Anschwellendes Geschwätz. Jürgen Roth

Anschwellendes Geschwätz - Jürgen Roth


Скачать книгу
in eine Darstellung zu bringen, darauf darf man ebenso gespannt sein wie auf den Versuch, die Bewohnbarkeit der Welt im Roman beizubehalten, oder das Unterfangen, zwischen Subjekt und Gesellschaft pädagogisch wertvolle Brücken der Vermittlung zu bauen. Doch davon trüben Auges abgesehen, ist ja immerhin nachvollziehbar, daß das »Erzählen die verkappte Äußerungsform des Moralisten« sei, »ausgeübt mit dem Pathos dessen, der darin nicht etwa nur der Lust zu fabulieren frönt«, sondern dabei auch »das Leben kennen« muß, »um es in den künstlerischen Werken wahrheitsgetreu darstellen zu können, nicht scholastisch, nicht tot« (Andrej Ždanov: »Die Sowjetliteratur, die ideenreichste und fortschrittlichste Literatur der Welt«, 1934), nein, so muß er es in die Darstellung bringen, daß der »weite Blick für neue Gruppierungen und globale Zwischenräume« zu Büchern anregt, »die uns ergreifen« und der »in der x-ten Potenz geschwächten Avantgarde« etwas äußert Wichtiges entgegenstellen: den »Standpunkt von jedem wesentlichen Buch«, vulgo »die ästhetischmoralische Verantwortung eines Schriftstellers, der alles Stoffliche arrangiert, um damit ein erzählerisches Ziel zu erreichen«.

      Bricht nun also eine neue Zeit des »Tendenzromans« (Engels), der »Parteiliteratur« (Lenin) an? Mitnichten. Gewagteres scheint zu dräuen: »eine Gratwanderung zwischen dem, was als Erzählen aus der Mitte erlebten Lebens heraus seit je einzig angemessen, und dem, was von der einstigen Avantgarde als Kunstfertigkeit übriggeblieben ist«. »Daß die Wurzel der wirklichen Größe eines Schriftstellers in der Tiefe und im Reichtum seiner Beziehungen zur Wirklichkeit liegt« (Georg Lukács: Wider den mißverstandenen Realismus, Hamburg 1958), das wird endlich wieder anerkannt, und so folgt aus dem stilistischen ein ethischer Imperativ: »die beständige Sichtung unserer untergehenden Welt und das Ringen um neue Utopien«.

      Bei diesem Ringen wollen wir jetzt gerade nicht weiter stören. Doch angesichts des kurz nach dem Manifest für einen neuen Relevanzismus durch Wolf Biermann, Klaus Harprecht, Günter Kunert, Hans Christoph Buch (der in den Siebzigern den Rowohlt-Band Parteilichkeit der Literatur oder Parteiliteratur? herausgegeben hatte) und andere lärmende Damen und Herren um die sechzig flugs verantworteten »Aufrufs gegen die neue Linkspartei« möchten wir die Frage »Was soll die Literatur?« noch schnell mal ganz persönlich beantworten: Gern haben soll sie mich mal, die gesamte Literatur, samt ihrem Schöpferpersonal.

      Unser Luschigster

      Das Milieu der Literaturkritik ist in großen Passagen eine Welt voller Qualligkeit und aufgespreizter Ödnis. Seit zwei Jahren ist es auch eine Welt, wie sie kaum jenem gefällt, der sich gern in die Pose des »derridaiden« (D. Diederichsen) und anderweitig veranlagten Schwadroneurs wirft.

      Im Sommer 2002 kürte die Kundschaft des Internetshoppingtempels Amazon Alex Dengler aus der Oberpfalz zu ihrem »Toprezensenten«. Und weil es kein folgenreiches Unheil gibt, das es im worldwide Deppenhausen nicht gibt, stieg der kecke Parsberger Literaturauskenner umgehend zum Chefexeget der BamS in Sachen Buch und Buchstaben auf.

      Seither ist es um die Literaturkritik endlich vollständig geschehen. Wir und unser gelobtes Land verfügen nämlich nicht nur über einen Literaturkritiker, der einem Diktum Eckhard Henscheids zufolge »Unser Lautester« ist; nun haben wir da alle miteinander auch einen Mann zu bestaunen, der laut BamS nichts weniger sein soll als »Deutschlands beliebtester Buchkritiker«.

      Tatsächlich, als »Deutschlands beliebtester Buchkritiker« wird Alex Dengler allsonntäglich über seine Kolumne »Schon gelesen?« annonciert, und was wir da, in diesem von Deutschlands bestem Dengler zusammengedengelten Literaturbesprechungskästlein, schon alles bei voll ausgelasteten Verstandeskapazitäten haben zusammenlesen dürfen, das rechtfertigt das Urteil allemal, daß Deutschland einfach nicht mehr besser werden kann, Deutschland, das Goethe- und Reich-Ranicky-Country.

