Augmentationschirurgie. Hendrik Terheyden
mit anderen weichen Materialien, wie PRF-Membranen und Kollagenvlies, ist förderlich, denn diese Materialein sind hydrophil und formen eine Art Gel, das keine Grenzfläche zur Körperflüssigkeit aufbaut. Auch zweischichtige Deckungen oder möglichst dicke Weichgewebelappen (Weichgewebeaugmentationen) verlängern die Strecke, die die Bakterien zurücklegen müssen. Für alles gibt es klinische Beispiele.
Sehr effektiv ist es auch, den Bakterien erst gar keine Wachstumsgrundlage in Form von Fest-flüssig-Grenzflächen zu bieten. Mit anderen Worten, je weniger Fremdmaterial man in die Wunde einbringt, umso eher kann man eine Infektion vermeiden. Ein gutes Beispiel ist die Distraktionsosteogenese, die außer dem Distraktor kein Fremdmaterial benötigt und sich klinisch praktisch nie infiziert.
Wenn dann doch ein Biofilm im Inneren der Wunde entstanden ist, sollten die hineingewanderten Bakterien möglichst wieder hinausbefördert oder abgetötet werden. Daher ist es in der Logik der Biofilmtheorie sinnvoll, die Patienten nach einer Augmentationsoperation ab dem dritten Tag regelmäßig einzubestellen, um die Nahtlücken lokal desinfizierend auszuspülen und die Nachbarzähne zu reinigen oder mit Chlorhexidingel zu bedecken.
Die Stichkanäle einer Naht sind eine Schwachstelle. Man sollte klinisch einen guten Kompromiss zwischen der Brückenbildung für Bakterien und dem Zusammenhalten der Wundränder finden. Bei der normalen Intraoralchirurgie liegt dieser bei der Nahtentfernung nach 7 Tagen, bei Augmentationsoperationen wird eher 10 Tage mit der Nahtentfernung gewartet.
2.13Verzicht auf die plastische Deckung
Wenn die Naht ohnehin keinen sicheren Schutz vor Bakterien darstellt und die Barrierefunktionen von PRF und Membranen ausreichen, kann man sich grundsätzlich überlegen, auf den dichten Wundverschluss über bestimmten Materialien und Defekten, zum Beispiel bei der Guided Bone Regeneration (GBR) (siehe Kapitel 6), zu verzichten und von vornherein eine offene Wundbehandlung zu favorisieren33. So spart man sich die Weichgewebemobilisation, die für einen Großteil der postoperativen Schwellung und Hämatome verantwortlich ist. Bei der Ridge Preservation ist dies schon heute Standard (siehe Kapitel 10).
2.14Zunehmende Antibiotikaresistenz
Nach der Theorie des Holobionten ist höheres Leben überhaupt nur unter der Toleranz der Bakterien möglich, denn diese waren weit vor uns da und haben seit jeher wichtige Funktionen im menschlichen Körper. Diese Funktionen sind vor allem die Abwehr pathogener Erreger durch Eubiose, also einen Gleichgewichtszustand zwischen den bakteriellen Spezies34. Man kann also nur mit den Bakterien arbeiten, aber nicht gegen sie. Ziemlich unbeachtet in der Zahnheilkunde ist der potenzielle Schaden an der Darmflora durch Langzeitantibiosen35. Daher sind massive prolongierte Antibiosen mit Reserveantibiotika in der elektiven Augmentationschirurgie der Zahnheilkunde der falsche Weg. Prophylaktische Single-shot-Antibiosen sind möglicherweise bezüglich Darmfloraschädigung und Resistenzentwicklung nicht so kritisch zu werten. Augmentationsverfahren sollten so verbessert und angewendet werden, dass Single-shot-Antibiosen ausreichen.
