Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer

Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer


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noch heute. Die Sache duldete aus ihrer Sicht keinen Aufschub. Und da war es besser, im Baum auf sie zu warten, denn von seinem Ast aus würde er sie frühzeitig kommen sehen, schon lange bevor sie das Haus erreicht hatten.

      Er fror.

      Trotz der sommerlichen Hitze, die nun schon seit mehr als zwei Wochen über dem Land lag. Seine Hände und Füße waren so kalt, er spürte sie kaum noch.

      Eine halbe Stunde später entdeckte er drei Punkte am Horizont. Zitternd beobachtete er, wie bedrohlich schnell sie näher kamen. Natürlich, sie kamen auf den Rädern her. So konnten sie auch danach schnell wieder verschwinden. Unbemerkt, ungesehen. Hier draußen wohnte außer ihm und seiner Mutter niemand mehr.

      Wie würde ihre Rache wohl diesmal aussehen? Kamen sie vielleicht sogar mit der Absicht, ihn zu töten?

      Ach Quatsch, versuchte er sich zu beruhigen, Kinder brachten doch keinen um – jedenfalls nicht in Schweden, und nicht wegen so was!

      Kindersoldaten vielleicht – aber das war weit weg, in einer anderen Welt, im Krieg.

      In den Nachrichten.

      Nicht hier.

      Nicht aus diesem Grund.

      ****

      Als sie sich zur Verteilung der neuen Aufgaben im Besprechungsraum trafen, lag gespannte Erwartung über der kleinen Gruppe. Ab sofort konnte es richtig losgehen.

      Sie hatten einen Namen und schon bald würde sich im Umfeld des Toten ein Motiv finden lassen und damit dann auch der oder die Mörder.

      Sven Lundquist spürte die Aufbruchstimmung im Team und genoss diesen energiegeladenen Zustand. Er wusste aus Erfahrung, wie schnell Ermittlungen ins Stocken geraten konnten, Spuren ins Nichts führen. Dann breitete sich oft genug Agonie aus, das Schlimmste, was während einer Ermittlung passieren konnte.

      »Guten Morgen«, begrüßte er die Runde und gab dann das Wort an Knyst weiter, der eine Menge bunter Zettel in der Hand hielt, die er nach und nach an die Pinnwand heften wollte, während er die neuen Informationen aus Dänemark an das Team weitergab.

      »Unser Mordopfer heißt also tatsächlich Gunnar Thaisen. Die Autovermietung hat eine Kopie von Führerschein und Ausweis gemacht. Das Foto stimmt mit dem überein, das wir den Kollegen gestern gefaxt haben. Inzwischen besitzen wir auch schon ein paar Informationen über diesen Gunnar Thaisen. Er war vierundvierzig Jahre alt, lebte in Skagen, Jütland, verheiratet, drei Kinder. Sie sind fünf und drei Jahre alt, das jüngste gerade drei Monate.«

      Knyst räusperte sich und ordnete etwas fahrig die Zettel in seiner Hand.

      »Gunnar Thaisen besaß eine Computerfirma in Kopenhagen mit Filialen in Skagen und Randers. Die Kollegen konnten bisher seine Frau noch nicht erreichen, und wir haben gestern auch nur die Bitte um Rückruf auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können. Im Moment checken die Kollegen gerade seine Büroräume in Skagen. Vielleicht hatte er irgendwelche Schwierigkeiten mit Kunden oder der Konkurrenz.«

      Lars pinnte einige Zettel an die Wand. »Mafiastrukturen in der Computerszene?«, fragte Ole.

      »Na, ja. Warum eigentlich nicht? Irgendwie scheint dieses Virus ja alle Geschäftsbereiche zu erreichen. Vielleicht gab es illegale Preisabsprachen oder so was. Preisdumping für Großkunden vielleicht? Wie groß ist denn diese Firma überhaupt?«

      »Das wissen wir noch nicht. Es ist auch nicht ganz klar, was dort eigentlich hauptsächlich verkauft wird: Hardware oder Service – oder beides. Die Kollegen sind aber im Moment dran und werden uns umgehend informieren.«

      »Soll das heißen, dass wir hier rumsitzen müssen und warten?«, moserte Britta.

      »Nein, müssen wir nicht«, sagte Lundquist. »Ich habe hier aktuelle Berichte der Spurensicherung und der Rechtsmedizin. Während wir warten, bringe ich uns auf den neuesten Stand.«

      Er stand auf und zeigte auf eine der Aufnahmen. »Hier, das ist der Weg vom Tor zum Portal der Kirche.

      Wäre hier ein so schwerer Mann im Rollstuhl entlanggefahren, hätte er tiefe Spuren in den Kies gewühlt. Es sind aber keine zu sehen.«

      »Klar sind da welche. Das sehe ich doch mit bloßem Auge von meinem Platz aus«, protestierte Britta.

