100.000 Tacken. Reiner Hänsch
Ich verdiene in der Redaktion des Sauerlandbeobachters zwar keine Unsummen, aber immerhin bin ich der Redaktionsleiter dieses kleinen kostenlosen Anzeigenblattes, und wir kommen ganz gut zurecht. Der Kredit bekommt monatlich, was er braucht, und wir müssen nicht sparen. Das Onkel-Günter-Geld könnte also tatsächlich IN-VES-TIERT werden. Zum Beispiel eben in Betongold!
Es macht eigentlich doch auch richtig Spaß, über so etwas überhaupt mal nachdenken zu können. Endlich mal zu denen zu gehören, die unbedingt ihr Geld unterbringen müssen. Wohin damit, Onkel Dagobert? Vorsicht, die Panzerknacker graben schon wieder einen Tunnel!
Max ist das alles egal, er verzieht sich nach oben in sein Zimmer und hört wahrscheinlich wieder eine dieser schrecklichen Metall-Musikgruppen, und ich sitze mit Steffi allein in der Küche, um das Wort „Betongold“ noch mal gründlich von allen Seiten zu beleuchten.
„Naja“, meint sie dann nachdenklich und zieht einen Mundwinkel nach oben, was ihr außerordentlich gut steht. Sieht irgendwie frech aus. Sie ist die frechste … nein, nein, natürlich die schönste Frau der Welt, besonders mit hochgezogenem Mundwinkel. „Schlecht hört sich das ja nicht an.“
„Genau. Sieh mal, Steffi, wir kaufen ein schönes Haus und vermieten es an nette Menschen, die uns gerne und sogar monatlich dafür Geld bezahlen, in so einem schönen Haus wohnen zu dürfen. Wir sind nett zu ihnen, sie sind nett zu uns. Das ist doch toll. Und solange das Haus steht, bekommen wir Miete. Geld, ein Leben lang. Kohle ohne Ende. Die Familie ist abgesichert für alle Zeiten! Wer weiß denn, was später mal kommt?“
Sie sieht mich strinrunzelnd an und vielleicht überlegt sie, ob sie nicht versehentlich doch einen ganz anderen Mann geheiratet hat, denn so was hat sie eigentlich noch nie von mir gehört. Ich ja selbst auch nicht. Aber ich bin trotzdem sehr stolz, diesen ganzen Sachverhalt auf so eine hübsche, plausible und einfache Formel gebracht zu haben, weil ich auch wirklich meine, dass es eine ziemlich gute Idee ist, so ein Mietshaus zu kaufen.
„Tjaaa …“, sagt Steffi nur, „vielleicht hast du ja recht.“
Natürlich habe ich recht. Warum machen es denn viele andere auch so, die es nun wirklich wissen müssen? Donald Trump … oder Günther Jauch zum Beispiel. Der hat eine ganze Menge Mietshäuser, wie man liest, und scheint doch trotzdem, oder gerade deswegen, ziemlich gut drauf zu sein. Immobilien! Das ist doch das Zauberwort der Wohlhabenden, das man sich hinter vorgehaltener Hand und auf Dinnerpartys und Vernissagen zuflüstert. Beton bleibt!
Natürlich hatte es uns noch nie jemand zugeraunt, denn bisher gab es keinerlei überflüssiges Geld unterzubringen. Wir waren immer froh, dass es für alles gereicht hat. Aber jetzt, wo wir doch reich sind, sieht die Sache ja schon ganz anders aus.
Hunderttausend Tacken! Boah ey!
Der graue Kasten
In den folgenden aufregenden Tagen studieren wir eifrig und wann immer sich die Gelegenheit bietet, die Immobilienangebote in der Gegend. Auch im Redaktionsbüro kann ich es mir, trotz einer ganzen Menge Arbeit, nicht verkneifen, ab und zu mal den Immoscout aufzumachen und nachzusehen, ob unser Haus denn schon dabei wäre. Große Häuser gibt es da, kleine, langweilige, auch ganz schreckliche Betonklötze sind darunter. Nein, nein, so soll unser Haus niemals aussehen.
Schön soll es sein. Ganz einfach.
„Solide Kapitalanlage“, „gute Rendite“, „Entwicklungspotenzial“, „voll vermietet“ und „provisionsfrei“ sind Worte aus dem neuen geheimnisvollen Vokabularium, mit dem ich mich in diesen Tagen beschäftige. Oh, ist das ein aufregender, alles verschlingender Dschungel unbekannter Begriffe und Abkürzungen, durch den man sich da pflügen muss, um endlich wieder das Tageslicht des willigen Anlegers zu sehen.
„Sollten wir nicht erst mal zu Herrn Beckebanz gehen und fragen, ob wir von der Sparkasse auch noch Geld bekommen?“, fragt Steffi und da hat sie natürlich recht. Für unsere hunderttausend Tacken bekommt man nur ganz, ganz kleine Mietshäuser … oder eben gar keine. Auf jeden Fall nicht solche, die wir uns vorgestellt haben.
