Einige meiner besten Freunde und Feinde. Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde - Klaus Bittermann


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Kollektiv in der ganzen Welt, zu seiner vollen Wahrheit. Gemünzt auf die geschäftige Verdrängung der Verbrechen, erfährt jenes Urteil gerade durch die treibende Kraft der deutschen Rückschau eine paradoxe Bestätigung. Denn in der eifrigen Materialsammlung und der sie begleitenden gefühligen Anschauung wurde aus der Besinnung auf den Nationalsozialismus eine neue Besinnlichkeit und der Verstand wurde vom Verständnis abgelöst [...] Gerade die offenherzige Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ging reibungslos konform mit wachsendem Ausländerhass und parteiübergreifendem Patriotismus, wohingegen wahrhafte Aus­einandersetzung mit der Vergangenheit einzig darin bestünde, den notorischen Zusammenhang zu kündigen.«

      Mit dem Boom der Erinnerungskultur und den sich häufenden Jubiläen von Ereignissen, die Meilensteine auf dem Weg zur Vernichtung der Juden und mit deren Erforschung zahllose Wissenschaftler beschäftigt waren, wurde ein lukrativer Erwerbszweig hervorgerufen: das »Shoabusiness«. Eike Geisel stellte seine Beteiligung an diesem Geschäft, welcher man auch in aufklärender Absicht nicht entgeht, nie in Abrede, zeigte sich vielmehr amüsiert darüber. In einer Notiz vom 14. April 1988 schrieb er mir, ob ich nicht Lust hätte, etwas über Broder und ihn zu schreiben unter der Überschrift: »Die neue deutsch-jüdische Symbiose. Zwei Vernichtungsgewinnler.« Trotz dieses nicht sehr ernst gemeinten Vorschlags: Aus Deutschen wurden Experten, und die Experten meldeten eine Art Copyright auf die »Shoa« an – »Auschwitz bleibt deutsch« –, während andere Experten wiederum jedes kleinere Massaker schon mit der nationalsozialistischen Vernichtungs­politik gleichsetzten.

      Eike Geisels Kritik am deutsch-jüdischen Verständigungskitsch einerseits, der auf Tagungen evangelischer Akademien zelebriert wurde, und andererseits an der weitverbreiteten Auffassung, dass Auschwitz eigentlich eine »Besserungsanstalt« gewesen sei, aus der die Juden geläutert hätten hervorgehen müssen, was leider nicht der Fall war, weshalb die Deutschen glaubten, die Juden ihrer besonderen Fürsorge unterziehen zu müssen, Eike Geisels Kritik an diesen Haltungen hatte einen Ausgangspunkt. Und dieser bestand in seinem immerwährenden Umkreisen und Hinweisen auf das, was die Nazis den Juden angetan hatten, die durch die willkürliche Entrechtung und Erniedrigung in einen Zustand gebracht wurden, in dem sie bereits verwaltungstechnisch ausgelöscht waren, bevor sie dann in den Lagern auch physisch aus dem Leben geschafft wurden.

      »Die vollendete Sinnlosigkeit« der Lager schließlich, wie Eike Geisel einmal eine Studie Hannah Arendts über die deutschen Konzentra­tionslager übersetzte, war eine weitere Besonderheit, die für Eike Geisel Voraussetzung war, um das nationalsozialistische System zu begreifen, die Überzeugung der Nazis, »es sei wichtiger, die Vernichtungsfabriken in Betrieb zu halten als den Krieg zu gewinnen« (Hannah Arendt). Dass dafür bis auf Ausnahmen keine Menschen vonnöten waren mit einem besonders ausgeprägten Hang zum Sadismus, damit setzte er sich in seinem Film über Eichmann mit dem Titel »Erbschaft eines Angestellten« von 1990 auseinander, der sich in typisch deutscher Tradition auf den Befehlsnotstand berief, der ihn unter anderen Vorzeichen und in der Nachkriegszeit auch zu einem ausgezeichneten und leidenschaftlichen »Judenpfleger« gemacht hätte, wenn es von ihm verlangt worden wäre. Unabhängig davon, dass es sich bei Eichmanns Prozessaussagen um Schutzbehauptungen handelte und er in Wirklichkeit ein überzeugter, ja fanatischer Antisemit war, hätte er unter bundesrepublikanischen Bedingungen eine gegenteilige Bestimmung gefunden, und diese charakterliche Eigenschaft war es, die Eike Geisel in der deutschen Geschichte nach­wirken sah.

      Für die Vernichtung der Juden waren also lediglich eine funktionierende Bürokratie und ganz normale Menschen aus ganz normalen Familien nötig, die vielleicht die Auswüchse nicht gut hießen, aber dennoch bereit waren, ihren Teil an der Vernichtung der Juden beizutragen, und das war ebenfalls eine wesentliche Prämisse, die das Denken Eike Geisels prägte und die wichtig war in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, wie sie in Politik und Gesellschaft bis in die heutige Zeit hinein geführt wird und die Eike Geisel in der Regel als Versuch wertete, die Opfer mit haftbar zu machen für das, was ihnen angetan wurde. Insofern stand er jedem Versuch der Versöhnung skeptisch gegenüber, denn es war »etwas passiert, womit wir alle nicht mehr fertig werden«, wie Hannah Arendt einmal gesagt hat, etwas, das »nicht hätte geschehen dürfen«, weil sich ein Abgrund geöffnet hatte, der sich der Logik des Denkens entzog.

