Einige meiner besten Freunde und Feinde. Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde - Klaus Bittermann


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»Ausverkauf« schlägt Pohrt den Ton und die Motive an, die er in den nächsten zehn Jahren in Zeitungsartikeln und Vorträgen umkreisen wird, eine Kampfansage an die deutschen Intellektuellen, denen es immer schwer gefallen ist, »zwischen einer Ergebenheitsadresse und einer Meinung zu unterscheiden«. Das jedenfalls ist der Befund Pohrts, als er die Ereignisse um die Entführung von Hanns-Martin Schleyer 1977 untersucht, die sich als Zäsur innerhalb der Linken erweisen sollten. Damals gaben 123 Professoren und 54 wissenschaftliche Mitarbeiter »ihre Devotion« in der FR kund.

      »Diese Professoren, wie alle Linken vom Sozialistischen Büro bis zu den Jungsozialisten, haben vor Angst den Verstand verloren, wenn sie sich heute in die Schlange derer drängeln, die darauf warten, unter den wohlwollenden Blicken der Macht und unter dem Beifall der Menge auch mal auf die Bösewichter spucken zu dürfen.«

      Damals noch vom Furor der Moral getrieben, verzichtete Pohrt später auf nebulöse Begriffe wie Macht, weil Macht in der Regel spezifisch ist und einen Namen hat. Aber man merkte, hier schrieb einer mit offenem Messer und keiner, der auf das Bundesverdienstkreuz scharf war und wohl ausgewogene Erörterungen anstellte.

      In der öffentlichen Diskussion über Stammheim und Mogadischu ging es Pohrt nicht darum, die RAF zu kritisieren, sondern daran zu erinnern, dass es sich um Leute handelte, »die amerikanische Einrichtungen angegriffen hatten, um dem Bombenterror gegen Vietnam nicht tatenlos zusehen zu müssen«. Es wäre jedoch falsch, Pohrt für einen Sympathisanten der RAF zu halten, die von seiner Kritik nicht verschont wurde, vielmehr ließ er sich in seiner Argumentation davon leiten, dass es weit triftigere Gründe gab, gegen die neue Gleichschaltung der Medien zu polemisieren als gegen Leute, mit denen Pohrt eine gemeinsame Vergangenheit verband, nämlich der Protest gegen das amerikanische Flächenbombardement in Vietnam, und ein gemeinsames Ziel hatte, nämlich die Abschaffung von Verhältnissen, in denen der Mensch ein geknechtetes und unterdrücktes Wesen war. Und aus diesem Grund trat Pohrt immer wieder für eine Amnestie der Gefangenen ein. Dies war das einzige, was man nach Pohrts Überzeugung sinnvollerweise noch tun konnte, das einzige auch, wo die Motive des einzelnen keine Rolle spielten. Und hätte man für ein damals geplantes rororo-aktuell-Bändchen den Papst für eine Amnesti­e­kampagne gewonnen, umso besser, und kein Grund, die Nase zu rümpfen.

      Aus dem berechtigten antiimperialistischen Protest wurde jedoch schnell ein antiamerikanisches Ressentiment. Ende Oktober 1981 erschien in der Zeit »Ein Volk, ein Reich, ein Frieden«. Darin beschrieb Pohrt, wie nach der Raketenstationierung aus der Friedensbewegung eine »deutschnationale Erweckungsbewegung« wurde. Als Bei­spiel zitierte er den damals grundguten und als unantastbar geltenden Friedensapostel Gollwitzer, der in einem Leserbrief an den Spiegel geschrieben hatte: »Kein Deutscher kann diese bedingungslose Unterwerfung der Interessen unserer Volkes unter fremde Interessen, diese Auslieferung der Verfügung über die Existenz unseres Volkes an eine fremde Regierung hinnehmen.« Und auch Hermann Peter Piwitt stöhnte in Konkret »herzzerreißend über die Besetzung seiner Heimat durch die ›Yankee-Kul­tur‹«. »Mögen anderswo dem amerikanischen Kultur­imperialismus die tradierten Lebensformen ganzer Nationen zum Opfer gefallen sein«, erwiderte Pohrt darauf apodiktisch, »in Deutschland aber begann mit dem amerikanischen Kulturimperialismus nicht die Barbarei, sondern die Zivilisation.« Und er fährt mit einem Satz fort, der bei der Zeit-Leserschaft für Furore sorgte und noch in Talkshows für Gesprächsstoff sorgte: »In diesem Land ist jede weitere Filiale der McDonald-Hamburger-Kette eine neue Insel der Gastfreundschaft und eine erfreuliche Bereicherung der Esskultur.«

      Aus einer Fußnote des Zeit-Artikels erfährt man, dass »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« von Konkret abgelehnt worden war. Und von Broder erfährt man, Gremliza habe gezischt: »Was Pohrt jetzt schreibt, ist einfach skandalös.« Das fanden auch andere, wie z.B. die damals für die Taschenbuchreihe bei Rotbuch zuständige Marie-Luise Knott, bei der die Behauptung Pohrts, die Frauenbewegung sei aus einem Missverständnis heraus entstanden, auf wenig Gegenliebe stieß. Pohrts Analyse hielt sie für einen Witz und erinnerte sie an einen »männlichen Stammtischreißer«. Pohrt hatte in einem Nachruf auf die siebziger Jahre geschrieben:

