Reisch un berümp!. Reiner Hänsch
klar,“ sage ich und schrubbe ein paar meiner eingeübten Akkorde auf dem guten Stück.
„Naja, woaßt, i wollt sie eigentlich gar net verkauf’n. I hob’s halt bloß ins Schaufenster g’hängt, weil’s schön ausschaut. Pass amol auf, Till, wir könnt’n an Deal machen.“
Aha, was kommt jetzt, Till Heisterkamp? Ich höre auf zu spielen und sehe ihn erwartungsvoll an. Ein Deal?
„Woaßt, i hob im Moment so wenig Zeit, mi um den Laden zu kümmern. I muaß immer zuschließ’n, wenn i weg bin und dann is’ er halt zu! Und a Laden, der immer zu is’, is’ halt koa richtiger Laden. I bräucht jemanden, der ab und zu amol hier is’ und aufpasst, woaßt?“
Und der Deal? Er macht eine kleine Pause und ich halte vor Spannung die Luft an.
„Woaßt, mei Frau, die Gunni, ist ziemlich krank, und i geh jeden Tag ins Krank’nhaus, um sie zu b’suchen. Vielleicht könnt’st du ab und zu a paar Stund’n hier im Laden …?“
Ja. Warum nicht, aber wo ist der Deal?
„Ja, das könnte ich, Herr Knoche. Das würde ich schon machen“, sage ich.
„Naja, i hob mer ’dacht …“
Jetzt kommt der Deal.
„I hob mer halt so ’dacht, dann könnt’st du so die Gitarr’n sozusag’n abzahl’n. Ich tät hundertfünfz’g Euro dafür neh’n. Ich hoff’, des is’ dir net z’viel. Dann tät’s du arbeiten für mi, mir mach’n an Lohn aus und i geb dir dann die Gitarr’n, wenn’st dei Geld verdient hast. Wär des wos?“, fragt er vorsichtig.
Deal!
Des wär wos!
„Ja, das wär’ super, Herr Knoche.“ Ich bin völlig von den Socken. „Und ich brauch dann gar nichts zu bezahlen und irgendwann gehört sie mir?“
Jetzt hält mich nichts mehr auf dem knarzenden Stuhl.
„Ja, so hob i mir des ’dacht. Könnt aber a bisserl dauern! I zahl dir bloß fünf Euro für an ganz’n Nachmittag.“
„Egal, so machen wir’s!“
Ich komme also doch noch an meine Gitarre!
„Und für jeden Nachmittag, wo’sd do bist, mach’n mir an Strich do an die Wand.“ Er nimmt einen dicken Bleistift, dreht sich zur Wand um und macht den ersten Strich. „Oan schenk i dir!“, sagt er und grinst breit dabei.
„Danke, Herr Knoche!“
„Wannst willst, könnt’ i dir a poar Tricks auf der Gitarr’n zeig’n.“
„Ja. Super. Wann fangen wir an?“, frage ich ihn.
Er zuckt mit den Schultern, spitzt seine Lippen und sagt: „Morg’n? Um drei?“
„Äh, … lieber erst um vier. Geht das?“
Sechs Stunden Schule. Hausaufgaben. Üben für Mathe … seit ich mit Alex und Abi eine Band habe, läuft’s nicht mehr so optimal beim Heinrich-Lübke-Gym.
„Geht a“, brummt er.
„Morgen um vier bin ich wieder hier, Herr Knoche! Super. Und vielen Dank.“
„Brauchst di net zu bedank’n, muaßt ja hart arbeit’n.“
Ja. Ja. Ja.
Alles wird gut! Bald werde ich mit meiner roten Gitarre mit Abi und Alex über die Rockbühnen dieser Welt fetzen - und es allen zeigen.
An der Ampel hinter dem Schnappes-Supermarkt wird das Leben plötzlich brandgefährlich. Vanessa Hülsemann und irgendeine Freundin tauchen wie aus dem Nichts neben mir auf.
Oh, oh, oh. Vanessa!
Augenblicklich verdreifacht sich mein Pulsschlag und wahrscheinlich ändere ich auch gerade meine Gesichtsfarbe von mittelbeige in knallrot. Ich nehme mir vor, erst mal ganz unverfänglich starr geradeaus zu gucken, so als hätte ich die beiden gar nicht bemerkt. Das ist, glaube ich, das Beste, was man in solchen Momenten machen kann und was anderes fällt mir auch nicht ein.
Vanessa Hülsemann!