      Denn Deutschland ist jetzt wirklich on top of the world der Literaturkritik angelangt, und zwar i. S. des Lebens- und Literaturbetrachtungsmottos unseres Luschigsten, des Alex Dengler, der dem Schweizer Tagesanzeiger verriet: »Ich wollte endlich über die Bücher schreiben, die ich gut fand, Romane, Thriller, Krimis, die dem Feuilleton keine Zeile wert sind.«

      1.500 Seiten lese er pro Woche, klärt er uns des weiteren auf, und daß das nicht guttut und nicht gutgehen kann, lesen wir dann. Zum Glück braucht Deutschlands beliebtester Buchfex nicht allzu viele Worte, um uns haargenau über die »knackigen Plots«, die er so sehr schätzt, zu informieren, etwa dergestalt: »Nummer 5, ein normales Haus in Belfast. Doch die darin lebenden Personen haben Geschichten zu erzählen, die fesseln.«

      Punkt. Das sitzt. Bong. Zuweilen pestet’s aber noch eine Spur fetziger: »1665. Eine große Liebe zu Zeiten der Pest. Ein historisches Highlight!« Mit Sicherheit. Obwohl uns schwanen mag, daß der Mann, der »jede Woche für BamS« liest, da in der Redaktion der BamS offensichtlich keiner mehr lesen kann, das ganze rare Zeug im Grunde gar nicht runter- und wegliest, es sei denn, das Lesen darf auf den Klappentext oder den Verlagsprospekt beschränkt bleiben. Da täte er es immerhin Reich-Ranicki gleich, der Bücher traktiert, ohne einen Blick in sie geworfen zu haben.

      Hat nun aber Deutschlands beliebtester Buchkritiker eine Botschaft? Was will uns diese äußerst aufgeweckt dreinschauende »Kulturhummel« (Erwin Michenthaler), dieser »lesende Beckham« (Tagesanzeiger) sagen und verklickern? »Die Essenzen des Romans: Musik und Frauen«, heißt es z. B., was wohl heißt, daß schon auf der essentiellen Inhaltsebene in diesem Buchfall alles mehr oder weniger im Lot ist, eine Einschätzung, die sich andernorts zu einem bestechenden Empfehlungsurteil ausweitet: »Dr. Muo und die komplizierte Welt der Frauen. Bestseller-Autor Dai Sijie legt einen bestechenden zweiten Roman vor.«

      Wenn das wahr ist, sollen Romane, verstehen wir Deutschlands beliebtesten Buchkritiker richtig, bestechen. Sie sollen »Beat, Leidenschaft, Charme, Witz« oder »Drive, Nervenkitzel, Gefühl« haben und auslösen, »vor Geheimnissen, Liebe, Abenteuern und Spannung knistern« (woraus folgt: »Der Roman hat Soul & Blues«) oder gleich vier Elemente auf einmal enthalten: »Wissenschaft, Horror, Action, Thriller. Das sind gleich vier Elemente auf einmal!« Darüber hinaus müssen sich »die Geschehnisse entfalten wie ein guter Wein«, damit »ein Roman mit viel Flair« rauskommt. Der Roman an und für sich, so macht es uns angeblich Barbara Wood vor, habe zudem »perfekt recherchiert« zu sein und »die Wucht von zwanzig Segelschiffen« zu besitzen oder abermals zu entfalten, auf daß uns Deutschlands beliebtester Buchkritiker ungetrübt unter die witternde Lesernase reiben kann: »Ein gehobener Kriminalroman mit hervorragenden Charakteren. Er verdient das Prädikat Spitze!«

      Vorbei ist’s mit vielen Worten. Deutschlands beliebtester Buchkritiker hat die Literaturkritik in Deutschland revolutioniert. Und er weiß zu preisen – einen »deutschen Psycho-Krimi« etwa, »der internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht«, oder die den deutschen Worten zugehörigen deutschen Werte: »Nach ihrem spannenden ersten Fall [...] ermittelt Rechtsmedizinerin Leonie Simon nun endlich wieder. Sie ist eine deutsche Kay Scarpetta mit allen deutschen Tugenden. Als Ermittlerin geradlinig und ehrlich – ein ausgeprochener Sympathieträger.«

      Nein, von Qualligkeit kann hier keine Rede mehr sein. Sondern zu konstatieren ist eine bis dato unerhörte Geradlinigkeit und Schmissigkeit in Sachen Buch und Buchstaben. Und das finden wir, mit einem Wort Alex Denglers, des beliebtesten Buchkritikers in Deutschland, nahezu und ehrlich: »Betörend!«

      Im Gewöhnlichen

      Unerheblich wie Herrn Außenminister Fischers Frankfurter Vandalenrandalenvergangenheit ist die Frage, welchen Anteil Raymond Carvers früher Lektor Gordon Lish an der mit höchstem – pressenden Überdruß erzeugendem – Feuilletoneinverständnis gepriesenen »Lakonie« des »minimalistischen Avantgardisten« (Frankfurter Rundschau, 18. November 2000) Raymond Carver hat. Oder hatte. Noch überflüssiger und entbehrlicher ist Ingo Schulzes vorwortliche Salbung des erstmals vollständig auf deutsch erschienenen zweiten Erzählungsbandes des »Minimalisten« (Klappentext), Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden (Berlin 2000). Und noch törichter plärrt der hiesige Verlag »die lähmende Ausweglosigkeit und innere Leere der Existenz« an, die Carvers Short stories so, wäre werbetechnisch


Скачать книгу