      »Als aus den Revolutionären Kindergärtner geworden waren und folglich windelnde und spülende Männer eine Landplage, ging man oft ins Kino, um Humphrey Bogart als einzigen Mann und letzten Helden in ›Casablanca‹ zu bewundern. Die Kinobesuche machten aus Kindergärtnern keine Helden, schürten aber den Hass der Frauen auf ihre männliche Begleitperson: die Frauen­bewegung war geboren.«

      Bei allen damals hochkochenden Debatten war Pohrt nicht fern. Als Broder 1984 von Alice Schwarzer als »militanter Jude« stigmatisiert wurde, mit dem kein Mitglied der Emma-Redaktion Kontakt haben dürfe, regte Pohrt die Herausgabe einer Anthologie an »über das Verhältnis der Linken zum Antisemitismus«, in der – wäre das Buch zustande gekommen – die besten und verhass­tes­ten Polemiker versammelt gewesen wären: Pohrt, Broder, Schultz-Gerstein und Eike Geisel. Es gab jedoch genügend andere Anlässe und Gelegenheiten, sich mit diesem Problem zu befassen, welches darin bestand, dass die Linken »weder den Nationalsozialismus noch Auschwitz begriffen hatten, weil sie ersteren mit einem besonders tyrannischen Regime und letzteres mit einem besonders grausamen Blutbad« verwechselt und deshalb die Hoffnung nicht aufgegeben hätten, »das Unrecht, welches sie anderswo entdecken, könne Deutschland ent­lasten«.

      Bei den Linken, deren Liebe zu den Palästinensern besonders heftig brannte, ließ sich diese Entlastung für Deutschland besonders schön beobachten:

      »Dreihundert von der südafrikanischen Polizei in Soweto erschossene Schüler kümmern niemand. Drei erschossene Schüler in Hebron machen die westdeutsche Linke vor Empörung fassungslos. Die Unterdrückung und Verfolgung der Palästinenser durch Israel wird so genau beobachtet und so leidenschaftlich angeprangert, weil sie beweisen soll: es gibt keinen Unterschied. So merkt die westdeutsche Linke nicht, dass ihr der Unterschied zwischen Deutschland und den anderen Nationen mit jedem Versuch, ihn zu verwischen und zu tilgen, nur umso kolossaler entgegentritt.«

      Dieses Nicht-Begreifen der deutschen Geschichte leistete einem Denken Vorschub, welches jedes Massaker, das einem politisch in den Kram passte, mit Auschwitz gleich­setzte, um unter der Flagge von Humanität und Menschenrechten staatliche Souveränität missachten und Krie­ge anzetteln zu können. Die deutsche Linke hatte da­für die Argumente geliefert, die die rot-grüne Regierung im Bürgerkrieg in Jugoslawien nur noch zu übernehmen brauchte.

      Am 1. November 1983 hielt Pohrt im großen Saal der Berliner »Akademie der Künste« vor ca. tausend Zuhörern einen Vortrag über den »Krieg als wirklichen Befreier und wahren Sachwalter der Menschlichkeit«. Anschließend gab es eine Diskussion mit dem Friedensbewegten Fritz Vilmar und dem ehemaligen Frankfurter Sponti und Mitglied der »Revolutionärer Kampf«-Gruppe Thomas Schmid, der heute als konservativer Leitartikler die Öffentlichkeit vor linken Irrtümern warnt. Das Publikum war so gespalten wie das Podium, und Pohrt war in seinem Element. Die heftigen Reaktionen ließen ihn zur Höchstform auflaufen, und je mehr es im Saal brodelte, desto spöttischer und beißender wurden seine Diskus­sionsbeiträge. Nichts war ihm unangenehmer als eine reglos dasitzende Zuhörer­schaft, und deshalb begann er jeden Vortrag mit einer auf die Veranstalter und die The­menstellung gemünzten provozierenden Anmerkung, um die Zuhörer aus der Reserve zu locken. Das setzt jedoch immer ein Publikum voraus, das uneins ist und sich zumindest teilweise auf die Seite Pohrts schlägt. Auf dem Konkret-Kongress im Sommer 1993, auf dem sich zum letzten Mal so etwas wie eine unabhängige Linke traf, war die Ablehnung Pohrts massiv und einhellig. Er selbst war enttäuscht und genervt.

      Nach sechs Essay-Bänden, die mit Witz und Verve geschrieben sich als kritische Chronik der siebziger und achtziger Jahre lesen lassen, war mit dem Fall der Mauer eine neue Epoche angebrochen. Für Pohrt höchste Zeit, sich den Ereignissen auf andere Weise zu nähern als mit feuilletonistischer Kommentierung. Er machte Reemtsma das Angebot, das Massenbewusstsein der Deutschen in der Umbruchsphase zu untersuchen und die Chancen für einen neuen Faschismus zu sondieren. Im Hamburger Institut zusammen mit Ulrich Bielefeld zu forschen kam für ihn allerdings nicht in Frage. »Da hat der vereinte Sachverstand gründlich nachgedacht, und es kam der originelle Vorschlag heraus, dass sich fünf Leute in Hamburg treffen


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