Is this the end?. Georg Seeßlen

Is this the end? - Georg Seeßlen


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ein Volksmusik-Fuzzi erklärt, seine Musik und seine Texte repräsentierten eben das Leben der »kleinen Leute«, von dem die intellektuellen Kritiker keine Ahnung hätten, dann lügt er nicht nur, sondern er konstruiert auch die kulturelle Basis für den politischen Populismus. »Volkstümliche Unterhaltung« schuf die Basis als kulturelle Hegemonie für eine neo-völkische Bewegung in der Politik. Beides kommt nicht ohne die Konstruktion von Feindbildern aus, und sie ähneln sich erschreckend.

      Pop ist emotional. Hochkultur ist rational, jedenfalls wird sie allgemein so gesehen. Demnach müsste also Pop anti-rational, und intellektuelle Kritik anti-emotional sein. Wer sagt das? Wie alles, was gesagt wird, wird es vor allem von jenen gesagt, denen es nutzt. Jenen also, die das Rationale aus dem Pop und das Emotionale aus der Hochkultur heraus­halten wollen. So begreifen wir allerdings auch wieder, welche Widerstände sich dabei auftun, wenn das eine zur Eroberung des anderen aufbricht, während sich das andere zugleich gegen das eine verteidigen zu müssen glaubt. Veränderungen aber, vielleicht sogar einfach Erkenntnis, gibt es nur, wenn das Emotionale und das Rationale ineinander wirken. Eine Revolution – oder auch nur ein verändernder Eingriff in die großen Systeme von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft –, die ausschließlich rational vonstatten ginge, ist ebenso zum Scheitern verurteilt, wie eine ausschließlich emotionale Bewegung etwas verändern kann.

      Die Rechte hat längst erkannt, dass der politische Kampf auch durch kulturelle Hegemonie entschieden wird, und der popkulturelle Mainstream hat dieser Strategie des »Rechtsgramsciismus«, der von den Vordenkern der französischen Nouvelle Droite als erste zum Programmpunkt erhoben wurde, erstaunlich wenig entgegengesetzt. Hat die Linke, auch in der Popkritik, »versagt«? War sie zu hochnäsig oder traditionalistisch, zu ökonomistisch oder ignorant? Hat sie nur abgelehnt, als es darum ging, zu verstehen?

      Schwer zu sagen. Ich weiß nur, dass ich mich in ein paar Büchern und etlichen Essays darin versucht habe, Elemente der Popkultur in ihrer Wirkung auf den Alltagsverstand (einschließlich meines eigenen) zu verstehen und in ihnen sowohl Absichten und Interessen als auch Reichtum und Widersprüchlichkeit zu entdecken. Einer der roten Fäden dabei war die Frage, wie sehr sich völkisches, rassistisches, nationalistisches und sexistisches Denken in der Popkultur einnisten und den Alltagsverstand vergiften konnte. Seit den siebziger Jahren gibt es in Deutschland eine Pop-Linke, die sich an Kritik und Theorie zur populären Kultur, zu Ideologiekritik und zu Konstruktion und Dekonstruktion von Alltagsverstand versucht, und es gab und gibt Medien, die ein neues Schreiben über Pop, Kunst, Politik und Hochkultur ermöglichten, wenn auch zumeist in bescheidenem Rahmen. Der Erfolg dieser Arbeit war überschaubar. Dass sie in der bürgerlichen Mitte nicht wirklich ankam, war einigermaßen vorhersehbar, ebenso die rasch hochgezogenen Mauern zwischen linker Popkritik und akademischer Lehre; die Ignoranz jener Linken, die heute lamentiert, es hätte ihr an Gegenkräften gegen die rechte Eroberung von Popkultur und Alltag gefehlt, schon weniger. So konnte diese bizarre Kultur des gönnerhaften Populismus entstehen, die dem niederen Volk seine Vergnügungen liefert, wie es die mehr oder weniger Verantwortlichen in den großen Fernsehanstalten tun, weil es gut für Quote und Karriere ist. Ein Großteil der Popkultur wird von Menschen verantwortet und verwaltet, die selber nicht an Pop glauben; die Produzenten der volkstümlichen Kultur widmen sich persönlich eher den Ritualen der Hochkultur. Und auf diese Weise entstand eine populistische Kultur aus zweiter Hand, die im übrigen nur durch ihren beständigen Wechsel von Hysterie und Wiederholung wirkt, und die am Ende gar nicht anders kann, als zum politischen Bekenntnis zu werden.

      Antonio Gramsci hat das an einem Beispiel beschrieben: »Angesichts des Anwachsens der politischen und sozialen Kraft des Proletariats und seiner Ideologie reagieren einige Teile der französischen Intelligentsia mit diesen Bewegungen zur ›Zuwendung zum Volke‹. Die Annäherung ans Volk bedeutete also eine Erneuerung des bürgerlichen Denkens, das seine Hegemonie über die unteren Klassen des Volkes nicht verlieren will und das, um diese Hegemonie besser auszuüben, einen Teil der proletarischen Ideologie assimiliert.« Das »Volkstümliche« in der Kulturindustrie ist also nicht etwas, das aus dem Volk kommt (aus der Welt des Alltags, aus unserer Welt), sondern etwas, das über das Volk kommt (ein Kontroll- und Manipulationsspiel mit Belohnungsregression und Bestrafungsängsten fürs Nicht-Dazugehören).

