Einige meiner besten Freunde und Feinde. Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde - Klaus Bittermann


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über jemanden zu reden, hinter dessen Rücken man steht?«

      Bei der Lösung des Rätsels wollten wir natürlich behilflich sein, denn im Grunde, sagte Wiglaf, ist das doch »kinderleicht«. Also entwarfen wir eine Versuchsanordnung, um die Frage zu beantworten, von der Sloterdijk so gequält wurde, und ließen davon ein Foto anfertigen, um die Sache auch für einen Philosophen zu verdeutlichen. Wir veröffentlichten es, erhielten aber leider nie ein Dankeschön, womit allerdings auch nicht zu rechnen war.

      Damals führten wir inspiriert von der schrulligen Wochenzeitung aus Hamburg noch große Debatten, allerdings konterkarierten wir die Behäbigkeit des Blattes mit satirischer Vehemenz, und auch das Thema war von größerer Brisanz als in der Zeit, denn die Debatte durfte nur unter zwei Voraussetzungen geführt werden: »Es darf um nichts gehen, und dafür müssen alle Register gezogen werden«. In diesem Sinne führten wir eine Debatte über die Frage aller Fragen: »Ist der Winter in Deutschland überflüssig?« Ich übernahm dabei die »Pro«-Seite, beklagte »das Land der misslaunigen Muffel«, schrieb »Der Graupelschauer ist ein Meister aus Deutschland« und denunzierte den Winter als »verkappten Nazi«. Wiglaf empörte sich auf der »Contra«-Seite, »dass die Hetze gegen sibirische Temperaturverhältnisse von Klaus Bittermann vorgetragen wird, jenem Klaus Bittermann, dem Dadaismus, Surrealismus, Situationismus und Anarchie immer mehr bedeutet haben als das Wohl des Volkes. Im Gegenteil: Die Forderung des Defätisten Reinhard Lettau, das Volk abzuschaffen, unterstützt Klaus Bittermann ausdrücklich [...] Mit der Unverfrorenheit des notorisch Durchgefrorenen denunziert Bittermann jene Kälte, die einst Hitlers Sechste Armee niederwerfen half, er sehnt sich hingegen nach Verhältnissen, in denen der Wüstenfuchs Rommel einst gedieh. Das sagt ja wohl alles: Wer nicht frieren will, will Krieg!« Unsere Beiträge erschienen in der taz und Wiglaf brachte sie in seinem Benno-Ohnesorg-Theater zu Gehör.

      Es gab in den neunziger Jahren eine sehr innige und intensive Zusammenarbeit, vor allem, als wir »Das Wörterbuch des Gutmenschen« gegen die Schaum­spra­che herausgaben und Wiglaf zu einem der Hauptmitarbeiter des »Who's who peinlicher Personen« wurde mit dem Motto »Warum sachlich, wenn's auch persönlich geht«, um unserer Aversion gegen die Wichtigtuer in der Kultur und Politik auch in gemeinsam verfassten Texten eine Bühne zu geben, und im nachhinein staune ich, mit welch großer Lust und inhaltlicher Übereinstimmung wir gegen alle möglichen lächerlichen und zumeist absurden Feuilletondebatten anschrieben und uns gegenseitig vor gegne­rischen Angriffen in Schutz nahmen.

      Wiglaf war ein manischer Arbeiter, er konnte Nächte durcharbeiten und am nächsten Morgen feststellen, dass das doch nichts war, was er zu Papier gebracht hatte, oder er hatte gleich drei glänzende Texte niedergeschrieben. Und er brauchte sofort die Bestätigung, sofort die Veröffentlichung, er musste spätestens am nächsten Morgen sehen, dass seine Kolumne gedruckt und in der Welt war. Er schrieb wie Balzac gnadenlos für den Tag, und dennoch setzten seine Texte nicht sofort nach Erscheinen Patina an, schon gar nicht ließen seine Artikel die Leser gleichgültig. Nicht wenige fanden sie genau und treffend, aber noch mehr reagierten gereizt und nervös. In den neunziger Jahren standen ihm fast alle Zeitungen offen, obwohl er fast den gesamten Kulturbetrieb beleidigt hatte und ihn wissen ließ, was er von ihm hielt. Damit schaffte er es sogar auf das Titelbild des Zeit-Magazins.

      Er trug seine Texte einem schnell anwachsenden Publikum vor mit einer Bassstimme, die ihm, wie es Humphrey Bogart einmal ausdrückte, eine Stange Geld gekostet hatte. Er lieh anderen Autoren und Klassikern auf Hörbüchern seine Stimme, er hatte mit dem Spardosenterzett eine Musikkombo, mit der er rock'n'roll-mäßig unterwegs war, und sang wunderschöne eigene Songs, manchmal auch die von seinen großen Idolen Johnny Cash, Van Morrison, Kinky Friedman, und er schrieb und schrieb und schrieb. Mehr als dreißig Bücher, unzählige, an denen er mitgewirkt hat. Aber keine Romane, nur zwei kleine, die in Zusammenarbeit und auf Initiative Gerd Henschels zustande kamen, weil er alleine nicht die Geduld aufbrachte, und auch keine politischen Abhandlungen – auf eine über die SPD unter Schröder wartete der Rowohlt Verlag vergeblich –, sondern es war die kurze durch die Deckung gehende Gerade, die ziemlich sicher zum Knockout des Gegners führte, die ihm am besten lag. Und diese Kunst beherrschte er wie kein anderer. Und natürlich die Lyrik.

