Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Hunter S. Thompson

Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten - Hunter S. Thompson


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alles, was Hunter S. Thompson eben veröffentlichte: »Gonzo ist sein eigenes journalistisches Markenzeichen und hat sich seinen Weg sogar ins neue Lexikon von Random House gebahnt, in dem es mit Begriffen wie bizarr, verrückt, exzentrisch umschrieben wird. Er ist der einzige in dem Lexikon, der in Verbindung mit Gonzo-Journalismus genannt wird.«

      Obwohl sich Thompson eisern den Ruf erarbeitet hat, Herausgeber einzuschüchtern und Agenten zu feuern – die bei ihm »blutsaugende Zehnprozenter der amerikanischen Gesellschaft« heißen –, ist ein großer Teil der Korrespondenz in The Proud Highway an Redakteure und Herausgeber gerichtet, die hellsichtig genug waren, um Thompson zahlreiche Chancen zu geben; insbesondere Clifford Ridley vom National Observer und Dwight Martin von The Reporter. Beide schrieben Thompson, dass sie seine Briefe sogar noch besser als seine Stories fänden und er auf dem besten Weg sei, der nächste Lincoln Steffens zu werden. Doch in seiner langen literarischen Laufbahn gab es allen voran einen Redakteur, den Thompson bedingungslos bewunderte: Carey McWilliams von The Nation.

      McWilliams wurde auf Thompson erstmals im August 1962 aufmerksam. Der legendäre Redakteur las jene Serie außergewöhnlicher Berichte, die ein trinkfester Autor von Lateinamerika aus an den National Observer geschickt hatte, einer erst kurz zuvor von dem Unternehmen Dow Jones gegründeten Wochenzeitung. McWilliams hatte einen Riecher für neue Talente und war von Thompsons Draufgängertum beeindruckt; von seiner Fähigkeit, »tief in eine Geschichte einzudringen«, wie er das in der Reportage »Ein leichtsinniger Amerikaner in einer Schmugglerhöhle« vorgeführt hatte. Einige Jahre später, nachdem Thompson den National Observer verlassen hatte, weil sich die Redaktion seiner euphorischen Besprechung von Tom Wolfes Das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte Stromlinienbaby verweigert hatte, beauftragte ihn McWilliams, für The Nation über das von Mario Savio gegründete Free Speech Movement in Berkely zu schreiben.

      Thompson nahm das Angebot an. Es war zugleich der Anfang einer außergewöhnlichen Korrespondenz, die sich in diesem Band wiederfindet. Von Mitte der sechziger Jahre an schrieb Thompson beinahe wöchentlich Briefe an McWilliams, die von allem Möglichem handelten: von Ken Keseys Verhaftung wegen Besitzes von Marihuana bis zur Ermordung von Malcolm X, von Flüchtlingslagern im Salinas Valley bis zur »verflüssigten Gitarre« von Jimi Hendrix, vom Aufstieg Ronald Reagans bis zum Niedergang Lyndon Johnsons. »Die Zerstörung Kaliforniens ist ein logischer Höhepunkt der Ausbreitung Richtung Westen«, schrieb Thompson in seinem Apartment in Haight-Ashbury, 318, Parnassus Street, an McWilliams. »Der Redwood-National­park, die Autobahnen, die Drogengesetzgebung, Rassenunruhen, Was­serverschmutzung, Smog, das Free Speech Movement und jetzt Reagan als Gouverneur – das alles ereignet sich mit einer mathematischen Logik. Kalifornien markiert in jeder Hinsicht das Ende der Idee Lincolns, Amerika sei ›die größte und letzte Hoffnung des Menschen‹.«

      McWilliams war es auch, der Thompson beauftragte, über die Hell’s Angels zu schreiben. Ergebnis: »Motorcycle Gangs: Losers and Outsiders«, eine Titelgeschichte, die am 17. Mai 1965 erschien und einem freien Journalisten Ruhm und einen lukrativen Buchvertrag einbrachte. »Carey war mehr als jeder andere für den Erfolg von Hell’s Angels mitverantwortlich«, schrieb Thompson. »Er ermutigte mich in jeder Hinsicht.« Oder wie er einem befreundeten Reporter 1966 sagte: »Für Carey McWilliams schreiben zu dürfen ist eine Ehre … Er zahlt nicht viel, aber was soll’s … Wenn deine Geschichte in The Nation erscheint, fühlst du dich gereinigt.«

      Die erste Auflage von Hell’s Angels war schon vor der offiziellen Veröffentlichung ausverkauft. Als das Buch 1967 auf die Bestsellerliste kam, blieb es dort über Wochen und hielt sich bis zum Ende des Summer of Love. »Jeder Biker des Landes muss sich ein Exemplar gekauft haben«, mutmaßte Thompson über seinen Erfolg, der scheinbar über Nacht gekommen war. Das Buch bekam in zahlreichen großen Zeitungen begeisterte Kritiken. Richard Elman notierte in The New Republic, dass Hell’s Angels »einen Geist nahe eines Rimbaud’schen Deliriums ausstrahlt … dem sich zu nähern nur wenigen Genies vorbehalten ist … Es dürfte sich lohnen, die zukünftige Entwicklung des Autors Hunter S. Thompson genau im Blick zu behalten.« Studs Terkel bezeichnete das Buch in der Chicago Tribune als »großartig und furchteinflößend«, während Eliot Fremont-Smith Thomp­son in der New York Times einen »geistreichen, wachen und originellen Autor« nannte. Sogar Thompsons Heimatblatt, das Courier-Journal in Louisville – das 1955 eine Lügengeschichte über seinen polizeilichen Arrest veröffentlicht hatte – sparte nicht mit Lob: »Soziologisch interessant, und das in einem Stil, der nur den wenigsten Soziologen gelingt. Ein erfahrener, anspruchsvoller Autor, der noch jung ist. Thompson durchdringt sein Thema, er versteht etwas von den sozialen und psychologischen Motiven dieser bunt zusammengewürfelten Truppe von Außenseitern.«