      Allerdings: Diese Zuwendung indes gibt es in einer linken und in einer rechten Form, sie kann neue Allianzen ebenso wie Manipulation oder Betrug bedeuten. Wie es aussieht, wurde wenig oder nichts von einer proletarischen Ideologie, sehr viel aber von einem »proletarischen Geschmack« assimiliert. Und aus einer möglichen Kommunikation wurde ein Geschäft. Die »Zuwendung zum Volke«, die möglicherweise eine neue Allianz hätte erzeugen können, mit all seinen Widersprüchen, wurde als Geschmacks- und Objektfetischismus ein gemeinsames Projekt von Neoliberalismus und Rechtspopulismus. Die Pop-Linke dagegen wurde versprengt und isoliert; es war, als hätte die Kulturindustrie nur auf den geeigneten Moment gewartet, sich ihrer zu entledigen, ihre Medien auszutrocknen, ihre Diskurse ins Leere laufen zu lassen. Man durfte sich mit dem »Zeitgeist« verbunden fühlen. Pop war tot. Wieder mal.

      IV

      Zum Glaubensbekenntnis des Neoliberalismus gehört, bis in die Kulturen seiner Gegner hinein, ein Triptychon der Verneinung: Es gibt keinen neuen Jesus Christus. Es gibt keinen neuen Karl Marx. Es gibt keine neuen Beatles. Das scheint so selbstverständlich und irgendwie auch schwer entlastend, dass man zu fragen vergisst: Warum eigentlich nicht? Lassen wir mal die Frage nach Jesus Christus und vorläufig auch die nach Karl Marx beiseite, dann können wir uns den Beatles zuwenden. Natürlich war das, was die Fab Four schafften, ein Quantensprung in unserer Musik. Rock’n’Roll eroberte Kunst oder ließ sich von Kunst erobern.

      Danach war alles möglich und ist es immer noch. Wer glaubt, zwischen Rock’n’Roll und Kunst würde nichts mehr passieren, hört wahrscheinlich wenig neue Musik oder hat vor Jahren sein Spex-Abo gekündigt. Nur begleitet es eben nicht mehr die Befreiung von Generationen und Kulturen, es ist am Ende, was die Kunst schon immer war, vor allem subjektive Kraft. Über die neue Pere-Ubu-CD zu sprechen, ist fast schon konspirativ, und Jello Biafra ist ein Held für Leute, die sich sowieso auf verlorenem Pos­ten wähnen. Schlimmer geht es jenen, die vom offiziellen Kulturbetrieb musealisiert werden wie Kraftwerk oder Einstürzende Neubauten. Und vom grönemeyernden Pop-Patriotismus wollen wir gleich ganz schweigen. Für den Augenblick jedenfalls.

      Neue Beatles gäbe es also zuhauf, nur ein neues Beatles-Publikum gibt es nicht. Erinnern wir uns an die Erfolgsgeschichte von ABBA. Als damals der Spiegel verkündete, ABBA verkaufe mehr LPs als die Beatles, tat man es mit der überheblichen Geste: Da habt ihr es! Eine große Erleichterung der Wächter der Hochkultur: Pop ist und bleibt Ramsch – unnütz zu sagen, dass man auch ABBA nicht genau zu hören bereit war. Obwohl die Platte in jedem WG-Gemeinschaftszimmer stand, sichtbar genug, war die »Bananen-Platte« der Velvet Underground kein kommerzieller Erfolg. Helene Fischer oder Andreas Gabalier füllen Konzerthallen wie die Beatles und lösen Begeisterung aus; die Rolling Stones machen das immer noch, wenn auch eher als Erinnerung an Pop als Pop. Was ist der Unterschied?

      Eine Tatort-Besichtigung macht es rasch deutlich: Das eine sieht aus wie eine Gefängnisrevolte, das andere wie die Verteidigung einer belagerten Burg. Das sind zwei sehr ex­treme Formen von Kollektivierung. So macht sich der nach­denkliche Pop-Star auf, eine verlorene Kraft der Sub­jektivi­täten, einen verlorenen Safe Space der Kommunika­tion zu errichten, in den Texten, den Interviews an ein verlorenes »Unter uns« zu erinnern. Der nachdenkliche Pop-Star mit einem Hang zur Kunst ist ein Zerfallsprodukt des großen Bruchs. Pop für Leute, die nicht mehr an Pop glauben.

      Die andere Seite des »nachdenklichen Pop-Stars« ist der Popkritiker/die Popkritikerin, die sich von der jugendlichen Leidenschaft zurückgezogen haben und eine mehr oder weniger ironische Meta-Haltung einnehmen. Nicht einmal echte Nerds können sie sein, ohne sich zugleich über das eigene Nerdtum lustig zu machen. So haben wir eine Popkritik, was Musik, Comics oder Film anbelangt, in der immer mehr Wissen akkumuliert wird, bis hin zu einer etwas grotesk asynchronen Akademisierung (so viel filmhistorische Fachbücher bei so wenig Interesse an Filmgeschichte!), aber immer weniger Leidenschaft und Empfindung (vom Narzissmus des kritischen Subjekts abgesehen). Die Popkritik, die diesen Namen noch verdient, steht eindeutig neben sich selbst. Sie glaubt weder an ihren Gegenstand noch an sich


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