Einige meiner besten Freunde und Feinde. Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde - Klaus Bittermann


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der anmutigen Geschmeidigkeit eines Panthers«

       Wiglaf Droste

      Es muss 1988 gewesen sein, als mir der Name Wiglaf Droste zum ersten Mal bei der Lektüre der taz auffiel, jedenfalls las ich das schöne Wort »Klassenkampfstreber« und wurde neugierig auf mehr, weil ich sofort an den »Klassenkampfstreber« par excellence Oliver Tolmein dachte. Aber als ich im taz-Archiv nach dem Begriff suchte, stieß ich auf eine Besprechung eines Roger-Chapman-Konzerts, die mit einer harschen Kritik des Sommers begann:

      »Scheußlich, ja, moralzerrüttend ist der ekle Sommer: die Kreuzberger Kämpfenden Truppen, die Alt-Einund­acht­ziger und Klassenkampfstreber, sie schmurgeln im Prinzenbad, als wäre die Resolution schon erledigt; Kerle, die ihr Schuldenkonto ohnehin schon mit den drei Todsünden Goldkettchen, Vollbart und Stinkepfeife über Gebühr belastet haben, fügen jetzt noch Schies­ser Feinripp, Kurzbehostheit und Lochsandalette hinzu, riechen unter den Achselhöhlen wie das Tote Meer, und überhaupt ist der Sommer ein nur zu willkommener Vorwand, die letzten Rudimente von Selbstrespekt freu­dig über Bord zu werfen.«

      Seit dieser mir aus dem Herzen sprechende Suada gegen den Kreuzberger Mief durchforstete ich die taz regelmäßig nach den Artikeln Wiglafs, um im tristen Berliner Alltag, der damals zwar noch fast vollkommen touris­tenfrei, aber auch grau und speziell in 36 von einer autonomen Kiezpolizei beherrscht war, die nicht immer zimperlich in der Wahl der Waffen war, wenn jemand gegen ihre ungeschriebenen Gesetze verstieß. Einem dieser mili­tanten Betonköpfe, der auch noch »Manne« hieß, konnte ich einmal bei der Arbeit zusehen, als er eine illegale Kneipe in der Adalbertstraße betrat, in der sich nicht viel mehr befand als ein zusammengenagelter Tre­sen und dahinter wahrscheinlich ein paar Kästen laumwarmen Biers, um die Einrichtung und den Wirt fachgerecht zu zerlegen. Keine Ahnung, um was es ging oder was sich der Mann zu Schulden hatte kommen lassen, aber der sich austobende Wahn, sich als Ordnungsmacht aufzumanteln, war nicht schön anzusehen. Ausgerechnet mit »Manne«, erfuhr ich dann später, wohnte Wiglaf einmal zusammen. Wahrscheinlich deshalb konnte Wiglaf dieses Milieu so genau und mit so leidenschaftlicher Abscheu beschreiben.

      Er steckte mittendrin in der Szene, als die amerikanische Journalistin Jane Kramer 1988 nach Berlin kam, um über sie zu berichten und über das Restaurant Max­­well in der Oranienstraße, das schließen musste, weil autonome Straßenkämpfer meinten, es würde die falschen Leute anziehen und hätte in Kreuzberg nichts verloren, weshalb sie einen Eimer Scheiße im Lokal auskippten. Jane Kramer war vom New Yorker und ließ sich von Wiglaf über die Szene aufklären und verschaffte ihm einen großen Auftritt in einem der wichtigsten intellektuellen Magazine Amerikas:

      »In Kreuzberg gibt es so etwas wie eine Etikette der Vergeltung. Wiglaf Droste, der Kunstkritiker der taz, sagt, wenn man Besuch von Autonomen bekomme [...], dann führe man ein paar Telefongespräche, trommle seine Freunde zusammen und statte einen Gegenbesuch ab. In Kreuzberg heißt das: eine Diskussion führen. Droste hat selbst Erfahrungen mit dem Besuchtwerden. Eines Tages kam er nach Hause und stellte fest, dass seine Tür mit Blut beschmiert war (die Inschrift lautete ›666‹ und ›Heil Satan‹). Zehn Kilo tote Fische und verfaultes Fleisch lagen auf der Fußmatte. Die Täter gaben sich in der Szene als Autonome aus, aber Droste wusste, dass sie bloß frustrierte Rockmusiker waren, denen seine Artikel nicht gefallen hatten, und deshalb stattete er ihnen auch keinen ›Gegenbesuch‹ ab. Droste ist einer der maßvolls­ten und scharfsinnigsten Kritiker der Kreuzberger Szene (wenngleich Fremde Schwierigkeiten haben, ihn von dieser Szene zu unterscheiden – in der ausgebeulten, gestreiften Zirkushose, der schwarzen Smokingjacke mit dem löchrigen T-Shirt, der roten Schnur anstelle eines Gürtels und den alten Turnschuhen mit offenen Schnürsenkeln.)«

