100.000 Tacken. Reiner Hänsch

100.000 Tacken - Reiner Hänsch


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scheint. Es sieht aus, wie aus einer großen Parkanlage hierher verbannt. Wie ein alter Teepavillon wirkt es fast. Es ist rund und flach und hat in der Mitte oben eine gläserne Kuppel, durch die man in das Innere sehen könnte, wenn die Scheiben nicht so schmutzig wären. Vielleicht war hier früher wirklich einmal ein Park oder Garten, bevor man alles zugebaut hat, und dieser Pavillon stand mittendrin. Hübsch. Und darin arbeitet also nun dieser Herr … Künstler … wie hieß er doch gleich? Wozniak!

      „Pole!“, sagt Dunkeloh und muss jetzt schon laut lachen. Er kann wohl nicht mehr an sich halten, bremst sich dann aber noch mal elegant ab und räuspert sich nur.

      Ach ja. Ein Pole also auch. Die Welt ist groß. Nun gut, wir wollen Herrn Dunkeloh ja auch nicht weiter strapazieren. Er ist einfach am Ende. Er kann jetzt nicht mehr und wir haben ja alles gesehen. Wir sind praktisch durch.

      „Gut“, sage ich und schaue Steffi erwartungsvoll und aufmunternd lächelnd an. Ist ja schon ganz schön anstrengend so eine Hausbesichtigung als zukünftiger Besitzer. Man darf sich ja nicht blenden lassen und muss für alles einen kritischen Blick haben. Aber auch Steffi scheint genug gesehen zu haben.

      „Dann gehen wir also. Alles sehr schön. Vielen Dank, Herr Dunkeloh!“

      Dankbar, endlich erlöst zu sein, folgt er uns die Treppe nach unten, vorbei am libanesischen Volksfest, auf dem gerade die Hinrichtung stattzufinden scheint oder auch vielleicht nur ein Hammel geschlachtet wird. Das arabische Gejohle ist groß.

      Vorbei an Herrn Horstkötters Tür, hinter der wir jetzt den Radetzky-Marsch vernehmen, den ich noch aus der Single-Kiste meines Vaters kenne. Tadda-buff-tadda-buff-tadda-buff-tata! Und als wir an der Wohnung des Ehepaars Bolschakow vorbeikommen, hören wir doch tatsächlich handgespielte Klaviermusik und bleiben einen Moment andächtig lauschend davor stehen. Wie schön. Richtige Künstler in unserem Haus.

      „Was ist mit dem Keller?“, frage ich Ich hätte zu gerne noch die Heizungsanlage bewundert, denn davon verstehe ich ein wenig, weil ich ja von meinem persönlichen Klempner Helmut Vonderbrake, der sich immer rührend um die alte Heizung in unserem eigenen Haus in Leckede kümmert, immerhin so einiges gelernt habe.

      Dunkeloh sieht mich erschrocken an und wühlt dann noch mal nervös durch sein gewaltiges Schlüsselbund.

      „Oh, ich kann getz leider den Schlüssel nich find’n, Herräh … Knippschild. Der müsste noch in meim‘ Büro … is‘ abba alles … in Ordnung“, ergänzt er eifrig. „De Heizung läuft, woll.“

      Na gut, denke ich, wenn die Heizung läuft … das ist ja das Wichtigste, besonders jetzt im Winter … und dann schiebt er uns auch ganz schnell und hastig nach draußen.

      Unten vor der Tür schnappt Herr Dunkeloh gierig nach Sauerstoff und fächelt sich mit dem Aktenordner eifrig Luft zu. Doch er erwischt natürlich nur den sehr fetthaltigen, giftigen Dunst vomTakis Orakel. Dennoch versucht er auch schon wieder, etwas dabei zu lächeln. Es ist also überstanden.

      Aus. Vorbei. Durch. Das war’s.

      Gerade will er noch zu ein paar abschließenden Worten ansetzen, um uns offensichtlich zu verabschieden, da kommt ein junger Schwarzafrikaner mit einer großen ledernen Einkaufstasche des Weges und direkt auf uns zu. Er nickt Herrn Dunkeloh freundlich zu und geht schnurstracks an uns vorbei ins Haus. Der obere Reißverschluss der großen Tasche ist ein wenig geöffnet, ein rotbraunes Huhn streckt den neugierigen Kopf heraus und sieht uns verwundert an. Es scheint lebendig und macht kurz und bündig „Gack“.

      Ein Huhn?

      Vielleicht habe ich es aber doch nicht richtig gesehen und gehört, aber nach Steffis ratlosem Blick zu urteilen, könnte es tatsächlich ein lebendes Huhn gewesen sein. Der schwarze Mann ist längst, eine fremde, vielleicht afrikanische Melodie pfeifend, im Haus verschwunden.

      Herr Dunkeloh scheint es wohl auch gesehen zu haben, denn er bricht jetzt seinerseits in ein hysterisches Lachen aus, dass uns angst und bange wird.

