Süffiger Single Malt für MacDonald. Frank Winter
Zimmer war von angenehmer Größe, kein Riesenraum, in dem man sich verlor, aber auch nicht zu klein. Ein kleiner Vorraum trennte es vom Badezimmer, das fast so geräumig wie das Zimmer war. Durch drei schmucke Panoramafenster in jedem Raum bot sich ein prächtiger Ausblick. Auf der anderen Seite der Straße, über die seine geliebte Bus-Linie Elf fuhr, befand sich der Braidburn Valley Park. Darüber erhoben sich schmucke, kleine Häuser. Robert Louis Stevenson marschierte zwei Jahrhunderte zuvor von der City über den Park nach Hause, zum Swanston Cottage. Zur Linken konnte MacDonald die Braid Hills sehen, und zur Rechten war in der Ferne das Meer auszumachen. Wie konnte man dieses Spektakel noch steigern? Er zog kurzentschlossen Mister Glen Garioch aus seiner Mappe und entfernte die Plastik-Ummantelung vom Flaschenhals. Verdächtig leicht ging das vonstatten. Er schenkte zwei Schlückchen Whisky in ein Nosing-Glas, nippte daran und beließ ihn, den zwölf Lebensjahren entsprechend, ein Dutzend Sekunden im Mund, über der Zunge, darunter, links, rechts, bis er zu brüllen begann: »Krakelendes Moorhuhn! Das darf doch nicht wahr sein!«
»Mein Gott, ich mag den Geschmack von Whisky so sehr, dass ich mitunter denke, ich sollte Igor Strawhisky heißen.«
Igor Strawinsky (1882-1971),
Komponist
1 Alberto spielt hier auf MacDonalds Hausgast in »Currys für Connaisseure« an, das Gespenst Dougal Dinwiddie.
2 Vitiello bezieht sich auf »Dicke Luft in der Küche«, das zweite Abenteuer unserer beiden Detektive.
Balmorals feine Whisky-Bar
MacDonald schlief unruhig. Alpträume wechselten sich ab, und am Morgen war er froh, aufstehen zu können. Neben seinem Kopfkissen lag ein Zettel, auf dem groß »Karen« stand. Er wollte seine Herzensdame bereits am Abend anrufen und ihr den Menüvorschlag präsentieren, doch nach dem flüssigen Schock verließ ihn die Stimmung. Er nahm den vermeintlichen Glen Garioch und brachte ihn außer Sicht im Schrank unter. Nach einem gemütlichen Vollbad begab er sich nach unten, in den Frühstücksraum. »Nummer 326«, informierte er den langen Gentleman in weißem Hemd und schwarzer Hose, der hinter der Theke stand. Die anderen Angestellten traten ganz in schwarz auf. Er musste der Chef sein. »Sie haben freie Tischwahl, Sir.«
Ein Nordire, dachte MacDonald. Die grüne Insel war gut vertreten.
»Tee oder Kaffee, Sir?«
»Tee, bitte.«
Der Mann nickte und schritt mit riesigen Schritten in die Küche. MacDonald ging zu seinem Tisch. Hohe, schlanke, mit Leder bezogene Holzstühle standen an dunkelbraunen Tischen. Durch zwei bodenlange, karierte Vorhänge wurde der lange Raum geteilt. MacDonald verstaute seine Aktenmappe auf der Fensterbank, ging in den Nebenraum und holte sich am Buffet Müsli und Orangensaft. Auf dem Tisch dampfte aus einem Kännchen sein Tee. Hätte der Oberkellner nicht an ihm vorbeikommen müssen? Ein Brummen in seiner Tasche lenkte ihn ab. »Angus Thinnson MacDonald. Alberto, schön, dass du anrufst. Ich muss dir dringend etwas erzählen.« Als er mit seiner Glen-Garioch-Story zu Ende war, blickte er sich im Raum um. Ein kleiner Mann asiatischer Provenienz kippte ruckartig den Kopf nach unten. Der Bursche hatte seine Konversation belauscht! Lustlos beendete MacDonald sein Müsli und holte sich nur Eier und Speck. Als er zurückkam, waren sowohl Oberkellner als auch Beobachter verschwunden. Was für ein komischer Morgen. Er ging in sein Zimmer, putzte sich die Zähne und verbrachte die nächsten Stunden damit, an den neuen Rezepten zu feilen. Falls Karen seine fleischlichen Versöhnungsmenüs nicht zusagten, würde er sich mit einer Kreuzung zwischen schottischem und orientalischem Essen lieb Kind machen. Feuriger Rote-Bete-Salat, Gerstentopf und süßsauer eingelegter Kürbis.
