Is this the end?. Georg Seeßlen

Is this the end? - Georg Seeßlen


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des einstigen dynamischen Bildungsbürgertums nicht »entpolitisieren« (Kultur ist eine Art Aussteigerdroge geworden), sie ließ sich aber durchaus entmachten, so wie umgekehrt der populären Kultur (»den« Medien) immer mehr der Status eines Machtfaktors in der Demokratie und Postdemokratie eingeräumt wurde. Im Gegensatz zum klassischen Unternehmerkapitalismus ist der Neoliberalismus nicht mehr auf »Fortschritt«, sondern nur noch auf Wachstum aufgebaut, und in der Hochkultur wie in der Popkultur herrscht daher schon seit geraumer Zeit fundamentale Abneigung gegen »Zukunft«. Ewige Gegenwart, ewige Wiederkehr von Regressionsschüben ist das Versprechen.

      Schon in den siebziger Jahren war dem deutschen Bundeskanzler Schmidt öffentlich klar geworden, dass in Deutschland keine Regierung gegen die Bild-Zeitung möglich ist, und heute gehört es zum Grundwissen des politischen Nachwuchses, dass man ohne Fernsehen nichts wird. Diese Bewegung der Macht von der »Hochkultur« zur »Populärkultur« als Demokratisierung oder gar als Überwindung der elitären Legitimationsinstrumente der herrschenden Klasse zu feiern, ist grundfalsch. Denn einerseits sind die Fabrikationsanlagen der populären Kultur ja so fest in den Händen der ökonomischen Elite wie die bürgerliche Kultur nie war, und andererseits ist der Verzicht auf die »Hochkultur« auch nichts anderes als ein Verzicht auf Emanzipation und Fortschritt. Denn diese Hochkultur enthält unter vielem anderen auch das Archiv der Befreiungskämpfe, sie enthält die Instrumentarien der Kritik, und sie ist das Transportmittel zwischen dem Allgemein- und Alltagswissen und dem »Geheimwissen« von Wissenschaft und Expertentum. Wenn »das Volk« auf eine Kultur hereinfiele, die behauptet, man brauche nicht mehr als »Traumschiff«, Bild-Zeitung, Oktoberfest und Internet-Pornos und ein Mehr an Kultur und Kunst sei nur »elitär« und »abgehoben«, dann hätte dieses Volk alles für seine Selbstentmachtung getan. Glücklicherweise aber ist dieses Volk nur eine Erfindung von Wurstreklame und Rechtspopulismus. (Unglücklicherweise bilden sich eine Menge Menschen in sehr verschiedenen Lebensumständen genau so ihr Selbstbild.)

      Populäre Kultur, also die ästhetische Materie, aus der Kulturindustrie wie Popkultur schöpfen, ist nur einerseits eine industrielle Nachfolge jener Volkskultur, die man als sekundären Code für eine Aufhebung von Lust und Ordnung hinlänglich beschrieben hat. Sie benötigt andererseits die industrielle Produktionsweise, was unter vielem anderen die Gegenwart von Maschinen und Fabriken beinhaltet, die extreme Arbeitsteilung, die Normierung, die Trennung zwischen primären, sekundären und tertiären Produzenten (Maschinisten, Erfinder und Fabrikherren), und bislang ist noch keine Traumfabrik abzusehen, in der etwa diese Teilung aufgehoben wäre: die Leute, die Musik machen, die Leute, die sie verarbeiten, und die, die sie vermarkten. Die Schauspieler, die Regisseure und die Harvey Weinsteins.

      Antonio Gramsci hat deshalb stets darauf bestanden, dass man nicht nur die populäre Kultur als Produktion des Alltagswissens ernst nehme, ihre ganz eigene Semantik und Ästhetik würdige, sondern stets auch einen Dialog mit der traditionellen Hochkultur (die ja einen solchen Namen erst durch die kulturellen Klassenkämpfe erhielt), am Ende Übernahme und Versöhnung anzustreben habe. Im Pop der sechziger und siebziger Jahre schien sich eine solche Möglichkeit durchaus anzubahnen. Es war möglich, Rolling Stones und Chuck Berry zu hören, und zugleich Rilke und Marx zu lesen. Bei Bob Dylan kam das alles ohnehin wieder zusammen, und bei Frank Zappa auch, ebenso aber auch bei Andy Warhol, der den Künstler als Pop-Star gab und die Techniken von Hoch- und Massenkultur bewusst miteinander kurzschloss. Pop, Politik und »Hochkultur« verschmolzen nun keineswegs miteinander, so wenig sie das im Hades der »Klassik light« oder der »Kunst am Bau« taten, aber sie verloren ihren Hierarchie- und Distinktionswert. Desgleichen sang Aretha Franklin auch für rebellische weiße Frauen aus dem Mittelstand von Veränderung und Respekt. Man hörte Jimi Hendrix in Autowerkstätten und Universitäten; Donald Duck wurde in Kinderzimmern und Republikanischen Clubs gelesen, kurzum: Im Pop sollte Kultur ihren Klassen-, Rassen- und Gender-Charakter überwinden und in den Dienst allgemeiner Erneuerung und Befreiung gestellt sein. Vor allem, um gemeinsam Spaß zu haben.

