Das Eisenbett. Ana Contrera
Zweifel: der Junta war mit demokratischen Mitteln allein nicht beizukommen.
Claudia und Inés sahen sich als »Militante«, und beide waren unverkennbar stolz auf diese Bezeichnung. Nicht zuletzt deshalb, weil das Thema Gleichberechtigung der Frauen in Südamerika noch in den Kinderschuhen steckte. In der »Militancia« jedoch standen Frauen und Männer auf gleicher Stufe.
In den ersten Monaten nach dem Putsch konzentrierten sich die Aktivitäten in ihrer Untergrundgruppe vor allem auf das Drucken und Verteilen von Flugblättern. In den revolutionären Zirkeln wurde viel vom Aufruf zum Generalstreik geredet. Aber auch kleinere Aktionen wie betriebliche Arbeitsniederlegungen oder Sabotage in den Staatsbetrieben sollten zur Isolation der Junta beitragen.
Natürlich machte auch die Junta Propaganda. Am Tag des Putsches wurden aus Helikoptern tausende Flugblätter über der Hauptstadt abgeworfen. Auf ihnen wurde das Vorgehen von Militär und Carabineros als Selbstverteidigung gegen linke Terroristen dargestellt. Es wurde behauptet, Marxisten würden die Ermordung von Militärangehörigen planen. Die Vorwürfe bezogen sich auf einen sogenannten »Plan Z«. Es war ein Plan, der sich Jahre später als erfundener Vorwand der Junta herausstellten sollte.
In den ersten Monaten nach dem Putsch erfüllte der »Plan Z« jedoch eine wichtige Funktion: Er überzeugte chilenische Wehrpflichtige davon, dass sich im Lande ein »innerer Feind« entwickelt habe, der unmittelbar ihr persönliches Leben bedrohte. Der Selbstschutz und die ständig propagierte Notwendigkeit einer Wiederherstellung der christlich abendländischen Ordnung mussten vielen chilenischen Wehrpflichtigen und Carabineros tatsächlich als oberste Aufgabe erscheinen.
Im November 1973 wurde der Geheimdienst DINA gegründet. Erlass #521 gab ihm das Recht, während des Ausnahmezustandes Bürger ohne Anlass festzunehmen. Schon wenige Tage nach dem Militärputsch kursierten in den revolutionären Gruppen die ersten Berichte von verhafteten Guerilleros und Guerilleras. Die Führung der Untergrundorganisationen wollte dem Thema nicht zu viel Bedeutung beimessen, vielleicht in der Erwägung, dass die Verbreitung von Angst durchaus im Interesse des »Klassenfeindes« lag.
In den Mitgliederversammlungen wurden Verhaftung und Folter lieber als Bewährungsprobe im revolutionären Kampf diskutiert. Nach einer Verhaftung würde es hart werden, aber der vorbildliche Guerrillero und die der Sache verpflichtete Guerrillera hätten dann Gelegenheit, ihre Standhaftigkeit zu zeigen. Auch Claudia und Inés wurden entsprechend instruiert.
Im Probenraum einer Theatergruppe des Institutes für Lehrerbildung hatten sich am Sonntagnachmittag etwa 40 Personen eingefunden. Auf dem Podium wurde ein Flugblatt der Militärregierung hochgehalten. Ein Gruppenführer las vor:
»Sofortige Exekution von Terroristen
– Die extremistischen Marxisten planen die Ermordung von Mitgliedern der Streitkräfte und Carabineros.
– Die Streitkräfte und Carabineros haben die Verpflichtung, die Sicherheit ihrer Mitglieder und der Bürger wiederherzustellen. Aus diesem Grund werden sie nicht zögern, Terroristen ohne Vorwarnung zu töten, die Waffen tragen oder die Soldaten angreifen.«
Der Gruppenführer erklärte, dieses Flugblatt solle alle daran erinnern, bei ihren Aktionen höchste Vorsicht walten zu lassen. Militancia sei kein Kinderspiel, und wer nicht aufpasse, der könne schnell in die Fänge der »Milicos« geraten.
Ein anderes Podiumsmitglied warnte:
»Die Direktive der Sicherheitsorgane lautet: »Entschlossenes Durchgreifen«. Konkret gesagt: Wir wissen, dass es an mehreren Orten im Land geheime Lager gibt, in denen Oppositionelle als »Kriegsgefangene« inhaftiert sind. Entschlossenes Durchgreifen, das heißt auch: alle Gefangenen werden gefoltert. Der Geheimdienst will die Namen und Adressen der Compañeros und Compañeras aus der Gruppe hören. Die werden dann als nächstes gejagt. Und sie wollen die Namen schnell, bevor diese Compañeros und deren Familien alarmiert sind.«
Claudia und Inés war diese Zusammenhänge nicht neu. Sie hatten sich schon darüber unterhalten, dass nach einer Verhaftung der einen innerhalb weniger Tage auch die andere verhaftet werden könnte. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit ergab sich schon aus der Tatsache, dass beide sich ein Wohnheimzimmer teilten – und diesen Fakt bei einem Verhör zu verschweigen erschien nicht weise.
