Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman. Toni Waidacher
fühlte er sich wie gerädert, als er am nächsten Morgen erwachte. Albträume hatten ihn geplagt, die alle irgendwie mit Martina zu tun gehabt hatten. Einmal hatte er sogar verzweifelt versucht, sie aus Bergnot zu retten, und dann war sie ihm doch entglitten. Da hatte ihn eine unerträgliche Verzweiflung gepackt, die er mit in den Tag nahm.
Noch immer verwirrt saß er an seinem Bettrand und versuchte, sich zu sammeln. Ein harter Arbeitstag lag vor ihm, denn das Heu von der großen Wiese am Weiher musste eingebracht werden. Für den heutigen Tag waren schwere Unwetter angesagt worden, und noch wusste er nicht, wie er alles rechtzeitig vor dem Regen schaffen sollte.
Draußen dämmerte es bereits, als er endlich angezogen in der Küche stand und sich einen Kaffee aufbrühte. Angenehmer Kaffeeduft weckte seine Lebensgeister, und einen Moment lang überlegte er sogar, ob er nicht ein Tablett mit Kaffee, Brötchen und einem weich gekochten Ei zu Martina bringen und sie um Hilfe bitten sollte.
»Bist jetzt ganz narrisch geworden, Klaus?«, fragte er sich selbst und schüttelte den Kopf. »Da setzt deine ganze Kraft ein, um diese Person wegzuekeln, und dann willst ihr Frühstück ans Bett bringen.«
Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und stöhnte erschrocken auf, weil er sich den Mund heftig verbrannt hatte.
Der Wetterbericht im Radio
bereitete ihm Kopfzerbrechen. Noch immer redete der Ansager von heftigen Unwettern und starken Regengüssen. Das Heu, von der Sommersonne ohne Unterbrechung getrocknet und würzig duftend, würde einen Großteil seines Wertes verlieren, wenn es nass wurde. Doch wie sollte er die viele Arbeit schaffen? Der Vater war nicht da, um beim Einbringen zu helfen, und einer der Knechte hatte sich am Fuß verletzt, dass er die nächsten Tage gänzlich ausfiel.
Sorgenvoll trat der Mann ans Fenster. Leichte Schritte hinter ihm ließen ihn herumfahren. »Ich hab’ Kaffee gerochen.« Martina sah wunderschön aus mit den wirren Haaren und der Bluse, die sie über ihre Jeans gezogen hatte. »Entschuldige, ich dachte, Zenz wäre hier.«
»Sie ist heut bei ihrer Schwester«, antwortete Klaus kühl. Das jedoch kostete ihn große Anstrengung, denn mit einem Mal begann sein Herz heftig zu klopfen. Er blickte auf Martinas schlanke Gestalt, ihre langen Haare, die ihre Schultern umspielten, und in diesem Moment ergriff ihn eine unbändige Sehnsucht nach ihrer Nähe.
»Dann geh ich besser wieder.«
»Bleib.«
Überrascht blieb sie stehen und blickte ihn kühl an. »Wie bitte?«
»Bleib bitte, ich möchte mit dir reden.«
»Ich wüßte net, worüber. Heute Nachmittag bist mich endgültig los. Ich hab’ es gestern nimmer geschafft, alle meine Sachen zu packen. Aber ich versprech, dass ich mich beeilen werde, damit ich dir net länger als unbedingt nötig zur Last falle.« Sie lächelte abfällig.
»Das hab’ ich net gemeint. Ich… wollte dich bitten, noch etwas zu bleiben und mir zu helfen. Ich seh mich sonst net raus mit der vielen Arbeit. Immerhin geht es auch um die Zukunft deiner Mutter. Das Heu muss eingebracht werden, und es soll regnen. Heut brauch ich jede Hand.« Alle Wut war aus seiner Stimme verschwunden.
»Das kann net dein Ernst sein.«
Er nickte. »Doch, ist es. Ich bitte dich zu bleiben und mir zu helfen. Ich… hab’ keine andere Wahl. Du hast deiner Mutter versprochen, dass du bleibst. Glaubst net, dass sie von dir enttäuscht wäre, wennst dein Versprechen net einhältst?«
»Sie wird es verstehen, wenn ich es ihr erkläre.« Martina war schon wieder an der Tür. »Ausgerechnet du machst einen Rückzieher. Ich glaub es ja net. Und du denkst, ich bin so ein dummes kleines Hascherl, das alle seine Pläne wieder umwirft, nur weil der große Bruder gerufen hat.«
Klaus verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Etwas an dem, was sie eben gesagt hatte, verursachte ihm schon wieder ein körperliches Unbehagen, das sich bis zur Schmerzgrenze zu steigern schien. »Ich bin net dein Bruder«, knurrte er, nur um etwas zu sagen. »Wennst Frieden haben willst mit mir, dann vermeidest in Zukunft diese Bezeichnung für mich. Ich bin Klaus, nix weiter.« Die Kaffeetasse in seiner Hand zitterte plötzlich.
