Einige meiner besten Freunde und Feinde. Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde - Klaus Bittermann


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eine Eloge auf den Verlag und den Verleger zu halten. Leider gibt es davon kein Ton-Doku­ment, nur ein Foto, denn außer, dass er mich über den grünen Klee lobte, habe ich keine Erinnerung mehr an den Inhalt der Rede, die er vermutlich aus dem Ärmel schüttelte und die lobend, aber nicht platt war, so dass man ihr gar nicht anders folgen konnte als mit einem gewissen Stolz, auch wenn sie damals leider an mir vor­beirauschte. Immerhin versuchte ich einigermaßen er­folg­reich, mich nicht für den zu halten, den Willemsen aus mir zu machen versuchte.

      Auch wenn wir uns danach noch ein paarmal trafen, trat eine zunehmende Entfremdung ein, weil unsere Positionen in politischen Fragen auseinanderdrifteten, und das nicht nur im Irak-Krieg, sondern auch bei der Wiedervereinigung, bei der er dazu neigte, die kleinen Leute zu idealisieren und sich für das zu begeistern, was noch nicht vom Westen modernisiert worden war. Das ist vielleicht unfair, weil er in seinem bereits 1990 entstandenen Beitrag für das dann 1993 entstandene Buch »Der rasende Mob. Die Ossis zwischen Selbstmitleid und Barbarei« natürlich noch nicht die Ausländerfeindlichkeit in Rostock und Lichtenhagen ahnen konnte, aber die Romantik, die er zwar ausdrücklich daraus nicht gewinnen wollte, die aber trotzdem fühlbar war, wenn er der »Abwesenheit von Luxus« in der DDR nachtrauerte, in einer Umgebung, »in der Produkte schlicht ihre Zwecke erfüllen«, was »zwangsläufig Erleichterung auslöst vom Terror des Konsums«, hat etwas merkwürdig rückwärts Gewandtes, weil er etwas erhalten will, was nur für den touristischen Blick erhaltenswert erscheint, für den Außenstehenden, der die aus der Not geborene Schlichtheit als pittoresk empfindet, nicht aber für Leute, die den Mangel einfach satt hatten und sich dem »Terror des Konsums« nur zu gerne unterzogen haben und zwar von Anfang an. Schön anzusehen war das freilich nicht, weil freiwillige Unterwerfung nie schön anzusehen ist, aber von den Ossis damals zu erwarten, dass sie sich für die einfachen Dinge des Lebens, die sie umgaben, begeistern, wenn sie doch nur das Begrüßungsgeld und Beate Use im Kopf haben, hat etwas komisches an sich.

      Im Abstand von ein paar Jahrzehnten sehe ich die Sache in etwas milderem Licht, aber was ich weder damals noch heute verstehe, war seine Begeisterung für Arafat, mit dem er einmal ein Interview geführt hatte, das ich mich bis heute scheue anzusehen. Arafat war schon immer einfach nur ein korrupter und israelhassender kleiner unrasierter Zwerg. Für diese Erkenntnis ist es manchmal besser, nicht mit demjenigen gesprochen zu haben, genausowenig wie ich mit einem Nazi gesprochen haben muss, um zu wissen, dass mich seine krude Vorstellungswelt nicht interessiert. Oder, um mit Wolfgang Pohrt zu sprechen, man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass sie stinkt.

      Solche unterschiedlichen Anschauungen haben wir nicht diskutiert, schon aus Mangel an Gelegenheiten, aber wir wussten um die Unterschiede. Nicht en detail, aber es war klar, dass ich mit Autoren zu tun hatte, wie Pohrt, Geisel und Broder, die ihm zunehmend suspekt wurden, und ich u.a. für Konkret schrieb, wo man ihn erst hofierte, später dann zum Hauptfeind erklärte, weil er inzwischen in größeren Zeitungen publizierte, die ihn wenigs­tens für seine Artikel bezahlten. Seinen grandiosen Total­verriss Helmuth Karaseks und sein tadesloses und ge­schmei­diges Auftreten im Literarischen Quartett waren bewunderungswürdig, dokumentierten aber auch seine Integration im Kulturbetrieb, dem er immer weniger mit beißendem Spott und immer mehr mit kritischem Nach­vollzug begegnete.

      Viele seiner Fernsehsendungen und -auftritte bekam ich allerdings gar nicht mit, nicht nur, weil sie mich nicht wirklich brennend interessierten, sondern weil ich sie nicht mitbekommen wollte. Ich wollte nicht etwas ansehen müssen, was ich womöglich schlecht oder auch einfach nur beliebig gefunden hätte. Und mit großer Sicherheit wäre das der Fall gewesen, hätte ich den Willemsen, den ich wegen seiner schneidenden und spöttischen Polemiken schätzte, nicht mit dem Willemsen zusammengebracht, der im Fernsehen Promis moderierte und ihnen das Gefühl gab, sie wären Promis aus eigenem Verdienst, was nur selten der Fall ist. Seine Faxe enthielten nur noch Grüße und Entschuldigungen, weil er noch zwei Bücher schreiben müsse oder gerade wieder unterwegs sei oder sonstigen Verpflichtungen nachkommen müsse. Das ist nichts außergewöhnliches bei jemanden, der eben viel zu tun hat, aber es wurde auch deutlich, dass er andere Prioritäten setzte, die mit dem, wofür er einmal angetreten war, als es darum ging, das ganze hohle Feuilleton zu desavouieren und auf den Kulturbetrieb zu pfeifen, nicht mehr viel zu tun hatte.