Im Dekadenvergleich ist eine zunehmende Resistenzlage der Bakterien gegen die in der Zahnheilkunde üblichen Antibiotika zu verzeichnen36 (Abb. 2-27). Die bakteriellen Resistenzen sind geografisch nicht gleich verteilt, wie auf dem Atlas des European Centre for Disease Prevention and Control im Internet einsehbar ist (https://www.ecdc.europa.eu/en/antimicrobial-resistance) (Abb. 2-28). Bakterielle Resistenzen gegen Penicillinantibiotika betreffen Südosteuropa und Asien viel stärker als Nordwesteuropa. Zu dieser geografischen Imbalance trägt ein freier Verkauf von Antibiotika in manchen Gesundheitssystemen, der massive Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und die Auslagerung der Antibiotikaproduktion mit entsprechenden Produktionsabwässern nach Asien im Rahmen der Globalisierung bei. Dort ist es zur Anreicherung der Oberflächengewässer mit Antibiotikarückständen gekommen37. Das induziert die Verbreitung von antibiotikaresistenten Keimen in der freien Natur (https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/artikel-arzneimittel-forschung/wege-zu-verbindlichen-umweltstandards-in-der-antibiotika-produktion-in-asien.html), was in ähnlicher Weise auch in deutschen Krankenhausabwässern eintritt (http://www.denewa.eu/denewa/werkpakketten/behandeling-van-ziekenhuisafvalwater?lang=10).
Abb. 2-27 Zunehmende Entwicklung der bakteriellen Antibiotikaresistenz im Dekadenvergleich (modifiziert nach Boyanova L, et al. Anaerobe 2015:31:4–10).
Abb. 2-28 Geografischer Nordwest-Südost-Gradient beim methicillinresistenten Staphylococcus aureus (Quelle: Surveillance Atlas of Infectious diseases, European Center for Disease Prevention and Control).
Viele Patienten, die Langzeitantibiosen hinter sich haben, selektieren resistente Keime in ihrem Körper. Insbesondere betrifft dieses Patienten nach Tumorerkrankungen, aber unter Umständen auch voroperierte Patienten nach wiederholten implantologischen Komplikationen. Das kann nach der Erfahrung des Autors ein Grund sein, warum Wiederholungseingriffe häufig eine schlechtere Prognose als Ersteingriffe haben. In Hinsicht auf vorangegangene Langzeitantibiosen ist eine gründliche Anamnese demnach sinnvoll.
Bakteriellen Resistenzen wird klinisch häufig durch Ausweichen in potentere Wirkstoffklassen der Antibiotika begegnet. Neue Wirkstoffklassen werden aber zu den klassischen Wirkprinzipien der Antibiotika voraussichtlich nicht mehr hinzukommen bzw. neu entwickelt werden, weil die infrage kommenden molekularen Stoffwechselprozesse der Bakterien bereits ausgenutzt sind. Es ist weltweit gesundheitspolitisch wenig sinnvoll, die letzten Reserveantibiotika in nicht vital bedrohlichen Indikationen zu verschleißen38.
An- und Auflagerungsosteoplastiken erfordern eine Weichgewebemobilisation zur Deckung des zusätzlichen Volumens. Sie sind daher dehiszenz- und infektionsgefährdeter als Einlagerungs- und Interpositionsosteoplastiken, die meistens nur adaptierend genäht werden oder sogar ganz offen zur Mundhöhle liegen (z. B. Ridge Preservation). Auflagerungsosteoplastiken funktionieren in einem kontaminierten Umfeld fast nur unter antibiotischem Dauerschutz. Je mehr alloplastisches, allogenes oder sogar proteinhaltiges xenogenes Fremdmaterial verwendet wird, desto mehr steigt der Bedarf an die Potenz und die Dauer der Antibiose. Man sollte also als Arzt einige der materialgetriebenen Behandlungsstrategien in der Implantologie der letzten Jahre überdenken.
Einlagerungsosteoplastiken (z. B. Sinuslift) und Zwischenlagerungsosteoplastiken (z. B. Splittings, Sandwich) ersetzen zunehmend die An- und Auflagerungen. Sie bieten durch die Knochenbinnendefekte bessere Heilungsbedingungen und kommen mit Single-shot-Antibiotikaprophylaxen aus. Letztere haben kein großes Potenzial zur Förderung von Resistenzentwicklungen. Die Augmentation mithilfe von Interpositions- und Einlagerungstechniken ist eine mögliche Strategie gegen das Resistenzproblem in der Augmentationschirurgie.
Manchmal ist es nach der Erfahrung des Autors bei multipel antibiotisch behandelten Patienten besser, mit dem Verfahren