Das Auge des Feinschmeckers. Frank Winter
konturierten Diplomatie, die nicht einmal Disraeli hätte überbieten können, ob es mundete. »Das ist kein Hühnchen, kein Hühnchen, kein Hühnchen!« MacDonald schob den Teller von sich und zückte seine Geldbörse.
»Aber nein, ich bitte Sie, Mister MacDonald. Wenn es Ihnen nicht geschmeckt hat, dann zahlen Sie heute auch nichts. Dreht es sich um Fleisch, sind mir momentan leider die Hände gebunden.«
»Irgendetwas in dieser Stadt läuft verkehrt. Bekommt man denn nur noch Kunstfleisch vorgesetzt? Das geht wirklich nicht mehr mit rechten Dingen zu! So nicht, meine Herren! Wo Huhn drauf steht, muss auch Huhn drin sein!«
Als er am Morgen erwachte, legte er sich vorsichtig die Hand auf den geräumigen Bauch. Soweit schien alles in Ordnung zu sein. Die Alpträume von berstenden Körpern gehörten einmal mehr zur Nacht. Hätte er die Schlimmspeise gänzlich zu sich genommen, befände er sich nun höchstwahrscheinlich mit einer Lebensmittelvergiftung im Hospital. Er zog den Bademantel über den karierten Pyjama und ging nach unten, um sich eine Kanne Tee zu kochen. Eine Schale Müsli mit Bananen musste genügen. Mit einem großen Becher Tee und der aktuellen Ausgabe des »Scotsman« erschien er im Arbeitszimmer und schaltete seinen Computer ein, damit er sich warmlaufen konnte. Er hatte mittlerweile den Verdacht, dass man dem Fleisch etwas sehr Ungewöhnliches zugesetzt hatte. Die sicherste Methode, herauszufinden, was es war, blieb ihm verwehrt. Denn wie sollte er an Proben gelangen, die er in ein Labor schicken konnte? Keiner der Zulieferer der betreffenden Restaurants würde ihm den Gefallen tun. Nun, wo er sich bereits stark darüber entrüstet hatte. Beim Großmarkt stieß er mit seiner Frage auf Unverständnis. Dramatischer wurde es noch bei den Metzgern der Stadt, die er ebenfalls anläutete. Sie waren sensible Menschen. Und obwohl er Samthandschuhe um seine Worte legte, reagierten sie beleidigt. »Fleisch, das sich nicht identifizieren lässt, sagen Sie? Es ist sehr nett, dass Sie dabei an uns gedacht haben, Mister MacDonald. Nein, damit können wir Ihnen nicht dienen. Wir wissen, wo unsere Ware herkommt. Immerhin suchen wir sie selbst aus. Auf Wiederhören und einen recht schönen Tag noch für Sie!« Ein wenig mulmig war ihm nun zumute, denn mit seinen Leib- und Magenlieferanten wollte er es sich nicht verscherzen. Als er einige ihm gut bekannte Restaurant- und Pub-Besitzer befragte, hatte er seine Fragetechnik bereits stark verfeinert und sprach mit vielen Blümchen um die Worte. Keiner fühlte sich auf den Schlips getreten. Doch Informationen wurden auch nicht beigesteuert. Nach den Gesetzen der Logik musste er seine Recherche jetzt in der kulinarischen Unterwelt fortsetzen. Aus dem »Scotsman« fischte er die Werbebeilagen. Zwei deutsche Billig-Supermärkte mit vierbuchstabigen Namen buhlten um die Gunst des Lesers. Fleisch in Hülle und Fülle. Zu Preisen, die jedem vernünftigen Menschen zu denken geben mussten. Nicht, dass es nur eine Untugend der deutschen Großunternehmer gewesen wäre, gastronomische Fragwürdigkeiten zu veräußern. Auch britische Ketten mit kurzen Namen schlugen in diese Bresche. Und die Edel-Supermärkte mit ausgewachsenen, englischen Namen präsentierten günstige, exotische Fertigmenüs für Freunde der indischen, italienischen oder britischen Küche. Alle getränkt mit Zucker, Fett, Salz, Konservierungs- und Farbstoffen. Schon vor langer Zeit hatte er aufgehört, ignorante Bekannte zur biologischen Kost bringen zu wollen. Zu teuer, zu viele Schwindler, zu schwierig zu besorgen. Die Ausreden waren Legion. Außerdem meinte doch die Food Standards Agency, dass Ökonahrung keine Vorteile bringe und die Behandlung mit Pestiziden oft ein akzeptables Risiko für die Gesundheit sei! Da lobte er sich Prinz Charles, der bereits vor zwanzig Jahren auf die
ökologische Produktion umgestiegen war. In den gedruckten Werbebeilagen fand er keine Angaben zum Inhalt der Fleischpackungen. Er aktivierte seinen Internetbrowser und ging auf die Website eines Hypermarktes. Auch hier nicht die winzigste Information. Stattdessen wurde man aufgefordert, das Kleingedruckte im Supermarkt vor den Toren der Stadt zu studieren. Für Lebensmüde gab es die Möglichkeit, die Produkte via Internet, ohne Begutachtung, zu bestellen. Eine wahre Groteske war das. Die Industrie konnte machen, was sie wollte. Und am liebsten verkaufte sie Imitate. Zusammengeklebte Fleischreste durften sich Schinken nennen. Garnelen bestanden aus gepresstem Fischeiweiß. Käse war eine Schmiere, die in zwanzig Minuten gänzlich ohne Milch zusammengerührt wurde und mit dem gereiften Originalprodukt nur den Namen teilte. Wenn es so weiterginge, würde er sich auf eine Farm zurückziehen und zum Selbstversorger werden. Warum verstanden die Menschen nicht, dass ein ängstliches und gestresstes Tier aus der Massenhaltung nur minderwertiges Fleisch liefern konnte? War es doch erwiesen, dass der extrem hohe Energieverbrauch aufgrund von Panikattacken zu schlimmen Reaktionen im Körper führte. Ganz zu schweigen davon, dass Tiere nur mit Kollegen zur letzten Station ihres Lebens reisen sollten. Rinder mussten spätestens drei Stunden nach dem Schlachten verarbeitet werden, Schweine sogar bereits nach zwei Stunden. Nur dann befand sich das Fleisch im Warmfleischzustand und besaß die natürliche Fähigkeit, Wasser und Fett zu binden. Mit etwas Salz entstand eine einheitliche Masse höchsten Geschmacks. Fand die Verarbeitung später statt – bei Supermarktfleisch leider ein übliches Faktum – musste mit Phosphaten, Zitraten, Emulgatoren und Geschmacksverstärkern nachgeholfen werden. Jammern und Wehklagen brachte ihn nicht weiter. Hier war das Motto seines Vaters zu beherzigen: Hartnäckigkeit macht sich bezahlt. Er duschte, zog sich an und stieg in sein braves Auto, um sich in die Höhlen der Löwen zu wagen.
»Die Sitte, die Eingeweide eines Tieres in seinem Magen zu kochen, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, mindestens bis zu den Römern.«
Laura Mason und Catherine Brown in »The Taste of Britain«
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