      Als ich ihn schließlich zum letzten Mal vor ein paar Jahren auf dem Empfang des Fischer Verlages sah, standen wir nur wenige Meter voneinander entfernt. Er war umringt von Praktikantinnen des Fischer-Verlages, die ihn, wie man deutlich sehen konnte, anhimmelten. Plötz­lich waren wir füreinander zwei völlig Fremde, und ich habe nie herausgefunden, warum es so war, denn es gab nie ein richtiges Zerwürfnis, höchs­­tens die eine oder an­de­re Vermutung, die nun endgültig sinnlos geworden ist.

      Ich hörte von seinem Tod im Radio und war überrascht, denn ich hatte nichts von seiner Krebserkrankung und seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben mitbekommen. Der Rundfunk strahlte ein längeres Interview aus, dass er kurz vor seinem 60. Geburtstag gegeben hatte. Er trat dafür ein, dass man sich der Zerstreuungsmaschinerie durch Internet und Facebook entziehen sollte, und wenn man sich mit etwas beschäftigt, sich vollkommen darauf einzulassen und zu konzentrieren. Ein guter Gedanke, den er auch gleich konkretisierte, indem er sinngemäß sagte, dass, wenn man sich nicht ganz und gar auf diese Situation einlasse, die ihm die Einladung und das Privileg beschert habe, sich in der Öffentlichkeit zu äußern, nicht nur jeder Augenblick, den er mit dem Interviewer das Glück habe verbringen zu dürfen, vollkommen verloren sei, sondern das ganze Leben. In einem weiteren Interview, das am gleich Tag lief, hörte ich den selben Gedanken fast gleichlautend noch einmal.

      Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, sich in unterschiedlichen Interviews zu wiederholen und dabei die gleiche Wortwahl zu benutzen, aber im Ohr bleibt ein leichter Misston, der befremdlich wirkt und misstrauisch macht, nicht weil sein Denken so radikal gewesen wäre, sondern weil die Weltsicht, die Willemsen präsentierte und die er für sich reklamierte, so exklusiv und fast schon religiös ist. Die unheilvolle Rede vom Verlust des ganzen Lebens ist eigentlich nur ein Gedankenspiel, denn im Alltag des Menschen erscheint diese Konsequenz lächerlich, aber Willemsen gibt damit allen zu verstehen, dass dem formulierten Anspruch niemand besser gerecht wird als der Autor selbst. Die Kritik, die er einmal an Broder formuliert hatte, ließ sich nun auch auf ihn anwenden.

      Seine politische Einstellung war im linken Milieu com­mon sense, wenngleich dieses Milieu ihn nicht wirklich zu schätzen wusste, weil er sie zu elegant und zu wenig schablonenhaft formulierte. Gleichzeitig aber war er nicht wirklich analytisch, seine Überlegungen waren oft zu glatt, und ihre Oberflächlichkeit verbarg sich häufig hin­ter beeindruckenden Wortgirlanden, die mit Bildungs­wissen geschmückt Bedeutung simulierten. Und das kann auch gar nicht anders sein, denn wer in vielleicht 40 Schaffensjahren über 50 Bücher schreibt oder herausgibt, kann kaum den Ansprüchen gerecht worden sein, die sich Willemsen vermutlich selbst gestellt hat.

      Jenseits von dieser möglicherweise kleinlichen Kritik, war an Willemsen bewundernswert, wie er durch die Welt gerast ist, um alles zu sehen und alles zu hören, alles aufzusaugen und alles kennenzulernen. Keine Tür scheint ihm dabei verschlossen geblieben zu sein und bei keinem Menschen schien er Berührungsängste gehabt zu haben. Wenn sich seine unglaubliche Neugier auf etwas richtete, dann versuchte er den Gegenstand wirklich zu durchdringen. Er hat sich dabei nie nur auf eine Tätigkeit beschränkt. Als Buchautor und Journalist wurde er Talkmaster, er gründete seine eigene Produktionsfirma und löste sie wieder auf, er verabschiedete sich vom Fernsehen, reiste in der Welt umher, besah sich ihr Elend und schrieb Bestseller darüber.

      Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann, schrieb Francis Picabia einmal. Willemsen hat davon viel Gebrauch gemacht, weil er immer wissen wollte, was die Welt und die Menschen umtrieb. Und diese Eigenschaft ist nicht die schlechteste.

      2016

       Der Paganini der Abschweifung

       Harry Rowohlt

      Die lustigsten Anrufe erreichten mich aus Hamburg, wenn Harry Rowohlt am Apparat war. Hinterher wusste ich allerdings oft nicht mehr, was der Anlass des Anrufs war, denn Harry erzählte eine Anekdote nach der anderen, die ich dummerweise meistens wieder vergaß, auch


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