Wie Splitter aus fernen Träumen. Frank Westermann

Wie Splitter aus fernen Träumen - Frank Westermann


Скачать книгу
Kneipen, das Tri-Di und anderen Lebensersatz so sehr?

      Es entstand eine Zukunft, in der ich mich ebenso wenig zuhause fühlte wie in der Vergangenheit, und in der Gegenwart konnte ich schon gar nicht leben.

      Der Schock der Trennung von Julie, dieser Sturz in die absolute Leere hatte mir den Rest gegeben. Tagelang lief ich mit umnebelten Gehirn durch die Straßen, immer den Tränen nahe, mal volltrunken, mal apathisch irgendwo rumsitzend. Ich war leer, ausgebrannt, die Trauer, das Selbstmitleid hatten mich überwältigt, und es gab nichts und niemanden, auf den ich mich stützen konnte. Wie auch, wo ich mich selbst so vollständig verloren hatte?

      Und an diesem Punkt wurde mir das Angebot gemacht.

       3.

       Schlüssel zur Macht

      Er war der Kommandant. Diese Bezeichnung drückte alles Notwendige aus. Sie machte ihn zum Herrscher über 370 Einzelwesen, zum absoluten Befehlshaber, zum Richter und Henker, Förderer, Kriegsherrn und Priester – und zum einzigen, der befugt und in der Lage war, die Tresor-Kammer zu öffnen.

      Es war kein langes Ritual erforderlich, seine Anwesenheit genügte, sein Wunsch ließ den Energievorhang, der die Kammer von der tristen Umgebung des kahlen Korridors abtrennte, in sich zusammenfallen.

      Der Kommandant dirigierte seinen glänzenden, faserigen Körper bis in die Mitte des Raumes und ließ von dort den Anblick auf sich einwirken. Er hatte nicht gezählt, wie oft er diesen Platz in den letzten Spannen seiner Zeitrechnung aufgesucht hatte, aber jedes Mal erfasste ihn wieder eine Woge von Triumph, wenn er in dem mattschimmernden Licht schwebte.

      Er bildete sich auch nicht ein, die Funktionen der einzelnen Teilstücke der Apparatur zu durchschauen, und er wusste nicht auf welche Weise sie sich eines Tages, wenn sie vollständig war, zusammensetzen würde. Aber dass sie es tun würde, war ihm so klar wie seine eigene Position an Bord des Flaggschiffes der 14. Invasionsflotte des Slayn Dran Imperiums.

      Die Teile waren von unterschiedlichster Konsistenz, Größe, Farbe und Aussehen. Vor ihm drehte sich langsam ein zylindrischer, langgezogener Körper, der ein helles Zirpen von sich gab. Daneben hatte sich ein kleiner, weicher Ball mit stacheligen Auswüchsen platziert, der sich so langsam bewegte, dass es kaum wahrzunehmen war.

      Insgesamt handelte es sich um 18 Teilstücke, und der Kommandant erinnerte sich an die Geschichte jedes einzelnen, denn er hatte sie alle selbst aufgespürt. Manche waren leicht zu entdecken und einzufangen gewesen, andere hatten seinen Bemühungen lange Zeit getrotzt, und, wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er einige Male nahe daran gewesen war, die Suche aufzugeben.

      Aber schließlich hatte er es doch immer geschafft, und die Jagd nach den Teilen war zum Sinn seines Lebens geworden. Alle seine Gedanken kreisten um dieses Thema und um die Belohnung, die ihm winkte, wenn die Apparatur jemals vollständig sein würde. Der Preis war die totale Hingabe, ja Aufopferung für diese Sache, wobei der Verlust von Lebewesen und Material nur eine nebensächliche Randerscheinung für ihn darstellte. Er war gern bereit gewesen, diesen Preis zu zahlen. Doch dann, in dem Moment als ihm nur noch ein Teilstück fehlte, ein Teil zum Gewinn unglaublicher Macht, hatte ihn das Jagdglück verlassen.

      Sein zentrales Sinnesorgan verdunkelte sich bei diesem Gedanken. Er hatte gehofft, hier am Ort seiner Siege neuen Mut zu finden. Das Gegenteil war eingetreten. Die Tresor-Kammer erinnerte ihn an seine einzige, aber entscheidende Niederlage: es war in den letzten Zeitabläufen nicht gelungen, das Signal des letzten Teilstücks aufzuspüren.

      Wie lange hatte er gewartet, vor den Geräten geschwebt und in den unendlichen Weltraum gehorcht. Nichts. Das Signal war nicht eingetroffen, egal welche Frequenzen sie abgehört hatten.

      Ewigkeiten schien ihm das jetzt her, Ewigkeiten des Wartens, des Nichtstuns, der Frustration.

      Aber ich habe nicht aufgegeben, dachte er, und sein Körpergespinst krampfte sich zusammen. Ich habe einen anderen Weg gefunden. Und dieser Weg wird es mir schließlich auch ermöglichen, andere Realitäten zu erreichen und zu manipulieren. Auf diesem Planeten würden seine Träume auch ohne die Apparatur wahr werden, auch wenn es ein Umweg war, den zu beschreiten wieder so lange Zeit gedauert hatte. Es war schwer für die Spezialisten gewesen, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, doch nun standen sie kurz vor dem Durchbruch.