      Bei der Zusammenstellung der Briefe für The Proud Highway wurde mir klar, dass Thompson – sobald man seinen aufrührerischen Geist und seine Anmaßungen einer Prüfung unterzogen hat – aus heutiger Sicht ein öffentlicher Moralist ist; einer, der Puritanismus in jeder Ausformung attackiert und dann und wann sogar prophetische Fähigkeiten aufblitzen lässt. Ob er Lyndon Johnson wegen des Vietnamkriegs beschimpft, ob er schon 1965 prophezeit, dass Ronald Reagan eines Tages ins Weiße Haus einziehen wird oder ob er sich über die Gegenkultur von Haight-Ashbury lustig macht – mit klarsichtigen, messerscharfen Kritiken erweist sich Thompson als eine der lebendigsten Stimmen seiner Generation. »Sein Stil wird irrtümlicherweise für übertrieben gehalten, als eine Ausgeburt von blühender Phan­tasie und Drogenkonsum, aber das war nicht anders zu erwarten«, schrieb Edward Abbey über Thompson. »Es ist wie immer in diesem Land – wenn du ihnen die Wahrheit erzählst, belächeln sie dich nur.«

      Eine Auswahl der Briefe für diesen Band zu treffen war eine Aufgabe, die einen zur Verzweiflung treiben konnte. Für jeden veröffentlichten Brief wurden fünfzehn aussortiert. Einer von Thompsons beeindruckenden Qualitäten ist die geradezu akademische Präzision seiner Arbeit, und da sind auch seine frühen Briefe keine Ausnahme. Er verachtet sprachlichen Missbrauch, und es kommt selten vor, dass er ein Wort falsch schreibt oder ein Komma falsch setzt. (Wenn er es doch einmal tat, nahm ich mir die editorische Freiheit, dies zu korrigieren.)

      Die Briefe in The Proud Highway werden hier – mit Ausnahme von Streichungen, um den Lesern unnötige Wiederholungen oder unerhebliche Details zu ersparen (mit eckigen Klammern gekennzeichnet) – so abgedruckt, wie Thomp­­son sie getippt hat. Es wurden lediglich einige Adressen weggelassen, um die Privatsphäre der betreffenden Personen zu schützen. Wesentliches Ziel ist Verständlichkeit; gleichzeitig sollen Thompsons Eigenheiten bewahrt werden: sein Sprachrhythmus, sein Zorn, die Höhenflüge seiner Imagination und die ihm eigene Wärme. Den meisten Briefen ist eine knappe editorische Notiz vorangestellt, um einen historischen Kontext herzustellen und die erzählerische Kontinuität zu wahren.

      Um eine Bestandsaufnahme dieser wahren Fundgrube zu ermöglichen, hat das Eisenhower Center for American Studies der Universität von New Orleans das Hunter S. Thompson Letter Project ins Leben gerufen. Zur vorrangigen Aufgabe der Mitarbeiter des Zentrums gehört es, sämtliche Facetten der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erforschen. Nachdem ich eine Woche mit Thompson auf der Owl Farm verbracht habe, war ich überzeugt, dass diese Korrespondenz für die Geschichte des Nachkriegsjournalismus sowie für Literatur, Politik und populäre Kultur von größter Bedeutung ist. Da das Eisenhower Center bereits die Richard Nixon Project Papers des Historikers Stephen E. Ambrose beherbergt, ist es nur folgerichtig, dass das Zentrum auch ein Projekt finanziert, das dem Erzfeind unseres 37. Präsidenten verpflichtet ist.

      Neben den Briefen hat Thompson Hunderte von Notizbüchern in der Owl Farm archiviert, darunter handgeschriebene journalistische Notizzettel und zwei unveröffentlichte Romane: Prince Jellyfish (1959-1960) und The Rum Diary (1961-1966), die beide zu seiner besten frühen Prosa zählen. Das Archiv enthält außerdem ein Dutzend unveröffentlichter Short Stories wie Hit Him Again Jack, Wither Thou Goest und The Cotton Candy Heart sowie eine Reihe vollständig ausgearbeiteter und noch unveröffentlichter Gonzo-Stücke über so unterschiedliche Sujets wie die Bluegrassmusik von Bill Monroe, den Triumph Jimmy Carters im Weißen Haus oder die Invasion Ronald Reagans in Granada 1983. Als respektabler Fotojournalist, der von Robert Frank und Walker Evans beeinflusst


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