      Trotz Bezugnahme auf das tagespolitische Geschehen wirken Eike Geisels immer auch als Invektiven ebenso wie als Interventionen gemeinten Artikel nie antiquiert. Davor bewahrt sie der sarkastische, manchmal auch ironische Ton, der schon Hannah Arendt in der Eichmann-Debatte vorgeworfen wurde. Ein Ton, der jedenfalls nie weihevoll, selbstgefällig oder bemüht wirkte. Ein Ton, der dazu führte, dass sich Rezensenten seiner Bücher nie besonders wohl fühlten.

      Empfindet ein Journalist im Neuen Deutschland die »Bösartigkeit des Autors« noch als »wohl­tuend«, fragt er sich vier Zeilen später, »wie weit Kritik an der israelischen Politik gehen darf, ohne dass er [Eike Geisel] sie als antisemitisch bewertet?« In diesem Punkt war die Presse sehr sensibel. Selbstverständlich war niemand in der aufgeklärten Linken antisemitisch, und wenn dennoch der Vorwurf erhoben wurde, konnte man sicher sein, dass man folgende Begründung zu hören bekam, derzufolge man gar kein Antisemit sein könne: »Einige meiner besten Freunde sind Juden«. Eike Geisel machte sich über dieses jeglicher Logik entbehrende Argument gerne mit dem Bonmot lustig: »Some of my best friends are German«.

      Ausgewogene Artikel zu schreiben oder betuliche Vorträge zu halten, wäre Eike Geisel sinnlos erschienen, denn er wollte nicht das Für und Wider abwägen, sondern Reaktionen provozieren in dem Wissen, dass sich im Streit nachhaltiger Erkenntnisse gewinnen lassen und Differenzen klarer werden als in lauer Zustimmung. Seinen Aufsätzen wurde in der Regel »Kälte« und eine »bemerkenswerte Herzlosigkeit« attestiert. Die gleichen Vorwürfe hatte man auch Hannah Arendt gemacht.

      Als er am 20. Februar 1991 von der Aktion Sühnezeichen/Frie­densdienste Hamburg, dem Deutsch-Israeli­schen Arbeits­kreis, der GAL, der Solidarischen Kirche und Konkret eingeladen wurde, an einer Diskussion zum Verhältnis der deutschen Friedensbewegung und Israel teilzunehmen, rief sein »unausgewogener, unfairer Beitrag« (wie er ihn selbst ankündigte) erhebliche Unruhe hervor. Eike Geisel sagte, dass Saddam Hussein zumindest in Deutschland »ein Kriegsziel bereits erreicht hatte. Der Karneval war ausgefallen, und ersatzweise bevölkerten lauter gutgesinnte Menschen die Straßen«. Er wurde als »Kaffeehaus-Zionist« beschimpft, ein Vorwurf, den er mit der Bemerkung konterte: »Du hast leider nicht die Möglichkeit, den damit verbundenen Gedanken in die Tat umzusetzen. Das ist vorbei.«

      Als Konkret in der Ausgabe 8/93 einen umstrittenen Vortrag von Christoph Türcke, den dieser auf dem Konkret-Kongress am 12. Juni gehalten hatte, veröffentlichte, um, wie Konkret schrieb, »eine Versachlichung der andauernden Debatte zu ermöglichen«, da kommentierte Wolfgang Pohrt: »Mir ist der Unterschied zwischen Bewohnern verschiedener Erdteile herzlich egal. Wichtig ist mir, mich von einem wie Türcke zu unterscheiden. So wie der mag ich nicht sein. Und wenn er in konkret publiziert, tue ich es nicht.«

      Und auch Eike Geisel, der gerade wieder aus den USA zurückkam, kündigte seine Mitarbeit bei Konkret auf:

      »Irgendwo bei Adorno steht, dass ein Grenzübertritt nach Deutschland so etwas wie der Wiedereintritt in die Barbarei sei. Dass mich neulich bei der Rückkehr aus dem Ausland ein derartiges Gefühl beschlich, lag nicht daran, dass neue Nazis gerade eine Parade in Hessen abhielten, sondern daran, dass alte Linke publizistisch nach Fulda hinübergrüßten mit der Frage: ›Gibt es ein biologisches Substrat, das es gestattet, Menschenrassen in nichtdiskriminierender Absicht zu unterscheiden?‹ [Christoph Türcke] Noch vor Jahresfrist woll­te man den Rechten nicht die Nation überlassen; jetzt ist man bei dem Wettstreit folgerichtig bei der Rasse angelangt. Der Skandal ist nicht Türckes Text, der in die Junge Freiheit oder in den Spiegel gehört; skandalös ist der Gestus, mit dem Konkret ihn als ›Türcke-Kontro­verse‹ abdruckt. Skandalös vor allem aber ist Gremlizas Kommentar, der sich zu Türckes Melange aus Adorno und Gobineau, einer nun wirklich postmodernen Zuchtwahl, verhält wie der Sozial­arbeiter zu den rassistischen Brandstiftern: wenig Verstand, viel Verständnis. Bei die­ser Suche nach einer neuen Nürnberger Gesetzlichkeit möchte ich nicht mehr zu den Autoren von Konkret zählen.«

      Erst über ein


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