Der Diskussionsleiter rief zwei Personen auf die Bühne. Er erklärte, dass Pedro und Lucía bereits einmal verhaftet waren und dass sie jetzt den Anwesenden über ihre Erfahrungen berichten würden.
Claudia und Inés schauten gespannt nach vorn. Ein junger Mann und eine junge Frau, beide ca. Anfang 20, betraten die Bühne. Der Mann begann zu sprechen:
»Compañeros und Compañeras, wir stehen heute hier, um euch zu berichten. Wir wollen euch sagen, worauf ihr euch einstellen müsst, wenn die PACOs euch erwischen. Ihr müsst immer daran denken, unser Kampf ist gerecht und human, aber der Feind ist inhuman und ungerecht.
Der Feind wird von euch verlangen, dass ihr ›singt‹. Also dass ihr Treffpunkte mit anderen Mitgliedern eurer Organisation verraten sollt. Lucía und ich, wir haben das durch. Und wir sagen euch, es ist hart. Aber es ist möglich, der Folter zu widerstehen. Man wird brutal geschlagen, aber man widersteht dem Schmerz, wenn man dem Feind mit Widerstandskraft begegnet.«
Dann sprach die Compañera Lucía:
»Es hilft euch, wenn ihr euren Hass auf den Feind aktiviert. Eure ideologischen und politischen Überzeugungen erlauben es euch zu widerstehen. Ihr müsst einen kühlen Kopf bewahren. Dazu gehört zuvorderst der eiserne Wille, so viele Stunden wie möglich zu schweigen. Nicht ein Name, nicht eine Adresse darf über eure Lippen kommen.«
Pedro nickte:
»Später, wenn es nicht mehr anders geht, müsst ihr eine Geschichte bereit haben. Eine glaubhafte, aber unverfängliche Geschichte. Gebt sie dann stückweise her! Versucht, falsche Informationen zu geben über die Treffpunkte, um Zeit zu gewinnen! Eure Compañeros sind derweil an anderer Stelle zum richtigen Treff. Sie sehen, dass ihr nicht gekommen seid. Dann werden sie vorsichtig. Sie ahnen, dass ihr verhaftet wurdet. Sie zeigen sich dann eine Weile nicht mehr und gehen nicht zu den Orten, die euch bekannt sind.«
Lucía ergänzte:
»Es gibt auch Vergewaltigungen. Sie erzählen euch, es sei eine Ehre, weil es für die eigenen Soldaten ist, die dem Vaterland dienen. Fast alle Frauen werden in der Haft vergewaltigt. Davor darf sich eine Revolutionärin nicht fürchten, denn der Feind will, dass wir uns fürchten. Also Zähne zusammenbeißen und durch.«
Claudia beugte sich zu Inés herüber und flüsterte:
»Denen treten wir ordentlich in die Eier, dann können sie selber an dieser Ehre teilhaben!«
Inés reagierte nicht und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach vorn.
Dort berichtete jetzt wieder Pedro:
»Für mich und meine Compañeros waren die elektrischen Schläge das Schlimmste. Sie sind so stark, dass du während der Behandlung urinierst. Und wenn du dann am Ende deiner Kräfte bist, erklären sie, dass sie dich jetzt erschießen. Dann halten sie dir die Pistole an den Kopf und drücken ab. Die Pistole ist aber nicht geladen.«
Lucía fasste zusammen:
»Man kann den Schmerz bekämpfen, wenn man seine Angst besiegt. Der Compañero Pedro und ich, wir sind standhaft geblieben. Denkt immer daran, dass es notwendig ist, die Compañeros nicht zu verraten. Denn Compañeros verraten heißt, die Revolution zu verraten.«
Das Publikum applaudierte. Der Gruppenleiter dankte den beiden. Er wies darauf hin, dass es sehr wichtig sei, auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Erst gestern war wieder ein Compañero von einem nächtlichen Einsatz nicht zurückgekehrt. Man müsse davon ausgehen, dass er geschnappt worden sei.
»Zwei Sachen noch: Denkt an die Sperrstunde: Nachts gehört die Stadt der Militärpolizei. Wenn jemand nach 22.00 Uhr noch auf der Straße angetroffen wird, besitzt er entweder eine Genehmigung der Kommandantur, oder es warteten große Probleme auf ihn. Und noch Mal zur Erinnerung: Wenn ihr einen Auftrag ausführt, fragt nicht zu viel. Fragt nicht, wer sonst