Gegen halb zehn wandelte er die enge, steinerne Treppe nach unten, zur Straße. Die Linie Elf fuhr um diese Uhrzeit sehr häufig und so musste er nicht lange auf den nächsten Doppeldecker warten. Er schob seine Karte über den elektronischen Scanner, bedankte sich beim Fahrer und setzte sich in den vorderen Bereich. Die Morningside Road war schon immer eine seiner liebsten Straßen in Edinburgh. All die vielen kleinen Geschäfte bewiesen, dass sich mit einem treuen Kundenstamm eine Existenz abseits von Ladenketten führen ließ. Er fuhr bis zur Princess Street, nahm von dort ein Taxi in die Old Town und ging noch einige Meter zu Fuß, um etwas für seine Gesundheit zu tun. Was er von weitem sah, als er sich Imperial Whiskys näherte, konnte nicht wahr sein! Somerled, der komische Stellvertreter, schloss die Tür ab und drehte das Schild mit dem Hinweis »Sorry, we are closed« nach außen. Angesichts der Tatsache, dass sie in fünf Minuten öffnen sollten, war das bodenlos! Dann streckte der Kerl auch noch den Daumen nach unten! Was bildete er sich ein, nach zwei Flaschen Fusel! So einfach käme er ihm nicht davon. Wenn er vor der Tür stehen blieb, erschiene niemand. Auf der anderen Straßenseite würden sie aber nicht merken, dass er observierte. Er musste nur noch für eine gute Verkleidung sorgen. In einem der Touristengeschäfte wurde er fündig: ein Schlapphut mit angenähter, roter Perücke und ein Schal im Royal-Stewart-Tartan aus Polyacryl sollten genügen. Seine Mappe steckte er in eine große Plastiktüte und fertig war der Zwei-Tage-Stadtbesucher. Etwa dreißig Minuten später riss ein Mann in Tour-de-France-Montur die Ladentür auf, Sturzhelm auf dem Kopf und Rad auf dem Rücken. Der unhöfliche Verkäufer! »Hallo, Sie da!«, rief MacDonald laut und eilte über die Straße. Als Somerled ihn ausmachte, sprang er aufs Rad und strampelte davon, mit der Linken abermals den Daumen nach unten richtend. Auch ein schlankerer Mensch hätte den Mann nicht stellen können. MacDonald klopfte an die Tür und rief nach dem Besitzer. »Kevin Wordie, bitte für ein klärendes Gespräch erscheinen.« Im Geschäft fiel eine Flasche auf den Boden. Ob Wordie seine falschen Whiskys zerstörte? Er konnte ihn leise wimmern hören. Was hatte der Mann bloß? Am besten warten, bis er ebenfalls das Geschäft verließ. Doch war nicht gesagt, wie das vonstattengehen würde. Wordie kam vielleicht auf einer Kanonenkugel geflogen! Nein, da ging er lieber zum Coffee-Shop in der Blackwell’s-Buchhandlung und trank eine schöne Tasse Kaffee. Über drei Scones kam die Mittagszeit und er schlenderte ins Kebab Mahal am Nicholson Square, um seinen gewohnten Imbiss zu nehmen: Chicken Curry mit Cashewnüssen, Reis und Naan. Um sich eines Völlegefühls zu entledigen, würde ein Spaziergang hilfreich sein, in die Whisky-Bar des Balmoral Hotel, für weitere Ermittlungen …
Im Jahr 1902 unter dem Namen North British Station Hotel eröffnet und direkt am Waverley-Bahnhof gelegen, war das Balmoral der Inbegriff eines gediegenen Etablissements. Wie eine Burg ruhte es in der Stadt. Nicht zufällig war Balmoral das gälische Wort für majestätisches Gebäude. Etwa 460 Scotch Whiskys, und nur solche, konnten in der Whisky-Bar verköstigt werden, denn niemand reiste nach Edinburgh, um Bourbon zu trinken. Gordon and MacPhail, der Händler und Abfüller von raren Whiskys, hatte bei der Bestückung der Bar geholfen. Alle 122 Malt-Destillerien waren vertreten. Es gab Whiskys zu einem Betrag in dreistelliger Höhe und Flaschen für 8.000 Pfund, etwa einen Benromach, Jahrgang 1970. Doch auch für wenige Pfund konnte man ein Gläschen trinken. Natürlich versuchte keiner der drei Whisky-Botschafter, so hießen die versierten Barkeeper, Gäste reinzulegen. Man war bemüht, im Zwiegespräch ein passendes Tröpfchen zu finden. Zwischen 35 und 40 Flaschen sehr alter Scotch wurden offeriert, von stillgelegten Destillerien wie Port Ellen, Rosebank oder Little Mill. Die Whisky-Botschafter, alle sehr nett, teilten sich die Bar. Da die meisten Gäste aus dem Hotel stammten und sich nicht zwangsweise mit Scotch auskannten, waren die Herren immer erfreut, MacDonald zu sehen. Der wiederum hoffte, den Jüngsten von ihnen anzutreffen. Es war beeindruckend, wie gut der Herr sich bereits mit Scotch Whisky auskannte. Als der Gourmet das Hotel betrat, bereute er es fast, sich nicht hier einquartiert zu haben: Eine von seinen Eltern tradierte Vorsicht im Umgang mit Geld hatte ihn davon abgehalten. An der Rezeption fiel ihm ein Mann auf, der mindestens 2,20 Meter groß war, karierte Hose und Gehrock trug. Gehörte er zum Personal? MacDonald sah durch die Glastür in die Bar. Blitzblank poliertes Parkett aus Kiefernholz, eine Theke aus Kirschbaum, davor schwarze Hocker mit schwarzweißem Schaffell, die Bar dreigeteilt mit einem dunkelbraunen Regal in der Mitte. Links und rechts davon standen in beleuchteten Glasschränken Whisky-Flaschen. Sein favorisierter Botschafter war zugegen und bislang noch ohne Gäste. Da ließ es sich gut plauschen. Der junge Mann polierte Gläser und lächelte ihm zu. »Mister