      „Dat war der Wukuada!“, brüllt er und lacht und lacht … „Ghana! Hahaha…“

      Wir haben etwas Angst um Herrn Dunkeloh, doch da hat er sich auch schon wieder gefangen und schüttelt unaufhörlich den Kopf, als könne er das alles gar nicht begreifen.

      „Ich brauch getz ‘n Schnaps!“, sagt er dann und deutet mutig auf den Eingang zum Takis Orakel und sein Blick fragt, ob wir mitkommen.

      Oh, denke ich und betrachte voller Sorge die fetten Rauchschwaden, die noch immer aus dem Inneren dieser geheimnisvollen Lokalität wabern.

      Nun ja, warum eigentlich nicht? Das Orakel gehört ja schließlich auch zum Haus und wir haben es noch gar nicht gesehen. Ich zucke mit den Schultern, hole noch das Einverständnis von Steffi ein, die ebenfalls gleichgültig die Mundwinkel verzieht, aber ihr Schicksal bereits besiegelt sieht, und schon betreten wir furchtlos und auch neugierig den schmierig, dunklen, räuchernden Frittenpalast.

       Jamas!

      Mit einem Taschentuch vor dem Mund kann man die ersten zwei, drei Minuten ganz gut aushalten, aber dann sieht das mit dem Taschentuch einfach auch nicht so besonders aus, es wirft Fragen auf und wir verzichten auf diesen unhöflichen Atemschutz.

      Er nützt auch sowieso nichts. Das Fett ist überall, es wabert durch den öligen Frittendunst und den beißenden Rauch, der aus der hinteren Ecke des Etablissements quillt, wo man im dichten Nebel jemanden erkennen kann, der mit großen Gesten herumhantiert und mühsam, aber ehrgeizig versucht, eine dürftige Mahlzeit aus verbranntem Fleisch herzustellen. Hier müsste dringend mal ein Fenster aufgerissen werden, aber vielleicht will man ja nicht, dass es zieht. Es ist sehr kalt draußen.

      Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die feindliche, fast undurchdringliche Atmosphäre und wir erkennen an zwei Plastiktischen andere Menschen, die auch sämtlich ohne Schutzmasken und scheinbar auch ohne weitere Probleme verschiedene Köstlichkeiten der griechischen Küche gut gelaunt verputzen. Es scheint ihnen also zu schmecken. Einer raucht schon genüsslich eine Zigarette, während der andere noch mit großem Appetit verzehrt. Das Rauchen fällt im allgemeinen Geräucher sowieso nicht auf. Das sonst übliche Rauchverbot in Gaststätten erübrigt sich also hier schon mal.

      Und dann erkennen wir den Grillmeister selbst, der sich langsam immer deutlicher werdend aus dem Qualm schält. Gutmütige griechisch braune Augen sehen uns unter buschigen Augenbrauen in tiefem Schwarz an.

      „Dat is‘ Herr Panagopoulos un seine Gattin, woll“, stellt uns Herr Dunkeloh den nebulösen Herrn und eine Frau vor, die wir aber im Dunst noch nicht ausmachen können. Er muss einmal kurz husten und etwas Schweiß abwischen. Aha, da, im Hintergrund, erkennen wir jetzt auch die Frau des obersten Grillmeisters. Sie nickt uns freundlich zu und wendet fachmännisch und voller Andacht mit den bloßen Händen eine große lange, fleischige Wurst und streicht dann liebevoll und ganz verträumt darüber hinweg.

      An den griechischen Grillgott gewandt, sagt Dunkeloh dann: „Herr Panagopoulos, dat is‘ dat Ehepaar Knippschild, den’n ich grade dat Haus gezeicht habe, woll. Eventuell hätt’n sie es kauf’n wollen …“

      Oh, Konjunktiv Perfekt. Wir sind für ihn also schon aus dem Rennen.

      „Aaah“, sagt Herr Panagopoulos, scheint sich riesig über uns zu freuen, obwohl er uns ja gar nicht kennt, reißt die Arme hoch, besinnt sich aber dann und wischt sie sich erst noch an einem rotkarierten zerfetzten Handtuch ab, dessen Karos allerdings vom ständigen Abwischen fast verschwunden sind, umarmt uns dann aber umso herzlicher wie alte Freunde.

      „De neue Chausbessiddsa! Chärzelick villkommäh. Chärzelick villkommäh. Trinke Ouzo auf Chaus. Umsonst. Kosta nix! Athina, bringst du de Ouzo, parakaló!“, ruft er nach hinten und die Grillwurst muss leider für einen Moment vernachlässigt werden.

      Sehr freundlich, das Ehepaar Panagopoulos.

      Und schon stehen vier kleine Ouzogläser vor uns auf der öligen Theke des Hauses und der große Gyrosmeister hebt seines, um mit uns anzustoßen. „Jamas!“, brüllt er, die


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