      Er war der Hunter S. Thompson Deutschlands. Sein Leben fand auf der Überholspur statt, er war maßlos, weil er alles genießen wollte, und das sofort. Er hatte die verantwortungslose Fröhlichkeit, mit der er die betulichen Bügelfaltenschriftsteller gegen sich aufbrachte, er spottete und lästerte wie Villon gegen »Goldkettchenautoren«, »Ölfilmjournalisten«, »Grüßauguste«, »Dauerjauler«, und er nahm dabei keine Rücksichten darauf, aus welchem Lager jemand kam, ob er Gremliza hieß, Zaimoglu oder Möllemann. Und deshalb wurde er auch von seiner Kollegin Sibylle Berg angehimmelt:

      »Wichtig bei der Auswahl meines Lieblingsschriftstellers ist auch, dass er verstörend gut aussieht. Wiglaf Droste vereinigt die anmutige Geschmeidigkeit eines Panthers mit der Gazel­lenhaftigkeit eines wilden Mus­tangs. Dieser Schriftsteller ist schlau und gut, ich hab ihn lieb.«

      Als freier Autor und Vortragsreisender verdiente er zeitweise so gut, dass er sich mehrere Häuser davon hätte kaufen können, was andere ziemlich sicher gemacht hätten. Wiglaf gab alles, was er verdiente, wieder aus, so wie Georg Best, den er bei dieser Gelegenheit gerne zitierte: »Ich habe mein ganzes Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich verprasst.« Und bis auf schnelle Autos stimmte das. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er sonst mit dem Geld hätte anfangen sollen. Es sparen wäre ihm pervers vorgekommen. Geld war dazu da, um unter die Leute gebracht zu werden.

      Er war der großzügigste Mensch, den ich je getroffen habe. Er unterstützte Freunde, die nichts hatten, ohne je darauf zu achten, ob er wieder etwas zurückbekam, und er tat das, ohne darüber zu reden. Es war für ihn eine selbstverständliche Geste. Deshalb hasste er auch den Geiz und den Kleinkrämergeist, und als er, wie er mir einmal erzählte, eine Honorarabrechnung seines damaligen Verlags bekam, in dem ihm das Porto für den ihm zugesandten Brief in Rechnung gestellt wurde, hatte ich endlich meinen Lieblingsautor gewonnen, der im Laufe der kommenden Jahre dreizehn Bücher bei Tiamat veröffentlichte.

      Wiglaf war zudem ein großer Zusammenbringer und Förderer. Zu seinem in der Volksbühne stattfindenden Benno-Ohnesorg-Theater, aber auch auf vielen Lesungen überall in Deutschland, der Schweiz und Österreich, lud er Autoren ein, die er mochte und gab ihnen ein große Bühne, die sie dann unter Umständen auch mal für sich allein hatten, wenn Wiglaf in allerletzter Minute absagte. Zu seinen Gästen zählten die noch am Anfang ihrer Karriere stehende Sibylle Berg, die hochgradig nervöse Simone Borowiak, der noch völlig unbekannte Funny van Dannen, der große Bär Harry Rowohlt, der Filmemacher Fritz Tietz, der wegen seiner gewaltigen Dichtkunst verehrte Horst Tomayer, die Bühnen-Diva Ernst Kahl.

      Als der irische Schriftsteller Jean McGuffin zusammen mit Harry Rowohlt zu Gast in der Volksbühne war und sich jemand per Zwischenruf beschwerte, dass McGuffin englisch sprach, wurde Wiglaf stocksauer und stauchte minutenlang das Publikum zusammen, denn es sei zum Zuhören und nicht zum Meckern da, und sprach wie auch Harry fortan und extra für den Beschwerdeführer ebenfalls nur noch englisch, während das gemaßregelte Publikum danach extrem darauf bedacht war, nicht noch mehr den Zorn Wiglafs auf sich zu ziehen. Auch ich war etwas erschrocken über die Vehemenz der Zurechtweisung, aber daraus sprach eine Unerbittlichkeit gegenüber Unhöflichkeit, gegen Dummheit, Anmaßung, Bräsigkeit, Selbstgefälligkeit, gegen die in der Szene übliche auftrumpfende Frechheit, die ihn manchmal in heilige Raserei versetzen konnte.

      Er war, wie der von ihm verehrte Jörg Fauser einmal über sich schrieb, »kein netter Mensch«, sondern Schriftsteller, und er dachte gar nicht daran, es allen recht zu machen, vielmehr konnte er sich sehr schnell mit jemanden in die Haare kriegen. Wenn er auf einen Dissens in politischen Fragen stieß, sagte er das auch, und das mitunter heftig und verletzend. Und das tat er vor allem, wenn er sich ausgenutzt fühlte und seine Popularität zu Vertraulichkeiten führte, die er nicht für angemessen hielt. Dann konnte die Rache fürchterlich sein.

      Aber er machte sich auch unfreiwillig Feinde, wie einen Veranstalter, der in seiner Verachtung für Journalis­ten, die umsonst sein Haus besuchten, Wiglaf vertraulich erzählte, dass diese Spezies bei ihm unter »Fußpilz« lief, was Wiglaf so faszinierte,


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