„Ach, das klappt schon“, sage ich, obwohl ich es nicht genau weiß. Die Häuser, die wir uns da jetzt nur mal so ansehen, kosten alle über zweihunderttausend Tacken, also sogar mehr als das Doppelte. „Herr Beckebanz macht das bestimmt.“
Und obwohl Steffi dann Bedenken anmeldet, ob es denn auch wirklich richtig sei, sich noch weiter in Schulden zu stürzen, tue ich das leicht überheblich als pure Schwarzmalerei ab und schaue sie nur tadelnd an. So, als wolle sie mir den Spaß verderben.
„Steffi, du tust ja gerade so, als ob es noch Schuldentürme mit Ratten, Kälte, Dunkelheit und Gestank gäbe, in die man uns wirft, bis wir verhungern, wenn wir das Geld nicht auftreiben können. Also wirklich!“
Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Bild ihre Sorgen tatsächlich zerstreuen kann. Vielleicht eher nicht.
Trotz Steffis Bedenken haben wir uns dann doch einige Häuser tatsächlich auch mal in echt angesehen. Nur von außen erst mal. Aber da war leider nichts dabei. So wie auch meine Oma früher immer sagte, wenn sie enttäuscht das Fernsehen ausschaltete, weil ihr keine der Sendungen gefiel oder sie einfach nichts verstanden hat. Nüscht dabei!, sagte sie dann immer, legte kopfschüttelnd die neumodische Fernbedienung auf das kleine Tischchen neben ihrem Fernsehsessel und schlief meistens ein, oder wir spielten zusammen Mau-Mau.
Die Häuser, die wir uns angesehen hatten, lagen entweder in Gegenden, wo wir uns fast selbst nicht hintrauten, weil sie so dunkel und trostlos waren, dass wir uns auch nicht vorstellen konnten, dass da jemand wohnen will. Naja, dann macht’s ja keinen Sinn mit einem Wohn-Haus. Wir waren ziemlich enttäuscht vom Angebot, suchten aber trotzdem munter weiter.
Dann, nach ein paar Wochen hatten wir es plötzlich gefunden, unser Haus. Wir fanden es eigentlich fast gleichzeitig. Ich im Büro am Computer und Steffi beim Zahnarzt im Sauerlandbeobachter, also der Zeitung, für die ich jeden Tag schreibe. Ich selbst habe es da gar nicht gesehen, denn für die Anzeigen ist bei uns in der Redaktion Anke Niggeloh, meine liebe Kollegin, zuständig.
Schön sieht es aus, und das soll es ja auch. Es muss sich irgendwie hinter all den anderen Häuseranzeigen versteckt haben, aber das brauchte dieses schöne Haus nun wirklich nicht. Steffi und ich hatten uns sofort und unabhängig voneinander in genau dieses Haus verliebt. Es ist ein Jugendstilhaus mit Stuckornamenten, kleinen Erkern und Friesen und einem Türmchen in der Mitte. Ganz toll. Ein Eckhaus mit Restaurationsbetrieb im Erdgeschoss, solider Rendite und voll vermietet. Ja, genau das wollten wir doch.
Für Nichtverliebte ist es vielleicht nur ein grauer, alter Kasten an der Ecke einer etwas betagten Häuserzeile in einem der hinteren Viertel von Arnsberg.
Das mussten wir sehen! Sofort. Und der Preis war sogar als Schnäppchen ausgewiesen. Runtergesetzt! Trotzdem würde leider unser Onkel-Günter-Geld nicht ganz ausreichen, um es zu bezahlen, es kostete sogar mehr als doppelt so viel. Aber wir wollten es erst mal ansehen. Unverbindlich. Kucken kost’ ja nix!
Herr Dunkeloh von der ortsansässigen Immobilienfirma Dunkeloh und Wöbkemeier vereinbarte sehr bereitwillig und umgehend einen Termin und heute fahren wir mit roten Wangen und schwitzigen Händen nach Arnsberg – zu unserem Haus.
Die Vorfreude auf das Haus ist fast größer als die auf das in vier Wochen anstehende Weihnachstfest, als wir dann endlich in der Ruhrstraße in Arnsberg parken können. Mit leichter Verspätung, direkt vor unserem Haus.
Herr Dunkeloh wartet schon und eilt uns mit einem verheißungsvollen Lächeln und in einem grauen, etwas zu engen Anzug entgegen. Er verbeugt sich galant vor Steffi, schleimt ein wenig herum und drückt mir dann gütig seine Karte in die Hand. Ja, danke. Er scheint auch etwas nervös zu sein. Warum nur?
Unter dem Arm trägt er eine Aktenmappe wie die schwarzen Sparkassenmänner aus meinem Traum. Auch sein Lächeln erinnert stark an Gebrauchtwagenverkäufer oder auch Drogendealer.
„Komm Se rein, sehn Se sich ärss ma alles ganz unverbindlich an, woll! So’n Schritt will ja gut überleecht