Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer

Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer


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neue Freundin weiß ja über deine Erkrankung Bescheid. Sie kennt also das Risiko, auf das sie sich eingelassen hat.«

      »Ja. Na klar. Sie weiß es eigentlich schon seit den ersten Minuten unserer Bekanntschaft. Du weißt, wir haben uns ja im Krankenhaus kennen gelernt. Zwei Invaliden auf einer Bank.«

      »Wildromantisch«, spöttelte der Arzt.

      »Ich frage mich, ob ich die Disposition für MS vererben würde, wenn wir Kinder bekommen sollten. Und ich frage mich, ob ich noch genug Zeit habe, mit dem Nachwuchs zu spielen und zu toben.«

      »Oh, wir sind wieder bei deinem Jahrmarktsbudenthema. Du weißt genau, dass dir kein Mensch die Frage beantworten kann, wie viel Zeit dir für die Verwirklichung deiner Pläne bleibt! Ob du morgen von einem Auto überfahren wirst oder beim nächsten Badespaß im Meer einen Krampf bekommst und ertrinkst: Wer will das wissen? Geh zu Lily Antwerpes, der berühmten Hellseherin, die beantwortet deine Fragen nach der Zukunft!«

      »Ist ja gut, ist ja gut!« Sven Lundquist hob schützend die Hände über den Kopf. »Ich gebe mich geschlagen und bekenne, du hast Recht!«

      Sie lachten.

      »Was deine Frage nach der Vererbung angeht, kann ich dir sagen, es gibt definitiv keine familiäre Häufung. Man weiß einfach nicht genau, warum der eine es bekommt und der andere nicht. Wenn du wirklich abgeklärt haben willst, ob sich bei dir ein neuer Schub ankündigt, bin ich nicht die richtige Adresse. Dr. Baum wird das schneller herausfinden. Möglicherweise wird er deine Interferon-Dosis etwas erhöhen. Und einmal straucheln ist nicht wirklich ein alarmierendes Signal. Ich hatte einmal eine Sprechstundenhilfe, Insga, die stolperte von morgens bis abends durch meine Praxis. Sie war nicht etwa krank, nur irgendwie ungeschickt beim Bewegen. Jede Treppe war eine Herausforderung für sie, manchmal schlugen die Türen, die sie aufgestoßen hatte, zurück und mehr als einmal musste ich ihr eine Salbe für ihre Rippenprellungen verschreiben, die sie sich bei so einem Kontakt mit der Türklinke zugezogen hatte. Aber deshalb bist du auch nicht wirklich zu mir gekommen, nicht wahr? Das Problem liegt ganz woanders«, sagte Dr. Palm und goss aus einer großen Thermoskanne Kaffee in zwei Tassen.

      »Milch? Zucker?«

      Lundquist schüttelte den Kopf.

      »Schwarz ist prima.«

      Dr. Palm wartete. In den vielen Jahren hatte er als Hausarzt ein untrügliches Gespür für familiäre Spannungen seiner Patienten entwickelt. Er wusste, schweigend warten zu können, war eine unbezahlbare Fähigkeit, für die in der schnelllebigen Zeit im Bereich der Medizin zu wenig Raum blieb. Viele Kollegen hetzten sich und ihre Patienten durch die Anamnese und zu Spezialuntersuchungen, ohne von ihren wirklichen Problemen jemals etwas zu erfahren.

      »Mutter will, dass alles so bleibt, wie es ist«, spuckte Lundquist trotzig aus.

      »Sie befürchtet ihre Bedeutung für dein Leben zu verlieren«, sagte Dr. Palm; seine Stimme hatte mit einem Mal ein dunkles, beruhigendes Timbre bekommen.

      »Sie weigert sich sogar, Weihnachten mit Magda zu feiern! Selbst Lisa hat schon gemerkt, dass mit Oma irgendetwas nicht stimmt.«

      »Sie macht also so richtig Stimmung gegen Magda.« Lundquist knetete seine Finger, dann spreizte er sie und musterte sie kritisch, als könne er chiromantische Erkenntnisse gewinnen.

      Er seufzte.

      »Ja und nein«, sagte er und legte die Hände wieder auf die Armlehne. »Manchmal wirkt sie auch einfach nur traurig, vorwurfsvoll traurig, und an anderen Tagen keift sie sofort los, sobald Lisa sie nicht mehr hören kann.«

      »Was hält die Kleine denn überhaupt von deinen Plänen?«

      »Sie findet Magda toll. Die beiden unternehmen viel gemeinsam – auch wenn ich Dienst habe. An den Wochenenden sind wir nach Möglichkeit sowieso zusammen. Von meinen Heiratsplänen weiß sie allerdings noch nichts – Magda weiß es ja auch noch nicht«, sagte er und rutschte mit dem rechten Arm etwas fahrig an der Armlehne ab.

