Alternativlos. Thomas Kirchner

Alternativlos - Thomas Kirchner


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– aus. Die Schuldenquote kann somit als hinreichend rückläufig angesehen werden. Griechenland verzeichnet derzeit nach Italien die zweithöchste Schuldenquote im Eurogebiet.

      Nichtsdestoweniger muss Griechenland das starke Wirtschaftswachstum (4,3 % im Jahr 2006 und voraussichtlich 3,7 % im Jahr 2007) nutzen, um sein strukturelles Defizit, das trotz erheblicher Verringerung in den letzten zwei Jahren immer noch über 3 % liegt, abzubauen und der Realisierung seines mittelfristigen Ziels eines ausgeglichenen Haushalts näherzukommen. Die ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine rasche Reduzierung der öffentlichen Schulden und für eine Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, die derzeit angesichts der zu erwartenden Rentenerhöhungen und anderer alterungsbedingter Ausgaben ernsthaft in Frage gestellt ist.

      Das Defizitverfahren gegen Griechenland wurde im Mai 2004 eingeleitet, nachdem das Haushaltsdefizit im Jahr 2003 3,2 % des BIP betragen hatte. Im Februar 2005 beschloss der Rat, Griechenland gemäß Artikel 104 Absatz 9 des EGVertrags in Verzug zu setzen mit der Maßgabe, das übermäßige Defizit spätestens bis 2006 abzubauen. Der Rat forderte Griechenland darüber hinaus auf, für Verbesserungen bei der Erhebung und Verarbeitung der den Gesamtstaat betreffenden Daten zu sorgen. Die griechischen Statistikbehörden haben ihre Verfahren optimiert, was insgesamt zu einer höheren Datenqualität geführt hat. Die Kommission (Eurostat) hat daraufhin ihre Vorbehalte bezüglich der Qualität der übermittelten Daten zurückgezogen.

       Quelle: Europäische Kommission: Kommission empfiehlt Einstellung des Defizitverfahrens gegen Deutschland, Griechenland und Malta. Presseerklärung, Brüssel, 16. Mai 2007 (Auszug)

      Wie hätte also eine Bank reagieren sollen, als die Brüsseler Bürokratie das Defizitverfahren einstellte? Die Kreditvergabe drosseln? Griechenland stand damals auf einer Stufe mit dem ebenfalls rehabilitierten Deutschland. Gegen letzteres hatte das Verfahren immerhin drei Jahre gedauert, gegen Griechenland nur zwei.

      Wie wäre wohl die Reaktion der Presse und Öffentlichkeit ausgefallen, von der Politik ganz zu schweigen, wenn Banken trotz dieser guten Nachrichten Kredite an Griechenland gekürzt hätten? Man kann sich die wütenden Tiraden der Gegner freier Märkte gegen angeblich außer Kontrolle geratene Banken und Finanzmärkte gut ausmalen.

      Auch die fundamentalen Wirtschaftsdaten Griechenlands waren damals noch nicht so verheerend, wie es heute gerne vorgetäuscht wird. Tabelle 5 zeigt das Haushaltsdefizit und auch die Gesamtverschuldung mehrerer Euroländer. Italiens Staatsschulden sahen bis 2007 weit schlimmer aus als die Griechenlands. Auch beim Haushaltsdefizit war Griechenland nicht immer Schlusslicht – Portugal und Zypern standen ein paar Jahren lang noch schlechter da. Im Jahr 1995 hatte sogar Deutschland ein höheres Defizit als Griechenland. In sieben der dreizehn Jahre vor der Krise von 2008 hatten andere Länder höhere Defizite als Griechenland. Die Statistiken sahen für Griechenland also nicht hoffnungslos aus.

      Problematisch dabei war nur, dass die von der Europäischen Kommission bekanntgegebenen Defizitdaten nicht ganz mit der Wahrheit übereinstimmten. Griechenland hatte, angeblich unbemerkt, falsche Zahlen übermittelt. Doch 2007 wusste das noch niemand. Im Gegenteil. Die Statistikbehörde Eurostat hatte zur Einstellung des Defizitverfahrens entschieden:

       Die griechischen Statistikbehörden haben ihre Verfahren optimiert, was insgesamt zu einer höheren Datenqualität geführt hat.

      Doch das war gelogen: Eurostat wusste, dass Griechenlands Zahlen im großen Stil manipuliert waren. Die BBC hat eine interne Email von Goldman Sachs veröffentlicht, laut der Eurostat in einer Telefonkonferenz bestätigt hatte, dass Griechenland die offiziellen Defizitstatistiken durch Derivate verbessern kann.25

      Inzwischen hat die Nachrichtenagentur Bloomberg News die EZB auf die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen verklagt.26 Vielleicht wird man bei einem Erfolg der Klage mehr über den wahren Kenntnisstand der europäischen Behörden erfahren. Die Rolle von Goldman Sachs wird heute gerne überspitzt dargestellt. Es ist ja nicht so, dass eine gierige Bank ein paar überforderte griechische Beamte zu einem Geschäft zwang, durch das die Defizitquote eher zufällig geschönt wurde. Vielmehr war es eine politische Entscheidung Griechenlands, die Statistik zu manipulieren, wozu Goldman Sachs als Ausführungsgehilfe herangezogen wurde.

      Kurzum: die Zahlen sahen gut aus und außer der EU-Nomenklatura wusste niemand, dass sie gefälscht waren. Wenn schon die europäischen Behörden trotz ihrer wesentlich besseren Informationen nicht vor potentiellen Finanzproblemen in Griechenland warnten, dann ist es überheblich, wenn man heute den Kreditgebern Griechenlands Leichtfertigkeit vorwirft. Im Nachhinein ist man immer schlauer, wie man in diesem Buch immer wieder sehen kann.

      Es ist auch nicht das erste Mal, dass Kreditgeber und Märkte durch frisierte Zahlen ausgetrickst wurden. Betrug hat im Wirtschaftsleben schon immer existiert und wird sich nie vollständig eliminieren lassen. Auch Betrug durch Staaten kommt immer wieder vor, wenngleich er nur selten wie im Fall Griechenlands publik wird. Normalerweise besitzen Staaten ausreichend Souveränität, um Veröffentlichungen ihrer Fehltritte zu unterdrücken. Es ist wahrscheinlich nur dem Prozess der europäischen Einigung zu verdanken, dass die Tricksereien Griechenlands überhaupt aufgedeckt wurden.

      Die Lektion, die man aus dieser Episode lernen sollte, lautet: wenn Staaten mit ihrer geballten Macht als Legislative und Exekutive im Wirtschaftsleben mitmischen, dann stehen die Chancen für ihre privaten Gegenüber meist schlecht, wenn Probleme auftreten.

      24 Sonia Boffa, Heiner Flassbeck: The wisdom of the herd – What the financial markets can tell about sovereign risk. Swiss Derivatives Review 42, Chêne-Bourg, Juni 2010.

      25 Eurostat reiterated that forward starting swaps are fine, out of the money swaps can be used to lower the deficit forex debt is calculated post-currency swaps. Quelle: Nick Dunbar: How Goldman Sachs Helped Mask Greece’s Debt. BBC News, 12. 2. 2012.

      26 Elisa Martinuzzi, Alan Katz : Bloomberg Sues ECB to Force Disclosure of Greece Swaps. Bloomberg News, 22. 12. 2010.

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