Abengs Entscheidung. Philomène Atyame

Abengs Entscheidung - Philomène Atyame


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auf die schwarz-weiße Liebe. Niemals aber holte Abeng Rat bei den vielen unbeholfenen jungen Mädchen in ihrer Umgebung. Da sie keine Mutter hatte und ihre Großmutter die Lust an Gesprächen über alte Lieben verloren hatte, bekam Abeng oft Ratschläge von ihrem Vater und ihrem Großvater.

      Eines Tages sagte Assam, Abengs Vater, zu seiner kleinen Tochter, daß sie die wahre Liebe nur in einer Ehe mit einem Gläubigen finden würde. Später erklärte er seiner erwachsenen Tochter, daß die Menschen in Europa so gut wie gar keinen Glauben mehr hatten. Irgendwann verriet er ihr seinen Wunsch, sie mit einem gläubigen Landsmann verheiratet zu sehen.

      In welcher Welt lebten unsere Väter? In welcher Zeit? Warum dachten sie weiter wie die Menschen im Mittelalter? Aber wenn sie recht hatten, dann hatten sich die Zeiten gar nicht geändert, wie man es immer zu glauben geben wollte. Nur, wer wußte es genau? Aber selbst wenn sie im Recht waren: ihre Kinder hatten immerhin Träume, die auch einen Sinn hatten und vielleicht eine Prophezeiung waren. Die Prophezeiung für eine bessere Zukunft?

      Abeng hatte einen Traum, der nicht ohne Sinn sein konnte. So nährte sie sich von der Hoffnung, von Assam eine Deutung zu bekommen. Die Gerichte für Schwarze und Weiße, der braune Wächter, die Quidproquos. Aber Abeng ahnte die Deutung ihres Vaters. ›Er wird von der Apokalypse sprechen, von dem Jüngsten Gericht. Er wird mir nur Angst machen, mir sagen, daß wir alle davor erscheinen werden. Dann wird er sagen, daß dieser Traum eine Warnung ist, daß Gott mich vor einer Ehe mit einem Weißen warnt, für mich ein Grund mehr, einen Gläubigen zu heiraten, der nur schwarz sein kann wie er.‹ Abeng wollte ihm deswegen nichts verraten, aber sie brauchte die Deutung eines Älteren. Sie erzählte Assam von ihrem Traum: ›Er war unglaublich. Eine Menge Gerichtshöfe, die meisten für schwarz-weiße Paare. Dann dieser Wächter, der mich zuerst zum Teufel schicken wollte, aber mir am Ende eine lange Rede hielt. Ich kann mich leider nicht an das ganze Gerede erinnern. Nur eins kann ich nicht vergessen: er sagte, daß schwarz-weiße Paare milde Strafen bekommen, weil die Schwarzen und die Weißen sich nicht gut kennen. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht. Die Richter dort richten wie Gott. Gott ist streng nur zu den Sündern, die ihn gut kennen. Zu allen anderen ist er sanft.‹ Dann fügte Abeng hinzu: ›Papa, ich werde einen Weißen heiraten.‹ Als Assam dies hörte, verging ihm die Sprache. Er schwieg tagelang, man hörte ihn nur noch Gebete sprechen: ›Möge der liebe Gott meine Tochter von dieser Versuchung ablenken.« Da aber unser Vater im Himmel auf seine Bitte nicht antwortete, wandte sich Assam an seinen leiblichen Vater.

      Für seinen Sohn hatte Akono Assam immer ein offenes Ohr gehabt, und er war ganz Ohr, als Assam ihm Abengs Absicht anvertraute. Er nannte das schlicht und einfach seinen Fall. Nur er, meinte Akono Assam, wußte solche Fälle zu lösen. ›Mach dir keine Sorgen! Ich kümmere mich schon darum‹, versprach er seinem Sohn.

      Schlau war Abengs Großvater. Mit einer rührenden Geschichte wollte er seinen ganzen Nachwuchs in alten Bräuchen gefangenhalten. Aber wer hinter diese Absicht kam, der ließ sich nicht mehr von ihm rühren. Um seine Nachkommen, wie er dachte, vor Weißen für immer zu schützen, stützte sich Akono Assam auf alte Bräuche, machte aus ihnen eine Macht und wurde selbst zu einer gefürchteten Macht im Dorf. Er suchte Lebensgefährten für alle, versprach Abeng einen Schullehrer, der sonntags Gebete in der Mission Baptiste von Sangmelima sprach. Von Abengs Traum wollte er nichts wissen. Er fand die Enkelin zu jung, zu unerfahren.

      ›Ein Sterblicher darf nichts versprechen‹, sagte Assam immer. Er hatte recht, denn sein Vater starb, ohne seinen Wunsch zu erfüllen. Und kurz nach seinem Tod geschah das, was beide fürchteten: Abeng verliebte sich in einen Weißen. Später heiratete sie ihn, aber nicht weil er weiß war, sondern weil er menschlich war.

      Rassen gibt es nur in unseren Köpfen, in unseren Träumen.

      Abeng liebte Manfred Benn ebenso sehr wie die kleinen Benns. Sie sah durch das geöffnete Fenster ihren kleinen Jungen und ihr noch krabbelndes Mädchen. Sie sah in ihnen die schönste Kunst, die sie je geschaffen hatte. Abeng drehte sich um und sah die Bilder an, die an der weißen Wand ihrer Küche hingen, die Portraits ihrer beiden Kinder. Sie konnte sich noch erinnern, wie lange sie daran gearbeitet hatte. Sie wurden ihr bestes Kunstwerk.

