Wie Splitter aus fernen Träumen. Frank Westermann

Wie Splitter aus fernen Träumen - Frank Westermann


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Erscheinungsformen. Anfangs war eine Verständigung natürlich schwer gewesen, da alle aus höchst unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhängen stammten, aber der Wille und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit hatte sie schließlich verbunden.

      Die Prexter, ein hochtechnisiertes Volk, hatten schließlich, nachdem sich dieser Völkerzusammenschluss endgültig gebildet hatte, adäquate Übersetzungsgeräte geschaffen, die nun zumindest eine reibungslose verbale Verständigung erlaubten. Auch heute standen diese Geräte vor den Plätzen der Abgesandten, und der Bote der Prexter war dabei, die letzten Justierungen und Feinabstimmungen vorzunehmen.

      Irrlicht sah, dass die Runde fast vollständig war. Er hatte heute den Vorsitz und war jetzt doch ziemlich aufgeregt, da abzusehen war, dass es diesmal zu weitreichenden Entscheidungen kommen würde.

      Die Ankunft der restlichen Delegierten konnte sich noch lange hinauszögern, und so beschloss er nach kurzer Wartezeit die Diskussion zu eröffnen. Er erteilte zunächst Hat-keine-Augen das Wort, damit der Materie-Magier über die aktuellen Entwicklungen in der bedrohten Realitätsebene berichten konnte.

      Wie er vermutet hatte, steuerte alles auf einen kritischen Punkt zu. Die Wissenschaftler der Slayn Dran machten sich daran, in die Funktionen der Kontrolltürme einzugreifen. Und damit waren endgültig auch alle anderen Realitäten, die von den Schnittstellen aus zu erreichen waren, bedroht. Die Gefahr beschränkte sich nicht mehr, wie vorauszusehen war, allein auf das Magische Volk.

      Dies war allen Zuhörern sofort einsichtig, denn es war einer der entscheidenden Gründe gewesen, warum es überhaupt zu dem Völkerzusammenschluss gekommen war. Es blieb nur noch die Frage offen, wie die Entscheidungen der betroffenen Völker, Einzel- und Gemeinschaftswesen ausgefallen waren. Lange Debatten waren nicht mehr nötig, die Wenns und Abers waren in früheren Sitzungen besprochen worden. Allen war einsichtig, dass es sich hier letzten Endes um eine reine Überlebensfrage handelte. Eine Manipulation der Realitätsstrukturen konnte schlimmstenfalls zum Untergang aller Lebewesen dieser Realitäten führen.

      Wenn noch rechtzeitig gehandelt werden sollte, war es nötig, sofort zuzuschlagen. Auch diese Entscheidung erfolgte nahezu einstimmig, und die wenigen Zauderer schlossen sich bald an. Nur zwei Abgesandte hielten dies für einen grundsätzlich falschen Beschluss und verließen die Versammlung.

      Weitaus umfassender wurde anschließend darüber diskutiert, wie sich dieses Zuschlagen am besten bewerkstelligen ließ. Doch auch darüber wurde schließlich in groben Zügen Einigkeit erzielt und so konnte sich Irrlicht mit einem fast euphorischen Gefühl auf den Heimweg begeben.

       Standin’ by the window

       Balance at the brink

       Kiss another bottle

       Sink another drink

       Throw away the feeling

       Throw away the pill

       If the bottle doesn’t get me

       the thinking will.

       Lights shining bright

       what’s it like in the light

       It’s easy to believe lights in the night.

      Flash and the Pan - »Lights In The Night«

       2.

       Flucht ohne Ausweg

      War es wirklich nur die Angst, die mich trieb, diesen Weg zu gehen? War es wirklich so einfach, alles auf diese Formel zu reduzieren? Und was sagte das schon aus? Angst ... Angst vor dem Leben, Angst vor der Realität, Angst vor Menschen ... sich nichts mehr zutrauen, das Selbstbewusstsein oder das, was man dafür gehalten hat, schwindet, als ob mir die Lebenskraft ausgesaugt wird.

      Ich weiß nicht mehr, wer ich bin – aber habe ich das jemals gewusst oder habe ich immer nur ein Abziehbild, eine Schablone von mir gesehen? Ein Bild, bei dem alle dunklen Flecken wegretuschiert waren, eine Folie zum handlichen Gebrauch für jede/n – vor allem für mich selbst.

      Die Welt um mich herum war komplizierter geworden, schwieriger zu durchschauen, komplexer zu begreifen, weil ich mich selbst nicht mehr durchschaute, alles in Frage stellte und dazu neigte, bei jedem geringen Anlass in Melancholie oder Depression und Resignation zu versinken.

