis endlich etwas gebessert?«
Martina fiel ihrer Mutter um den Hals. »Ich bin so unendlich glücklich, Mutti, dass du heil wieder da bist. Du kannst dir net vorstellen, was für Angst wir um euch gehabt haben«, sagte sie statt einer Antwort auf die Frage.
»Wir haben uns ja gleich gemeldet, als wir endlich wieder im Ort waren. Zuvor bat ich einen der Polizisten, so schnell wie möglich bei euch anzurufen, was er ja auch getan hat.« Liebevoll streichelte die Mutter über den Rücken ihrer Tochter. »Und nun erzähl, wie ist