Das Auge des Feinschmeckers. Frank Winter
Ihr Herr Bruder danach Probleme mit seiner Verdauung?«
Der Regisseur wollte bereits zu einer Antwort ansetzen, überlegte es sich aber sehr plötzlich anders. »Mein lieber Mister MacDonald, ich möchte gerne mit Ihnen über so viele Themen sprechen. Aber leider müssen wir mit unserer Aufnahme fertig werden.« Das leuchtete MacDonald durchaus ein. Doch die Hast war selbst für Robertson übertrieben. Vielleicht hatte er am Morgen zu viel Kaffee getrunken. Das wäre noch die einfachste Erklärung gewesen.
»Manche Menschen werden geboren, um zu feiern, und nicht um zu kämpfen.«
Count Basil in Joanne Baillies Stück »Eine Tragödie«
India, warum?
»Hallo«, sagte MacDonald bärbeißig ins Telefon, das ihn aus einer Meditation über grünen Papaya-Salat gerissen hatte.
»Wer spricht da«, rief es unfreundlich zurück.
»Nun, das würde ich gerne von Ihnen wissen«, erwiderte der Gestörte und hielt den Hörer wie eine faule Banane von sich.
»Was ist los?«
»Ich sagte, wenn Sie bei mir anrufen, sollten Sie zuerst Ihren Namen offenbaren.«
»Tut nichts zur Sache. Aber wenn Sie dieser Schreiberling sind, habe ich eine Nachricht für Sie.«
»Sie gleichen demnach Hermes aus dem alten Griechenland, sind gar ein direkter Verwandter von ihm? Mir scheint, das Glück ist mir heute gewogen.«
»Hören Sie auf, so einen Mist zu schreiben!«
»Wäre es Ihnen möglich, semantisch ein wenig in die Tiefe zu schreiten, Verehrtester?«
»Hä?«
»Was wollen Sie eigentlich«, sagte MacDonald gereizt.
Im Hintergrund hörte man den anonymen Anrufer kräftig schnäuzen. Durch den forschen Ton schien er aus dem Konzept gebracht. »Wie wäre es, wenn wir anstatt eines Telefons zwei Blechdosen mit einer Schnur benutzten? Kräftig genug brüllen Sie ja bereits. Also, was denn jetzt?«, insistierte er und schüttelte den Hörer, aus dem es unangenehm knisterte.
»Sie erwähnen nichts mehr mit ›verkorkst produziert‹ und so. Haben Sie verstanden?«
»Das haben Sie sich doch nicht etwa alleine ausgedacht? Vermutlich hat Ihnen sogar jemand beim Ablesen geholfen, oder?«
»Wir haben Sie gewarnt. Sagen Sie später nicht, wir hätten es nicht getan.«
»Aber das würde ich niemals tun. Obwohl ich gestehen muss, dass ich noch immer nicht weiß, wovon Sie reden. Es könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Sie jede zweite Silbe verschlucken.«
»Sie wissen Bescheid!«
»Einen Teufel tue ich, und ich habe auch keine Lust mehr, mit Ihnen zu reden. Ihr Grundwortschatz reicht bei weitem nicht aus, um eine halbwegs vernünftige Konversation zu führen«, erwiderte MacDonald und knallte den Hörer auf die Gabel. Dennoch machte ihn das Gespräch stutzig. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, welcher Widerling ihn kurz vor der Dinnerzeit behelligte!
Sir Bruce konnte nichts zur Aufklärung beitragen. »Wohlan, Robert, du Tapferer.« Der Hausherr platzierte ihm eine Portion katzenmundgerechten Tunfisch in den Napf, über die der Kater mampfend herfiel. MacDonald betrachtete seinen Mitbewohner nachdenklich. »Du genießt dein Leben. So schön möchte ich es auch einmal haben.« Der Edelmann auf Pfoten ließ sich durch die blasphemische Rede nicht von seinem Trog abbringen. MacDonald wollte etwas Gutes tun für die Völkerverständigung und entschied sich für ein indisches Abendessen im Bombay Palace. Auf Höhe der North Bridge stieg er aus dem Bus, um den Rest der Strecke zu Fuß zu gehen. Kurz fiel sein Blick auf die Waverley Station, der einzige Bahnhof der Welt, der von oben wie eine Kollektion Treibhäuser aussah. Das Restaurant am Nicholson Square zählte zu der Art von Gaststätten, die man niemals ohne Empfehlung aufgesucht hätte. Weder Möbel noch Steinfußboden strahlten eine besondere Behaglichkeit aus. In der Ecke flimmerte leise ein Fernsehgerät und an der Wand hingen Schnappschüsse von indischen Märkten mit Menschen, die ebenso konzentriert kuckten wie die Ober im Restaurant. MacDonald ignorierte das Interieur, weil er einen authentischen Schmaus serviert bekam. Die meisten der roten Plastikstühle hielten ihre Sitzfläche erwartungsvoll unter den Tischen, denn das Abendgeschäft lag noch vor ihnen. Mister Pischpangpeng, der Besitzer, grüßte seinen Gast euphorisch, noch die entlegensten weißen Zähne zeigend, um dann wieder zur traurigen Miene eines Fakirs heimzukehren. Für sein Leiden gab es keine Kur. Wenn er in Edinburgh lebte, hatte er Sehnsucht nach Indien und in seiner Heimat vermisste er Schottland. Er war wie immer tadellos in ein weißes Leinenhemd und schwarze Wollhosen gekleidet, sah aber sehr nervös aus, als er seinen Gast begrüßte. »Oh, Mister MacDonald, welch Ehre, Sie wieder einmal bewirten zu dürfen. Mir geht es ausgezeichnet und Ihnen?«
»Ich sterbe vor Hunger«, hätte er gerne gesagt. Weil er aber gute Kenntnisse hatte vom Kulturkreis, den er betrat, milderte er seinen Satz ab und erwiderte: »Ganz gut, danke. Allerdings bin ich ein wenig hungrig«, was sich um die Untertreibung des Jahrhunderts handelte.