      »Aber du glaubst schon, dass die beiden jungen Damen miteinander klarkämen?«, hakte Dr. Palm nach.

      »Ja, schon. Ich glaube, Lisa wäre total begeistert, wenn Magda meine Frau würde.«

      »Nehmt ihr deine Mutter auf eure Wochenendausflüge eigentlich manchmal mit?«

      »Nein. Sie will nicht. Lieber sitzt sie schmollend in ihrer Wohnung und wartet auf meine Rückkehr, um mich mit Vorwürfen zu überschütten.«

      In Lundquists Jacke meldete sich das Handy. Entschuldigend nickte er Dr. Palm zu und nahm das Gespräch an.

      Gitte war mit Wehen ins Krankenhaus eingeliefert worden.

      Drei Monate vor dem errechneten Endtermin! »Scheiße!«, fluchte Sven Lundquist, winkte Dr. Palm flüchtig zu und eilte aus dem Zimmer.

      ****

      »Wie? Ihr hattet euch getäuscht und nun wisst ihr immer noch nicht, wer der Tote aus der Kirche ist?«

      Hanne schüttelte fassungslos den Kopf.

      »Wie kann denn so was passieren? Es ist schon tragisch genug, wenn man auf so eine Art und Weise sterben muss, einsam in einer Kirche – und dann kennt noch nicht mal einer deinen Namen!«

      »Nur, dass er eben nicht einfach gestorben ist, sondern kaltblütig ermordet wurde«, stellte Britta schonungslos klar.

      Es schien, als versuche die eine Hälfte des Ortes den Mord durch eine vorsichtige Wortwahl zu negieren, während die andere Hälfte sich bemühte, der Polizei zu erklären, dass weder Täter noch Opfer mit dem Ort in Verbindung stehen könnten.

      Hanne sah Britta tadelnd an.

      »Dass ihr jungen Leute immer alles so brutal ausdrücken müsst«, beschwerte sie sich. »Zu meiner Zeit ging man mit seinem Wortschatz pfleglicher um und achtete die Gefühle seiner Mitmenschen. So eine Ausdrucksweise schickte sich zu meiner Zeit einfach nicht!«

      »Mord schickt sich zu gar keiner Zeit!«, parierte die junge Frau spitz.

      »Ja, da magst du ja Recht haben. Aber wir haben über so viele Dinge nicht öffentlich gesprochen. Du weißt schon. Und nun guck dir doch heute mal die jungen Mädchen an: Bauch frei und im Nabel einen großen Klunker. Du liebe Güte! Mein Vater hätte mich grün und blau geprügelt, wenn ich so nach Hause gekommen oder womöglich zur Schule gegangen wäre. Aber heutzutage kommen die ja sogar in dieser Aufmachung in die Kirche! Schamlos!« Britta seufzte. Wollte Hanne ihr klarmachen, es sei von einer Generation, die den Bauch zur Schau stellte und gepierct war, nicht anderes zu erwarten, als dass sie auch vor einem Mord in der Kirche nicht zurückschreckte?

      Unauffällig sah sie sich in der kleinen Küche um. Ganz offensichtlich war die Hausfrau gerade mit den Vorbereitungen fürs Mittagessen beschäftigt, als der Besuch der Inspektorin sie unterbrochen hatte.

      »Wolltest du gerade Hechtgehacktes kochen? Mhm. Das hat meine Oma auch gern gegessen. Bei keinem Familienfest durfte das auf dem Tisch fehlen – selbst bei der zweiten Hochzeit meines Vaters bestand sie darauf, dass es mit auf der Buffetkarte stand.«

      Hanne grunzte nur.

      »Ich koche nicht gern. Aber es ist nun mal notwendig, wenn man nicht verhungern will. Heutzutage kümmern sich ja die eigenen Kinder nicht mehr um ihre alten Eltern. Ja, früher, da war das ganz anders. Wir haben für unsere Eltern und Großeltern gesorgt. Schon als junges Mädchen habe ich täglich das Essen zu meiner Großmutter gebracht. In so einem kleinen Tiegel. Den musste sie dann nur noch aufs Feuer stellen. Aber die Zeiten sind vorbei«, jammerte die alte Dame.

      Das musste wohl Hannes Lieblingsthema sein, dachte Britta und beschloss, eilig ein anderes anzuschneiden und zu ihren aktuellen Ermittlungen zurückzukehren.

      »Hat es hier denn eigentlich jemals einen Rollstuhlfahrer gegeben?«, nahm sie einen neuen Anlauf.

      »Nein. Ich hab jedenfalls nie einen zu Gesicht bekommen. Zu meiner Zeit hießen die noch Krüppel und


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