Wenn die auftaucht, ist Alarm. Jedenfalls bei mir. Vanessa ist eben, … wie soll ich sagen … sie ist eben nicht nur irgendeine Vanessa, sondern „Oh-Oh-Vanessa“, die absolute Topschnecke auf unserer Schule. Blond und blond und … einfach irgendwie … na, einfach toll eben. Und leider weiß sie das auch selber. Alle, aber auch wirklich alle stehen auf sie. Und ich natürlich auch. Aber ich denke mal, da brauch’ ich erst mal keine weiteren Planungen zu machen. Eigentlich hat sie mich noch nie beachtet.
Nach „Vanessa-Oh-Oh-Vanessa“ kommt dann eigentlich erst mal gar nichts mädchenmäßig Erwähnenswertes … und diese Freundin da neben ihr kenne ich gar nicht. Wahrscheinlich neu auf unserer Schule.
Oh Mann, oh Mann, Vanessa-Oh-Oh-Vanessa sieht so Hammer aus mit ihren langen, blonden Haaren und den großen, blauen Augen und diesem Gesicht mit der Nase und dem Mund mittendrin … äh, Quatsch … naja, also, so ein Mädchen kann man praktisch gar nicht ansprechen. Ich kann’s jedenfalls nicht.
Deshalb bin ich auch eigentlich gar nicht da und gucke auch üüüberhaupt nicht hin, als die beiden so neben mir stehen und kichern. Ich versuche, nur aus dem Augenwinkel zu ihr hinzusehen, ohne dabei den Kopf zu drehen. Mir wird so heiß, dass die Brille leicht beschlägt.
Da kichern sie schon wieder. Mädchen kichern einfach immer, wenn mindestens zwei von ihnen zusammen sind, und du denkst natürlich, sie kichern über dich. Und, richtig, das tun sie auch. Knallrot wie ich nun schon mal bin, glotze ich stur geradeaus und unheimlich angestrengt auf die verdammte Ampel, die diesmal einfach nicht grün werden will.
„Hallo, Tilli, mein Süßer, warum sachste denn nix?“, fragt Vanessa-Oh-Oh-Vanessa mich und kommt sogar etwas näher ran.
Sie spricht mit mir! Sie hat mich gesehen, sie wendet sich an mich, sie nennt mich bei meinem Vornamen, sie kennt mich, sie erfindet süße Koseworte für mich, … sie liebt mich … ’Tilli, mein Süßer’. Ich bin wie betäubt, es klingelt in meinen Ohren und mir wächst ein haariger Pelz auf der Zunge. Alles wird ganz klebrig und ich vermute, ich werde wahrscheinlich nie wieder sprechen können.
„Mmpf! Ich? Mm, och, ich … Hallöchen!“, versuche ich, diesen fiesen Fremdkörper in meinem Mund zu bewegen und tue so, als hätte ich sie gerade erst gesehen. Was für eine Überraschung!
Liebt sie mich wirklich?
„Wat siehs’ du heute widder beklopp’ aus!“, sagt sie und prustet laut los. Die Freundin lacht nicht.
Nein, … Vanessa liebt mich dann wohl eher nicht und ich schiebe mein Rad ohne Hoffnung weiter Richtung Dorfplatz an einem wütenden, hupenden Autofahrer vorbei.
„Pass doch auf, du Blindfisch!“
Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!
Ja, mein sehr spezielles Outfit aus dem Second-Hand-Laden gibt öfter mal Anlass zu dummen Bemerkungen. Das bin ich schon seit Längerem gewohnt. Auch meine Frisur könnte ich mir etwas gewagter vorstellen, aber mit solchen Plänen komme ich bei meinen Eltern einfach nicht durch. Aber ich rede mir seit einiger Zeit ziemlich erfolgreich ein, dass es mir gar nichts ausmacht, so rumzulaufen. Ich sage mir einfach: Es ist mir egal. TO-TAL E-GAL.
Alle haben ja jetzt diese abgefahrenen, schlabberigen Jeans, die so tief hängen, dass oben immer ein Stück Unterhose rausguckt. Nein, keine Unterhosen, sondern Boxershorts, die meistens einem gewissen Calvin Klein gehören, weil sein Name oben auf dem Bund steht.
Diese Hosensäcke sind so lang, dass es staubt beim Gehen, weil sie über den Boden schleifen mit coolen Tarnmustern, oder so. Viele tragen auch diese Kapuzen-Shirts mit fetten Nummern, amerikanischen Sprüchen oder diesen edlen Zeichen von all den wichtigen Marken drauf.
ICH WILL DAS GAR NICHT HABEN.
Ich brauche