»Das können wir schnell beheben. Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte der Wirt, auf die Armada leerer Stühle weisend. »Wo immer Sie möchten.«
MacDonald leistete dieser Bitte, einer, die er im Restaurant nach »Guten Appetit« am liebsten hörte, auf dem Fuße Folge. Auch bei diesem Besuch brach der Stuhl wieder nicht unter seiner enormen Last zusammen. Mister Pischpangpeng kannte seinen beleibten Gast nur zu gut, und sorgte dafür, dass sich in MacDonalds favorisierter Ecke immer die stabilsten Exemplare der Spezies tummelten. Selbst als er die Beine nach links und rechts streckte, um eine möglichst bequeme Position zu erlangen, gab die Sitzgelegenheit aus der Hippie-Ära kaum mehr als ein verstimmtes Knacken von sich. Obwohl MacDonald sehr genau wusste, was er zu sich nehmen würde, studierte er die Karte. Ständig darauf aus, der Welt der Kulinarik Geheimnisse zu entlocken, schätzte er auf dem Teller von Zeit zu Zeit die Wiederkehr des Immergleichen, denn auch der feinste Gaumen wollte einmal Feierabend haben. Er schaute erwartungsvoll zum Wirt, um seine Bestellung aufzugeben. Mister Pischpangpeng kassierte bei zwei Schotten ab, die einen neuen Rekord im Schnellessen aufgestellt hatten und vermutlich kurz vor dem Anruf bei der Redaktion des Guinessbuches standen. Langsam fiel sein Blutzuckerspiegel in bedrohliche Tiefen, und ein leichter Druck schlich sich in den vorderen Teil des Kopfes, den auch seine Wunderwaffe Traubenzucker nicht mehr hätte beseitigen können. Noch eine Viertelstunde ohne feste Nahrung, und er würde keinen grammatikalisch wohlgeformten Satz mehr drechseln können. Für einen sprachlich orientierten Menschen wie ihn ein einziges Gräuel. Matt dämmerte er seinem Schicksal entgegen, griff nervös wieder zur Karte, um die gute Wahl durch ein Nicken zu bestätigen. »Victory«, rief er freudig, als sich der Wirt seinem Tisch näherte.
»Äh, wie meinen?«, fragte Mister Pischpaschpeng, der ein wenig in der Geschichte des englischen Königshauses beschlagen war und »Victoria« verstanden hatte.
»Vi ... äh, wie schön, dass Sie kommen, meinte ich.«
Pischpaschpeng fasste sich sofort wieder: »Ich empfehle Ihnen unser vegetarisches Curry. Eine Neuheit, die im Moment gerne gegessen wird. Alleine heute wurden Dutzende Portionen verspeist.«
MacDonald war erstaunt über die Beratungsfreudigkeit seines sonst so wortkargen Gastgebers. Hatte er vielleicht diese Woche zu viel Gemüse eingekauft? »Ah, ja. Das klingt sehr interessant, aber wenn Sie nicht böse sind, nehme ich doch lieber ein Hühner-Curry mit Cashewnüssen, Nanbrot, Reis und einen Becher Lassi, salzig bitte.«
Der Wirt erhob, den Block zwischen rechten Daumen und Mittelfinger eingeklemmt, beide Hände und sagte: »Ich bitte Sie, Mister MacDonald. Ich mache nur Vorschläge. Selbstverständlich liegt die Entscheidung ganz bei Ihnen.« Kurze Zeit später erschien sein Essen. In einem anderen Restaurant hätte er skeptisch reagiert auf die prompte Bedienung. Aber hier war er sicher, dass der Koch alles frisch und flink zubereitete. Er breitete graziös die Serviette auf seinen Knien aus und griff zu Messer und Gabel. Beim ersten