      Planet der roten Sonne, so wurde die Welt von ihren Bewohnern, dem sogenannten Magischen Volk genannt. Ein Planet als Schnittstelle für Realitätsebenen, eine letzte Chance für ihn.

      Aber trotz des bevorstehenden Erfolges musste er sich, mehr als er wollte, beeilen, denn seine Vorgesetzten waren misstrauisch geworden. Und das mit Recht, denn er hatte von Anfang an nicht vorgehabt, die Apparatur an die Herrscherclique seines Heimatplaneten, dem Zentrum des Slayn Dran Imperiums, auszuliefern. Und natürlich würde er sie auch nicht über die wahre Bedeutung dieses Planeten in Kenntnis setzen.

      Lange Zeit war es ihm gelungen, die Befehlshaber mit der Lüge, dass sie auch auf diesem Planeten ein Teilstück der Apparatur suchten, hinzuhalten. Doch nun hatten sie zu zweifeln begonnen und genauere Aufklärung darüber verlangt, was er die ganze Zeit über auf dieser Welt betrieb. Im letzten Funkspruch hatten sie die Entsendung eines Kontrolleurs angekündigt für den Fall, dass er nicht in Kürze den erfolgreichen Abschluss seiner Arbeiten melden konnte.

      Und Kontrolleure waren nicht so leicht zu bestechen oder unschädlich zu machen. Es waren Sicherungen eingebaut, weil die Befehlshaber mit der Eigenmächtigkeit ihrer Untergebenen rechneten. Besonders in so einem Fall, der wesentlich mehr versprach als Belobigungen und einen Aufstieg in der Hierarchie der Slayn Dran.

      Sein Erfolg stand in der Tat kurz bevor, aber auf ganz andere Weise, als seine Vorgesetzten sich dies vorgestellt hatten. Denn dann würde er allein den Zugang zu anderen Realitäten beherrschen und ihnen seine Bedingungen diktieren. Niemals hatte er vorgehabt, sich lediglich mit Geld und Orden abspeisen zu lassen. Er hatte seine Möglichkeiten früh erkannt, und nur so war es ihm überhaupt gelungen, die lange Zeit durchzuhalten und nicht wie viele andere vor ihm, die Suche verzweifelt abzubrechen.

      Und sein Flottenverband war ihm treu ergeben. Die meisten hatten auch sonst keinerlei Aussicht, zu Ruhm oder Macht zu kommen. Er versprach ihnen beides und noch viel mehr.

      Und unzuverlässige Elemente waren bei dem herrschenden Spitzelsystem und dem offenen Abhören nahezu aller Äußerungen seiner Untergebenen schnell aufzuspüren und zu beseitigen.

      Er gestand sich allerdings ein, dass es nicht nur seiner Tüchtigkeit zu verdanken war, die ihn an diese Stelle geführt hatte. Kurz vor dem Start seiner Flotte, die allein den Auftrag hatte die Teilstücke der Apparatur zu suchen, war auf dem Zentralplaneten ein besonderer Signalempfänger entwickelt worden. Die Untersuchungsberichte der ergebnislosen früheren Suchexpeditionen hatten zu dieser Erfindung geführt. Das Gerät fing die spezifischen Signale der Teilstücke des Realitätsmanipulators auf, sobald sich eines von ihnen aktivierte. Es zeigte Richtung und Entfernung an und wurde so zum wichtigsten Hilfsmittel bei der Jagd nach der Vervollständigung der Apparatur (der Kommandant bevorzugte diesen neutralen Ausdruck, da er überzeugt davon war, dass eine Einengung auf den Begriff Realitätsmanipulator ihr nicht gerecht wurde).

      Alle Teilstücke hatten irgendwann ihr Signal ausgesandt und waren von ihm aufgespürt und eingefangen worden, alle bis auf das letzte. Er konnte sich dieses Phänomen nicht erklären, es passte nicht in seine Theorie von der Aktivität der Apparatur-Teilstücke. Aber er hatte der Realität ins Auge sehen müssen: das letzte Teil blieb unauffindbar.

      Es hatte keinen Sinn, die ganze Galaxis danach abzusuchen, wie es seine Vorgänger getan und dabei kein einziges Teil erbeutet hatten. Er konnte nur warten und spekulieren: vielleicht war gerade dieses Teil zerstört oder funktionsuntüchtig geworden. Oder irgendjemand schirmte seine Aktivitätsimpulse erfolgreich ab, oder es hatte gelernt, sich selbst abzuschirmen. Er konnte dieses Rätsel nicht lösen, aber ohne das letzte Teil war die Apparatur nicht einsatzfähig, so viel Aktivität die einzelnen Teile auch selbstständig entwickelten.

      Und noch einen Vorteil besaß er gegenüber


Скачать книгу