      Abeng bewunderte nun ihren Mann, Manfred, der dicht neben ihr stand. In diesem Augenblick sprach in Abeng die Stimme ihres Großvaters: ›Du hast mich verraten.‹

      Er sagte nicht die Wahrheit. Nein, er sagte nicht die Wahrheit. Abeng wußte es, sie nahm seine Stimme nicht ernst. Außerdem hatte sie mittlerweile das Vertrauen ihres Vaters gewonnen. Aber sie hatte einen unvergeßlichen Weg hinter sich. Abeng erinnerte sich immer wieder an ihn.

      Kontchupé

      Abeng war ein neugieriges Mädchen, wollte alles von der Welt sehen und erfahren. Aber die Treue überwog die Neugier und das kleine Mädchen machte meistens nur das, was ihre katholische Erziehung gebot. Sie war ein gehorsames kleines Mädchen! Dies vor allem, weil sie ihren Vater sehr liebte und ihm oft gefallen wollte. Aber dann kamen die ersten Glaubenszweifel.

      Abeng war damals elf Jahre alt. Sie ging in die Grundschule und besuchte die sechste Klasse. Von einem Schulkameraden bekam sie ein Buch über die Geschichte der katholischen Kirche ausgeliehen. Der Kamerad hatte das Buch aus der Bibliothek seiner Eltern unbemerkt geholt und es für Abeng in die Schule mitgebracht. Zu Hause las Abeng eine Seite nach der anderen. Als sie von der Schuld der römischen Päpste an den großen Kriegen erfuhr, fing sie an, ihrer Konfession zu mißtrauen. Wenn Luther nicht im Dunkeln getappt hätte, hätte sich Abeng spätestens mit fünfzehn, und trotz der starken Liebe zu ihrem Vater, in der evangelischen Kirche neu taufen lassen. Aber da nach Christus alle Christen im Dunkeln zu tappen schienen, fand Abeng einen Wechsel sinnlos. Abeng verstand nicht, warum seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts der Messias nicht mehr erschien. Sie vermutete dann zwei Gründe: entweder Christus war für ewig tot oder er spielte Versteck mit den Menschen, wie Gott es seit der Schöpfung tat. Mehrmals las Abeng das rätselhafteste Buch aller Zeiten. Mit elf kannte sie die vier Evangelien des Neuen Testaments auswendig. In der viel bewegten politischen Stadt lebte Abeng im Sinne Christi. Einmal hatte sie sogar von einem Klosterleben geträumt. Aber als sie Glaubenszweifel bekam, hielt sie das Versteckspiel mit dem Messias und Gott nicht mehr aus. Sie erklärte es ihrem Vater. Assam war enttäuscht, nahm aber die Entscheidung seiner Tochter hin. Er ließ sie frei.

      Dann erfuhr Abeng eine Wandlung. Mit Nadine, die inzwischen ihre beste Freundin geworden war, entdeckte sie die andere Seite des Lebens. Beide besuchten regelmäßig Kinos und Tanzlokale der Hauptstadt. Sie probierten die stärksten Spirituosen. Abeng schmeckte der Gin. Einmal trank sie mehr als üblich. Sie saß mit Nadine in einem Nachtlokal. In dieser Nacht entdeckte Abeng den Himmel und die Hölle. Zuerst glaubte sie in einem Traumland zu sein, in dem alles sich drehte. Aber dann brach sie zusammen, sie erbrach sich, bis ein Mann, fast im mittleren Alter, ihr seine Hilfe anbot.

      Auch der Mann war betrunken. Er nahm Abeng und Nadine in seinem Wagen mit und schlenderte durch dunkle Straßen, bis er seine große Wohnung erreichte. Dort gab er Abeng sein eigenes Schlafzimmer und zeigte Nadine ein anderes Schlafzimmer. Eine Stunde später schlüpfte der Mann in das eigene Schlafzimmer hinein. Dann quälte er die noch betrunkene junge Frau die ganze Nacht durch. Vom Wesen her war er sanft, aber er tat Abeng weh. Er hatte ihre bisher verschlossene Tür aufgemacht.

      Nach der Quälerei träumte er von einer Hochzeit. Er wollte Abeng heiraten. ›Sie kennen mich gar nicht, ich meine, meinen Charakter. Ich kenne Sie auch nicht. Vielleicht sind Sie verheiratet. Wer ist die Frau da, auf dem Photo? Sie sind bestimmt Vater. Und Sie wollen mich heiraten? Vielleicht sind Sie verrückt!‹ sagte Abeng zu dem Fremden. Es war Nadine, die damals, in den ersten Morgenstunden, Abeng nach Hause brachte. An diesem Morgen entschied sich Abeng, vorsichtig zu leben. Und das bedeutete für sie: nie wieder Spirituosen.

      Solche Erinnerungen hätte Abeng am liebsten nie gehabt, aber sie blieben in ihrem Kopf, Abengs Gedächtnis bewahrte sie, die schrecklichsten Erinnerungen. Es bewahrte auch zum Glück die schönsten.

      Abeng war sehr neugierig, sehr forsch, wollte von der Welt so viel wie möglich sehen. Ihre Neugier erinnerte oft an Gefangene, die jahrelang in der Dunkelheit waren und einmal draußen ihre Umwelt in wenigen Tagen erblicken wollten. Vielleicht war Abeng


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