      In dieser Szene, in der aufgrund mangelnder Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit Konflikte auch gerne mit den Fäusten ausgetragen wurden und Schlägereien mit den »Bullen« eine beliebte Freizeitgestaltung junger Menschen waren, konnte man, wenn man sich in der Szene aufhielt, kaum mit feingeistiger Lyrik reüssieren. Da half nur Polemik, und zwar nicht gerade »maßvolle«, die einen wie Wiglaf schnell verdächtig werden ließ, und da reichte noch Jahre später, 1994, sogar ein so lustiger Text wie »Der Schokoladenonkel bei der Arbeit«, um ihn als Kinderschänder zu brandmarken, seine Lesungen zu boykottieren und mit Buttersäure zu verhindern. Aber da hatte die Kiez-Camarilla mit ihren bundesweit organisierten Sympathisanten nicht bedacht, dass auch der rasende Reporter Wiglaf in Kreuzberg die Nächte durchgemacht und Erfahrungen als street fighting man hinter sich hatte. Er trommelte nicht nur zahlreiche weibliche Fans und Freun­dinnen zusammen, die den Saalschutz übernahmen, er schreckte auch nicht davor zurück, sich vor laufender Spiegel-TV-Kamera mit Linksautonomen zu prügeln, die nicht mal wussten, was Satire ist.

      In diesem von Krawallen begleiteten Gemenge wuchs sein Ruf, seine Bekanntheit, die mir natürlich nicht entging. Leibhaftig und zum ersten Mal begegnete ich ihm allerdings schon lange vorher auf der Buchmesse Anfang der Neunziger, als gerade das Buch von Roger Willemsen »Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland«, eine vehemente Kritik des Wiedervereinigunspolitik in der Ära Kohl, erschienen war und ich mich mit dem Autor auf die Suche nach möglichen Rezensenten machte. Wiglaf war damals Redakteur bei Titanic und beäugte uns skeptisch, als wir ihm das Buch überreichten. Was immer er sich damals dachte, es war der Auftakt für zahlreiche und lange Telefonate, in denen ich ihn zu überzeugen versuchte, sich mit einem Beitrag zum Golfkriegspazifismus an einer kleinen Anthologie zu beteiligen, denn die Hysterie der Friedensbewegten, die mit weißen Laken als Zeichen der Kapitulation so taten, als würde der Krieg in Deutschland stattfinden, erschien ihm ebenso lächerlich wie mir, mit den von mir geschätzten Enzensberger und Broder zwischen zwei Buchdeckel gepresst zu werden, das wollte er jedoch nicht. Da hatten wir schon unseren ersten Dissens, der der Beginn einer bis zu seinem Tod dauernden Freundschaft wurde.

      Ein paar Jahre später suchte er ein Zimmer und da ich gerade eins übrig hatte, zog er bei mir ein, mit ein paar Kartons Büchern, einer Schreibmaschine und zwei Obstkisten. Auf der einen saß er, auf der anderen hatte er die Schreibmaschine gestellt, auf der er seine Artikel schrieb. Vermutlich hätte sich an diesem Zustand auch die folgenden sechs Jahre, in denen wir zusammenwohnten, nichts geändert, denn mit der Organisation des täglichen Lebens wollte er seine Lebenszeit als Autor nicht verschwenden. Ich besorgte ihm also einen großen Schreibtisch, einen Drehstuhl und einen Büroschrank, damit er unter einigermaßen normalen Bedingungen dichten konnte. Als er dann nach sechs Jahren wieder auszog, war der Boden seines Arbeitszimmers flächendeckend mit einer ungefähr 5 Zentimeter dicken Schicht von Papieren, Briefen, Artikeln, CDs, Schallplatten, Kassetten, Manuskripten, Zeitungen, Ausrissen seiner Artikel und Büchern übersät. Nur ein schmaler Trampelpfad führte zwischen den sanften Hügeln aus Papieren von der Tür zum Schreibtisch. Er ließ alles einfach liegen, weil er von einer solchen Situation überfordert war.

      Es war 1995, als Wiglaf bei mir einzog. Wir wohnten in einer großen Berliner Altbauwohnung, ich zusammen mit meinem Verlag nach vorne zur Straße hinaus, Wiglaf hinten im Seitenflügel mit Blick auf eine Remise. Dazwischen das Berliner Zimmer, in dem einige ausschweifende Gelage stattfanden. Damals lasen wir noch Die Zeit, und zwar nicht nur wegen Harrys neuester »Pooh's Corner«-Kolumne, sondern weil die Zeit eine Quelle sehr abstruser und verschrobener Artikel war, die uns wie­derum zu Repliken inspirierten, um das von mir ins Leben gerufene »Who's who peinlicher Personen« zu füllen. Wiglaf kam dann in seinem blauen Bademantel in das Verlags-Zimmer, kicherte und las mir kuriose Stellen vor, die unbedingt kommentiert werden mussten.

      Der Bademantel war seine Toga, in der er seine Strategien entwarf, wen oder was er als nächstes pisacken würde wegen sprachlicher Unzulänglichkeit, Nachlässigkeit oder sonstiger Todsünden. Ein Feldherr im blauen Bademantel, dem nur ein Hügel fehlte, um seine imaginären Truppen strategisch gegen den Feind in Stellung zu bringen. Ich liebte diese Auftritte, denn sie waren geistvoll, sarkastisch und lustig, und nur mit solchen Mitteln ließen sich die Zumutungen der Welt und die Anmaßungen der Dummheit, mit der wir uns ständig konfrontiert sahen, abwehren. Es waren Sternstunden.

      Eine dieser Stellen, die Wiglaf vorlas, stammte von Peter Sloterdijk, der sich Ende der Neunziger gerade an­schickte, die von Habermas besetzte Stelle als Oberphilosoph Deutschlands


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