Das Eisenbett. Ana Contrera
Sie brauchte jetzt ganz schnell eine plausible Erklärung. Immerhin, sinnierte sie, seien studentische Versammlungen nicht generell verboten. Es gab auch rechtsgerichtete Studentenkreise, die ihre Meinungen kundtaten. Und auch sie machten Werbung für Veranstaltungen.
Die Carabineros forderten schließlich vier Studenten auf, zur Klärung des Sachverhaltes mit nach draußen zu kommen. Lucía war dabei. Mit gesenktem Haupt und weichen Knien folgte sie den Uniformierten hinunter in die Eingangshalle. Unterwegs registrierte sie, dass auch in anderen Räumen Durchsuchungen stattgefunden hatten. Auf dem Universitätsvorplatz sammelten die Carabineros die Verdächtigen, insgesamt etwa 20 Personen. Lucía sah schon von der Treppe aus eine Kolonne von Polizei-Einsatzwagen draußen auf der Straße. Ein Fahrzeug nach dem anderen kam auf das Universitätsgelände gefahren. Die Studenten wurden in Gruppen eingeteilt. Lucía, Liliana und Pedro gehörten nun zusammen. Ein olivgrüner Transporter stoppte direkt vor ihnen, und drei Männer stiegen aus. Sie identifizierten sich als Angehörige des zweiten Polizeikommissariats. Die beiden jungen Frauen sollten sich auf die Rückbank setzen. Pedro kam zwischen zwei Carabineros auf die mittlere Bank.
2 Comisaria de Carabineros Nr.2, Santiago
Die Fahrt durch die Innenstadt dauerte knapp 20 Minuten. Die Sonne stand hoch am Himmel und die Einwohner nutzten die Mittagspause für Erledigungen. Der Transporter hielt vor einer Einfahrt, und ein graues Metalltor wurde geöffnet. Der Wagen fuhr über zwei enge Innenhöfe und blieb schließlich vor einem Hintereingang stehen. Der Beifahrer kurbelte die Seitenscheibe herunter und pfiff über den Hof. Zwei Carabineros mit Maschinenpistolen erschienen. Die Männer legten den Gefangenen Handschellen an und führten sie im Treppenhaus ein Stockwerk nach oben. Die drei Studenten wurden jetzt voneinander getrennt. Lucía wurde von einem der Carabineros durch mehrere Dienstzimmer bis in einen Flur gebracht. Hier standen mehrere Stühle an der Wand. Mit einer Handbewegung forderte er die junge Frau auf, sich zu setzen.
»Ist sicher nur eine Formsache. Man wird Sie aufrufen.« Mit diesen Worten ließ er sie allein.
Zwei Frauen in Uniform schlenderten den Flur entlang. Unter dem Arm trugen sie Aktenordner. Vor der Tür blieben sie kurz stehen und warfen einen Blick auf Lucía. Sie tuschelten etwas, kicherten und betraten dann das Dienstzimmer.
Unruhig rutschte Lucía auf ihrem Stuhl herum. Sie wartete schon fast eine ganze Stunde. Weiter hinten, in einer Raucherecke, erschienen Einsatzkräfte in Uniform. Die Männer rissen Witze und lachten. Irgendwann hatten sie ihre Zigaretten aufgeraucht. Sie verschwanden vom Gang, und Lucía war wieder allein.
Endlich öffnete sich die Tür gegenüber. Ein Carabinero kam heraus. Er sah Lucía und stutzte.
»Hier ist noch eine!« rief er nach hinten ins Zimmer. Jemand antwortete ihm. »Moment«, raunte der Mann ihr zu und verschwand wieder im Raum. Kurz darauf winkte er sie schließlich herein.
»Señorita, setzen Sie sich dort ans Fenster. Es kommt gleich jemand!«
Lucía war nicht allein im Raum. In der Ecke, links neben dem Schreibtisch, saß ein Wachsoldat. Er rauchte Zigaretten und las Zeitung, El Mercurio. Gelegentlich blickte er Lucía über den Rand der Zeitung hinweg an. Belustigt beobachtete er, wie sie ihre Unterarme hin- und herdrehte. Die Bügel der Handschellen hinterließen bereits rote Abdrücke an den Handgelenken.
Nach einer Weile erschien eine junge Frau in Uniform. Sie gehörte zu den beiden, die sie vorhin schon auf dem Flur gesehen hatte.
»Du!« Sie blickte Lucía fest an, bis sie ihre volle Aufmerksamkeit hatte. »Komm mit!«. Lucía folgte ihr in einen Nachbarraum. Die Frau hatte lustige Sommersprossen im Gesicht. Ihre braunen Haare waren zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden.