      Der Rückschlag kam viel früher, und er wurde nicht zuletzt von einer Kulturindustrie betrieben, der an einer Vervielfältigung der Märkte und an verstärkter Kontrolle ihrer primären Produzenten lag. Elvis Presley war ja noch ein in sich durchaus rebellisches Produkt dieser Industrie gewesen, aber die Beatles griffen selbst in die Produktionsmaschine ein und machten sich über die Macht ihrer Vermarktung lustig, sie ließen erahnen, dass sich Besitzverhältnisse ändern können. Und Kontrollinstanzen.

      Bei Elvis Presley erinnern wir uns freilich schon an die widerwärtigsten Machenschaften in dieser Pop-Industrie, als eine von Weißen für Schwarze produzierte Zeitschrift ein »Zitat« publizierte, demzufolge Elvis gesagt haben solle, ein Schwarzer sei für ihn gerade gut genug, die Schuhe zu putzen. Natürlich hat er so was nie gesagt, aber anders als die Beatles war er nie Herr seines Materials noch seines Images. Er konnte nur der Elvis sein, den man aus ihm machte, was für seine Zeit schon eine Menge war. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Rassismus immer auch ein Produkt ist, das zugleich Politik und Markt bedeutet. Es ist eben nicht nur das Schuhputzerbild des Afroamerikaners, sondern auch das des weißen Rassisten ein Produkt der Kulturindustrie. Und wie alle Produkte der Kulturindustrie schöpfen sie aus einer sozialen Realität und dem Alltag, lassen sich aber nach Bedarf manipulieren.

      Der Kampf war lange nicht geschlagen mit der Gegenreformation der popkulturellen Industrieprodukte in den siebziger und achtziger Jahren, er dauert, genau besehen, bis heute an und bringt auch immer wieder heroische Szenen (Do it yourself-Punk) und Einzelkämpfer hervor, die sich nicht vollständig in den Dienst der neuen, neoliberalen Populärkultur stellen lassen. Die Mainstream-Variante ist der nachdenkliche Pop-Star. Aber die eben auch politisch »gefährliche« Mittlerposition zwischen »Hochkultur« und »Populärkultur«, die ein Erobern der kulturellen Bastionen durch die Kids, die Frauen, die Arbeiter, die Dissidenten, die Nomaden und Kreolen möglich machte (oder das we­nigs­tens als utopischen Traum erscheinen ließen, was störend genug ist), dieser Schlüssel zu einem universalistischen und offenen Kulturverständnis (von Nietzsche zu den Beach Boys und zurück, und es ist überhaupt nicht ausgemacht, was von beiden »schwieriger« ist; schließlich ist egal, ob ich etwas »richtig verstehe«, wenn es keine Autorität gibt, die behauptet zu wissen, was »richtig verstehen« bedeutet), nebst der Entmachtung einer alten kulturellen Elite, er wurde aus politischen wie aus ökonomischen Gründen begraben. Denn es liegt im Interesse der Macht wie im Interesse des Profits, dass sich Hochkultur und populäre Kultur wider strikt trennen und sich anstelle des verlorenen utopischen Pop-Segments ein dezidiertes »postmodernes« Angebot setzt: Ein bisschen was von beidem. Das Pop/Hochkultur-Hybrid, das exakt dem neuen Kleinbürgertum entsprach, dem Hochkultur zu unmodern und Pop zu schmutzig war. Oder die Fetischisierung des Trash, in dem sich die postliberale akademische Jugend mit Russ-Meyer-Filmen, Motorhead-Platten und Loser-Fußballvereinen ihrer sinnlichen Qualitäten versicherte. Aber selbst dies ist schon wieder Vergangenheit. In der Welt von Helene Fischer und »Fack Ju Göthe« ist Pop im Wesentlichen bereits eine Art innere Emigration, eine Subkultur, die nun zumindest wieder darum kämpft, Begleitmusik zur Verteidigung der Demokratie zu sein. Was im übrigen verdammt nicht wenig ist.

      III

      Was wir von Antonio Gramsci gelernt haben, das ist, dass in den westlichen Industriestaaten der Kampf nicht so sehr ums Überleben, nicht einmal allein um die Macht geht, sondern vor allem um die Gestaltung des Alltags. Nicht ums Sein oder Nichtsein geht es der Mehrzahl der arbeitenden Menschen, sondern ums Wie-Sein, ums Mehr- oder Anders-Sein. Das verändert auch die Bedingungen des Links-Seins. Nach wie vor ist es gespalten in ein moralisches und ein politisches Verhalten; links mag der dissidente Bürger auf andere Weise sein als sein proletarischer oder postproletarischer Genosse, und darin eingelagert mag auch eine höchst unterschiedliche Art wirken, feministisch zu sein. Nicht nur weil es einen Unterschied macht, auf Privilegien zu verzichten oder sie gar nicht erst zu haben, sondern auch, weil es einen noch erheblicheren Unterschied macht, Verhältnisse als allgemein falsch oder persönlich unerträglich zu empfinden. Je mehr es indes um den Alltag und seine Ausgestaltung – also um Pop – geht, desto mehr verliert der Widerspruch von moralischem und politischem Antikapita­lismus an seiner Ausweglosigkeit. Im Kampf um die Qualität des Alltagslebens heben sich die Widersprüche zwischen den beiden Klassen, Bürgertum und Proletariat, der Mittelklasse und den blue collar workern auf, und zwar in doppeltem


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