German Cop. Dieter Jandt

German Cop - Dieter Jandt


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Kirschtorte in der Hand und aß gemächlich, während er das Treiben auf der Hauptstraße nahe den Grenzanlagen beobachtete. Die Dämmerung setzte ein. In einer halben Stunde, um 18 Uhr, würde die Grenze geschlossen sein. Ein Stau hatte sich auf der linken Seite der Fahrbahn gebildet, meist Pickups mit allen möglichen Waren auf den Ladeflächen. Fliegende Händler mit Handkarren schoben sich dazwischen, Motorräder nutzten die Lücken und drängten sich geschickt in gewagten Slaloms nach vorn. Fußgänger mussten aufpassen, nicht angefahren zu werden. Auf der rechten Fahrbahn kamen Autos und Motorräder zügig von der Grenzbrücke herunter und verteilten sich eilig auf der dreispurigen Straße nach Mae Sai hinein.

      Vor dem Eingang des Hotels stellten burmesische Händler ihre Karren mit Textilien, billigem Schmuck und allerlei Nippes auf. Der Nachtmarkt veränderte wie überall in Thailand allabendlich das Straßenbild.

      Johann pflückte die Kirsche von der Torte und schob sie mit der Zunge am Gaumen hin und her. Er beobachtete Wagner, der im Stehen seinen kleinen Rucksack kontrollierte.

      »Was willst du mit der Kamera? Ein Familienfoto machen, bevor sie dich schnappen?«

      Wagner antwortete nicht. Er nahm ein kleines, blau-gelbes Wörterbuch heraus, nickte und stopfte es wieder in den Rucksack zurück.

      »Ich sag’s dir nochmal: Du bist so schnell weg vom Fenster, da hast du noch nicht mal nachgeschlagen, was ›Bitte, bitte‹ heißt. Und denk daran, falls sie dich festnehmen: Wir kennen uns nicht, okay?«

      An den Kontrollposten waren die beiden am frühen Morgen im Bus tatsächlich nicht kontrolliert worden. Während die Polizisten die Einheimischen und vor allem Burmesen sehr genau checkten, ließ man Farang meist in Ruhe. Aber verlassen konnte man sich darauf nicht, und Johann konnte es immer noch nicht fassen, mit welcher Naivität Wagner herumreiste. Andererseits fand er zunehmend Gefallen an der ganzen Angelegenheit. Es versprach spannend zu werden. Und mit etwas Distanz konnte er sich das, was da kommen würde, in Ruhe anschauen, ohne sich selbst zu gefährden.

      Wagner zog den Reißverschluss zu und schulterte den Rucksack.

      »Was musst du die lieben!«, spottete Johann mit der Kirsche im Mund. »Denk doch mal nach: Wenn die Eltern wissen, wer du bist, ist das allererste, was sie tun, die Polizei anzurufen. Schon allein, weil sie hoffen, dass die Nok dann in Ruhe lässt.«

      »Glaube ich nicht. So sind die nicht!«

      »Ach ja klar. Weil Nok von ihnen abstammt. Und weil die auch nicht so ist. Kennen wir, die Leier.« Johann stieß seine Gabel hart in die Torte und schob sich ein großes Stück in den Mund. Schokoraspeln regneten auf sein T-Shirt. Hinter ihm bearbeitete ein Amerikaner mit langem Pferdeschwanz den etwas zu fest gebackenen Mürbeteig einer Käsetorte. Das Top North Hotel war so etwas wie eine Absteige für Alt-Hippies, die sehnsuchtsvoll daran zurückdachten, wie sie vor 40 Jahren hoch oben in den Bergen Opium geraucht hatten. Nun saßen sie im zur Straße hin offenen Café, verzehrten Kuchen, wie sie ihn von ihren Großmüttern her kannten, und erzählten sich, was sie sonst noch alles vor 40 Jahren erlebt hatten. Bier zum Kuchen war hier nicht unüblich, und manche hatten sich mittlerweile der thailändischen Sitte angepasst und kippten Eiswürfel ins Glas. Was sie fast alle vereinte, stand ihnen ins Gesicht geschrieben: zu viel Alkohol. Müde Augen, verbrämte Gesichter, bei all der Erfahrung und den Abenteuern. Dagegen sah Wagner recht frisch aus. Er war ja auch das erste Mal in Thailand.

      »Also: Thanon Müang Dääng, Soi Sii«, plapperte Wagner die Adresse nach, die Johann ihm bestimmt zehn Mal vorgesagt hatte.