»Stell dich vor die Wand, Gesicht zu mir, Hände hinter den Kopf!« Die Carabinera trat lässig gegen das Türblatt. Die Tür fiel unüberhörbar ins Schloss. Die Frau streifte sich einen dünnen weißen Gummihandschuh über und tastete die Verdächtige flüchtig ab. Lucía ließ es über sich ergehen. Die Dame suchte wohl nach Waffen oder Messern. Sie erspürte Portemonnaie und Wohnungsschlüssel, zog ihr beides aus den Taschen und warf die Sachen hinter sich auf die Tischplatte.
Viel mehr ist da nicht, dachte sich Lucía und erwartete das baldige Ende der Durchsuchung.
Mit Erschrecken registrierte Lucía, wie die Carabinera ihr den Pullover aus dem Hosenbund zog, dann mit einem Ruck weiter bis über den Kopf nach oben. Lucía fühlte sich überrumpelt. Sie wollte sich wehren, aber sie hatte die Hände in Handschellen hinter dem Kopf.
»Bleib’ ruhig, ich muss dich durchsuchen!«
Durch die Fasern des Pullovers waren nur noch unscharfe Konturen sehen. Lucía nahm sich zusammen, um nicht zu provozieren. Als die Frau ihr aber auch den BH öffnete, ging es ihr zu weit.
»Stopp! Was fällt Ihnen ein?«
»Halts Maul!« erwiderte die Carabinera unbeeindruckt. »Wenn du zickig bist, ruf’ ich die Männer! Dann machen die das.«
Sie öffnete die Knöpfe der Jeans und zog sie bis zu den Knien herunter. Lucía öffnete den Mund zum Protest, aber die Carabinera kam ihr zuvor:
»Kein Wort, meine Süße, klar?«
Es folgte der Slip.
»Manche Guerilleras verstecken eine Giftkapsel in ihrer Vagina«, murmelte die Frau, als wolle sie ihr Tun rechtfertigen. »Um sich umzubringen, bevor sie auf der Folter schwach werden.«
Lucía kannte die Geschichte, hatte aber selbst keine solche Kapsel. Sie spürte die Hand der Frau zwischen ihren Oberschenkeln. Instinktiv zog sie die Beine zusammen. Ein derber Faustschlag in den Magen war die Quittung.
»Beine breit!« fauchte die Uniformierte verärgert.
Lucía japste nach Luft.
Die Finger der Frau erkundeten jede Stelle. Lucía hatte das Gefühl, es dauere länger als notwendig. Aber das zu beurteilen stand ihr offenbar nicht zu. Verstohlene Tränen sickerten auf ihren Wangen in die Wolle ihres Pullovers.
Nachdem die Carabinera sich überzeugt hatte, dass da nichts war, ließ sie von der Verdächtigen ab.
»Dreh dich um, Gesicht zur Wand!«
Lucía, halbnackt und mit den Händen hinter dem Kopf, hörte, wie sie sich einen Stuhl am Schreibtisch zurechtrückte. Nun kamen Fragen: Namen, Wohnadresse, Ausbildung und so weiter. Wohl für eine Polizeiakte. Lucía antwortete wahrheitsgemäß.
Jemand öffnete die Tür und betrat den Raum. Eine Männerstimme fragte, ob die Verdächtige hier eine Cecilia Lagercrantz sei. Lucía zog verschämt die Schultern nach vorn. Die Carabinera verneinte lautstark und warf den Mann wieder ’raus. Sie war sauer, weil er nicht angeklopft hatte. Der Mann fluchte. Die Tür ging zu, und es herrschte wieder Ruhe.
Die Carabinera fragte jetzt detaillierter nach Liliana und Pedro.
Lucía stellte sich unwissend:
»Die sind nicht in meiner Seminargruppe, wir sind erst auf dem Vorplatz der Uni zusammengebracht worden, von den Carabineros dort.«
»Aber du kennst die beiden?«
»Ja.«
»Namen?«
»Liliana Pelemontes und Pedro Dosetto.«
»Ihr habt vor zwei Wochen in Flor de Caballito mitgemacht?«
Die Carabinera beobachtete, wie sich die Haltung der Verdächtigen etwas versteifte. Aufmerksam zog sie eine Augenbraue hoch.
Lucía wusste sofort, worauf die Frau hinauswollte. Bei der besagten Aktion hatten Aktivisten eine Filiale der Zeitung Mercurio überfallen. Es ging um die »Enteignung« von Bargeld, Druckerausrüstung und was sonst noch so in Widerstandskreisen brauchbar war. Die Aktion lief aus dem Ruder, als ein Transporter mit Carabineros zufällig vor der Tür hielt. In den Nachrichten wurde die Aktion als schwerer Raub und Erpressung dargestellt. Lucía selber war nicht dabei gewesen, aber sie hatte danach einem Compañero namens Victor für