      »Stimmt«, bestätigte Lundquist unbeirrt. »Die sind aber nicht tief genug und viel zu schmal. Wahrscheinlich stammen sie von diesem Trolley, den Hanne immer mit in die Kirche bringt. Spuren von einem Rollstuhl gibt es nicht.«

      »Er brauchte ja auch keinen. Vielleicht hat er ihn leer zur Kirche geschoben«, überlegte Bernt.

      »Unwahrscheinlich. Dann hätte er sich zumindest aufgestützt und zwangsläufig Spuren hinterlassen, immerhin wog Gunnar Thaisen 135 Kilo. Er könnte ihn natürlich auch getragen haben. Fragt sich nur, wozu trägt jemand einen Rollstuhl in eine Kirche?«

      »Dann haben seine Mörder vielleicht schon zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass er laufen kann, und haben ihn gezwungen, in die Kirche zu gehen«, meinte Bernt.

      »Oder es waren genug Leute an dem Mord beteiligt, um die Leiche in die Kirche zu tragen«, gab Lundquist zu bedenken.

      »Haben wir denn inzwischen den Rollstuhl gefunden?«, fragte Ole.

      »Ja«, bestätigte Lundquist. »Er lehnte zusammengeklappt an einem Regal im Gang gegenüber der Reihe, in der der Tote saß. Vielleicht sollten wir ja glauben, das Opfer sei zum Beten ausgestiegen und habe sich in die Bank gesetzt. Hanne hatte während ihrer Reinigungsarbeiten eine Tür im Regal geöffnet, weil sie alle Gesangbücher auf Beschädigungen überprüfen wollte – und dahinter verschwand der Rollstuhl. Der Täter hatte also nicht versucht, ihn wegzuschaffen oder zu zerstören.«

      »Was sollte diese Scharade denn überhaupt?«, fragte Britta spitz.

      »Das wissen wir noch nicht«, antwortete Lundquist ruhig. »Vielleicht finden wir ja den Täter, wenn wir den Sinn dieser Täuschung rauskriegen. Doch wenn seine Mörder nur das Auto und den Rollstuhl gesehen haben, mussten sie ihn ja zwangsläufig für ein wehrloses Opfer halten. Ließen sie ihn jedoch in die Kirche gehen, wussten sie um seine Wehrhaftigkeit. Da liegt der entscheidende Unterschied.« Lundquist starrte auf die Bilder aus der Kirche, als könne er so den Fotos etwas entlocken, das er zuvor übersehen hatte.

      »Er war groß, schwer und gut durchtrainiert. Einer allein wäre wohl kaum mit ihm fertig geworden. Es sei denn, er hätte einen gleichwertigen Partner gefunden«, meinte Ole und warf einen wohlmeinenden Blick auf Lars, »so einen wie dich, vielleicht.«

      Es klopfte.

      Ein atemloser Polizist mit hochrotem Kopf reichte eine Akte herein.

      »Das kam gerade aus Dänemark. Ist bestimmt wichtig.« Lars nahm ihm die Akte ab, nickte ihm zu und blätterte in den Papieren.

      »Er hat doch mehrere Schläge ins Genick bekommen, nicht? Vielleicht war das der anfängliche Versuch, ihn außer Gefecht zu setzen – vielleicht war der Mord ja gar nicht geplant, sondern ein Unfall?«, spekulierte Britta.

      »Gunnar Thaisen war Schwede!«, unterbrach Lars überrascht. »Ich habe gestern in den Unterlagen der Einwohnermeldebehörde einen Hinweis darauf gefunden, dass er vor mehr als dreißig Jahren nach Dänemark ausgewandert ist. Alle wichtigen Angaben waren verschlüsselt, als gäbe es da etwas geheim zu halten. Also habe ich vermutet, er sei wegen irgendwelcher Schwierigkeiten ausgewandert und Däne geworden. Ist er aber nicht. Er hat nie die dänische Staatsangehörigkeit beantragt, sondern blieb zeit seines kurzen Lebens Schwede.«

      »Also – nur damit ich jetzt nichts durcheinander bringe: Ein körperlich relativ gesunder und durchtrainierter dänischer Schwede färbt sich die Haare kupferrot, mietet ein für Behinderte umgerüstetes Auto in Dänemark, reist damit nach Schweden, gibt sich als Rollstuhlfahrer aus, um sich bei einem Zusammenreffen mit wer weiß wem, in der Kirche von Holm umbringen zu lassen? Ja? So etwa?«

      Wikström sah die anderen in gespielter Verzweiflung an.

      »Klingt


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