»Ob du nun mein Bruder bist oder einfach nur der Sohn meines Stiefvaters, ist mir gleich. Du willst mich net da haben, und ich mag inzwischen auch net. Und ich empfinde es als eine Unverschämtheit von dir, dass du mich zum Bleiben bewegen willst, nur weil dir die Arbeit über den Kopf wächst. Das hättest dir vorher überlegen müssen, ehe du mir das Leben hier so sauer machst.«
»Dein letztes Wort?«
Sie nickte. »Mein letztes Wort. Ich hab’ dir nie etwas getan, und du bist mir vom ersten Augenblick an mit Misstrauen entgegengetreten, hast getan, als wollte ich euch ausrauben. Glaub mir, das hab’ ich net nötig. Mit meinem Job kann ich sehr gut für mich selbst sorgen. Oder was glaubst, wen ich ausgeraubt hab’, um mir die Eigentumswohnung in Starnberg zu kaufen?« Triumphierend starrte sie ihn an.
»Ich weiß das ja alles, und es tut mir auch leid. Vermutlich hab’ ich mich net ganz richtig verhalten. Aber du musst auch mich verstehen. Erst vor zwei Monaten, als die Heirat zwischen deiner Mutter und meinem Vater schon beschlossene Sache war, hab’ ich davon erfahren. Ich musste ja annehmen, dass er irgendwelchen Glücksrittern aufgesessen ist. Bei Carola war es ja auch net anders, die hat er sich von einem Seminar aus München mitgebracht. Und die hatte es auch nur auf sein Geld abgesehen.«
»Ah, und das gibt dir das Recht, alle über einen Kamm zu scheren, net wahr?« Tinas Gesicht war blass vor Zorn. Am liebsten hätte sie den Mann gepackt und geschüttelt, wie er da so vor ihr stand, schuldbewusst, niedergeschlagen, wie ein kleiner Junge, den man bei einem Vergehen erwischt hatte.
»Hast ja recht. Dann schließen wir einen Kompromiss. Du bleibst noch, und ich werde in dieser Zeit friedlich sein, dich net angreifen, und – ich bezahl dir zehn Prozent mehr als einer Magd. Dafür bleibst, bis wir das Heu in der Scheune haben. Na, was sagst dazu?«
Martina hatte plötzlich das unerträgliche Gefühl, im falschen Film zu sein. Die Situation war irgendwie entwürdigend für sie, obwohl sie merkte, dass es ihm wirklich ernst war mit seiner Verzweiflung. Er wollte sie nicht beleidigen, sondern um jeden Preis halten. Und genau das wollte sie auch, sie wollte bleiben. Denn in diesem Moment merkte Martina, dass sie sich verliebt hatte, in diesen Mann, der sie die ganze Zeit über nur schlecht behandelt hatte. Welch ein Widersinn!
Noch ehe sie nachdenken konnte, schüttelte sie den Kopf. »Ich hab’ alles versucht, aber mit dir ist kein Auskommen. Ich will dich net als allein Schuldigen hinstellen, aber ich weiß wirklich net mehr, was ich noch machen soll, dass du mir glaubst. Ich hatte nie einen richtigen Vater, hatte nie Familie. Dafür sind Mutti und ich so eng zusammengewachsen, dass ich immer dachte, es würde so weitergehen bis ans Ende aller Tage. Dann kam dein Vater und…«
Klaus schaute sie nachdenklich an. »So ähnlich war es auch bei uns. Und dann kam deine Mutter.«
»Siehst du, deshalb kann ich net hierbleiben. Zwischen uns beiden wird es nie Freundschaft geben können.« Sie schluckte, weil ihr plötzlich ein Schluchzen im Hals steckte. »Du denkst immer nur, alle wollen an euer Geld.«
»Ach, lass doch den Quatsch. Das war nur ein Vorwand, um Vater von dem unsinnigen Gedanken an Heirat abzubringen. Aber das hat net funktioniert. Bleibst jetzt, da wir uns ausgesprochen haben?«
»Ich weiß net, was ich machen soll.«
»Bleib, ob mit oder ohne Bezahlung. Ich weiß, der Vorschlag eben war gemein. Ich bin gemein. Und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen.«
»Wir brauchen euer Geld net«, versuchte Martina noch einmal schwach, ihren Standpunkt klarzumachen. Sein Verdacht, ihre Mutter und sie könnten es auf finanzielle Sicherheit abgesehen haben, tat noch immer sehr weh.
»Das ist jetzt net so wichtig«, lenkte er ab, weil ihm das Thema höchst unangenehm war. »Lass mich net im Stich, Martina. Wir versuchen, die restliche Zeit, so gut es geht, miteinander auszukommen, und dafür hilfst mir heute und vielleicht