      Plötzlich waren ein paar Eckpfeiler meines Wissens über mich selbst ins Wanken geraten, und in der Folge davon zweifelte ich an meiner gesamten Lebensweise und meinen Lebensinhalten. Sachen, die mir früher Spaß gemacht, mir einen Sinn gegeben hatten, wurden wertlos und hohl. Und obwohl es Neues im Überfluss zu entdecken gab, schaffte ich es nicht, dies in mein Mosaik einzubauen. Musste ich vielleicht erst das ganze Bild von mir radikal zerstören? Und dann? Würde sich dann wirklich eine neue Struktur herstellen oder nur ein schwarzes Loch, eine gähnende Leere Zurückbleiben?

      Und das alles musste ausgerechnet zu einem Zeitpunkt passieren, wo alle anderen neuen Mut schöpften, die langen Anstrengungen endlich einen Lichtstreif am Horizont hervorgebracht hatten. Das Leben schien doch wieder einfacher, sinnvoller, die Belohnung für Mühsal und Aufopferung stand bevor. Die Menschen atmeten auf, mussten endlich nicht mehr tagtäglich um ihr Überleben bangen, eine neue Zukunft stand vor der Tür und versprach zumindest bessere Zeiten als früher. Hoffnungen und Wünsche, die längst begraben schienen, tauchten aus ihren Verließen empor, es wurde gelacht und gefeiert, wirkliches Leben war spürbar, pulsierte überall.

      Und gerade in dieser Situation sollte es mir an den Kragen gehen? Eigentlich sollte ich darüber lachen, hinweg mit dem Selbstmitleid und dem Weltschmerz! Lebe und lass es dir gutgehen!

      Aber es hatte natürlich keinen Zweck, sich so etwas vorzuspielen, auch wenn niemand es begriff. Und wer sollte es auch verstehen, wenn mir nicht einmal selbst die Ursachen und Beweggründe für meine Gefühle und Verhaltensweisen klar waren? Je mehr ich darüber nachgrübelte, desto undurchdringlicher wurde der Dschungel aus Absichten, Motiven, Emotionen und längst verdrängtem Seelenmüll.

      Meine Freunde wollten nichts damit zu tun haben, und die Psycho-Beratung, bei der ich zweimal war, war einfach nur lächerlich.

      Dieses Gefühl, als ob sich plötzlich die Realität verschoben hatte, als würde ich gar nicht mehr in dieser Welt leben ... Es machte mich absolut hilflos, lähmte alle meine Energien. Ich konnte stundenlang in Gedanken versunken dasitzen, bis mich Leid und Schmerzen überkamen und ich anfing zu heulen. Meist besserte sich dadurch mein Zustand etwas, ich konnte wenigstens etwas rauslassen und danach einigermaßen beisammen meinen Alltag hinter mich bringen.

      Kein Land in Sicht ... Hatte ich es deshalb auf mich genommen, dieses waghalsige Experiment einzugehen von dem zudem nur wenige von seiner Notwendigkeit überzeugt waren? War das nicht wieder eine meiner Selbsttäuschungen und nichts anderes als ein Selbstmordkommando, das mir das Problem der Selbsttötung abnahm?

      Ich spürte wieder, wie sich mein Magen zusammenkrampfte, und nahm automatisch eine Tablette – garantiert biologisch ohne Nebenwirkungen. Aber die halfen kaum noch, der Schmerz wurde mehr und mehr zu einer gewohnheitsmäßigen Last.

      Schon morgen sollte es losgehen, es war immerhin eine langwierige Eingewöhnungsphase notwendig. Ich konnte immer noch zurück, aber wohin? Es gab kein Zurück. Denn zurück bedeutete für mich zurück zu Julie, und dieser Weg war ein für allemal für mich versperrt. Die Beziehung zu Julie bestand längst nicht mehr, nur noch in meinen Wunschträumen, und sie hatte wahrscheinlich niemals so bestanden, wie ich es mir jetzt gern vorstellte. Einbildung ... Manchmal kam es mir so vor, als lebte ich fast vollkommen in einer Welt aus Einbildung, Wunschtraum und Illusion. Ich war mir nicht mehr sicher, was davon in Wirklichkeit existierte.

      Und gerade diese Flucht vor der Realität, wie sie es nannten, sollte mich also dazu befähigen, das Experiment durchzuführen, von dem – nach Meinung


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