      »Genau. Wobei du Sii von oben nach unten betonen musst, sonst versteht dich niemand.«

      Später, es war schon dunkel und Wagner hatte gar nicht nachfragen müssen, stand er in der Linkskurve einer schmalen Straße vor einem großen grünen Metalltor. Das musste die Adresse sein, wenn Johanns Recherchen richtig waren. Der hatte einfach in den Markthallen nach einer »Mää khai muu yong« gefragt, nach »der Mutter, die getrocknete Schweinefleischfasern verkauft.« Diese Information hatte er Nuan im Pub in Bangkok noch entlocken können, so angeschlagen, wie der war. Der kannte diese Fleischfasernmutter zwar nicht, aber Nok hatte ihm das wohl irgendwann mal erzählt. Dafür kannte man die Frau, die nicht nur Mutter der getrockneten Schweinefleischfasern, sondern auch Noks Mutter war, in den Markthallen umso besser.

      Nun stand Wagner also vor dem Tor und lugte darüber hinweg auf ein großes weißes Haus. In der oberen Etage brannte Licht, zwei Neonröhren an den Außenwändern bestrichen matt das Grundstück, auf dem in einer langen Reihe Palmen standen.

      Was tun? Wagner ruckte vorsichtig am Tor, das über Rollen in einer Führung geöffnet werden konnte. Sogleich gab eine kleine Glocke Laut. Sie war am oberen Rand des Tores befestigt. Ein Hund kläffte hell. Wagner war einigermaßen beruhigt. Das konnte zumindest kein großes Tier sein. Wagner schob das Tor ganz langsam zur Seite, um möglichst nicht wieder die Glocke zu betätigen, und schob sich durch die Lücke. Er schaute den sandigen Weg entlang auf die beleuchtete Terrasse. Er sah lange Reihen leerer Flaschen an der Schuppenwand, und Wagner musste gleich wieder an die Armut vieler Familien im Norden und Nordosten des Landes denken, so wie Nok ihm das erzählt hatte: Familien, die nicht zurechtkamen, wo die Männer zu viel Alkohol tranken und die Töchter gezwungen waren, an der Sukhumvit Road in Bangkok Geld zu verdienen. Aber ärmlich sah das hier nicht aus.

      Zwei Männer saßen an einem Kunststofftisch über Teller gebeugt, eine ältere Frau hockte auf einem niedrigen Schemel und machte sich mit einer Zange auf einem Grillrost zu schaffen. Daneben ruckte der braun-weiß gefleckte Hund an der Leine und bellte unablässig. Die drei auf der Terrasse drehten die Köpfe, während Wagner schnell durch den Garten näher kam, die Hände schon zum Gruß vor der Brust gefaltet und eine Verbeugung andeutend. So viel hatte er immerhin schon gelernt. Die beiden Männer schauten ihn verwundert an. Die Frau drehte Fleischstücke auf dem Grill und lächelte Wagner an. Wahrscheinlich amüsierte sie sich, weil der sich so linkisch verhielt, und Wagner hoffte, dass sie die Mutter der getrockneten Schweinefleischfasern, und damit auch zwingend Noks Mutter war.

      »Nok?«, fragte er rundheraus. »Nok?«

      Der jüngere der beiden Männer, die sich ähnlich sahen, schaute misstrauisch herüber. Er hielt die Hand mit den Essstäbchen über den Suppenteller, fischte nach ein paar Nudeln und führte sie lauernd an den Mund. Es war Ton. Er sagte etwas zu dem älteren, grauhaarigen Mann, dessen Gesicht sofort strenge Züge annahm. Die Frau am Grill stand auf, streifte die Hände an der Schürze ab und ging eilig ins Haus.

      Wagner wurde unsicher, aber Ton bot Wagner einen Stuhl an und lud ihn zum Essen ein. Er füllte ihm aus einem großen Topf eine Nudelsuppe mit Garnelen in eine Schüssel, dunkel gebratenes Rindfleisch lag auf einem Teller und diverse kleine Schalen mit Chilisaucen standen auf dem Tisch, daneben Broccolistücke in Sojasauce.

      »She is not here«, kam es nach Minuten des Essens und Schweigens. Ton pflückte mit den Essstäbchen geschickt kleine Fleischbällchen aus seiner Schüssel. »We don’t know where she is.«

      Wagner nickte, während er sichtlich Mühe hatte, die Nudeln mit den Essstäbchen zu fassen.

      »But we know who you are.«

      Wagner versuchte es mit den Rindfleischstücken, die waren leichter zu greifen, sehr schmackhaft in der Würze, aber unendlich zäh. Er kaute heftig darauf herum. Ton stellte ihm ein Glas Bier hin, mit Eiswürfeln.

      »This is her father. I’m her brother.«

      »I love Nok«, kam es unvermittelt aus Wagners Mund, der eigentlich noch mit Rindfleisch beschäftigt war. Direkter konnte man kaum sein, oder tumber. Und das in Thailand, wo man erst einmal drumherum redete, und über Gefühle viel später, wenn überhaupt. Aber woher sollte Wagner das wissen? Er war ohnehin mit der Situation überfordert.

      »Yes, but she is not here.«

      Ton wechselte ein paar Worte mit seinem Vater, der daraufhin aufstand und sich mit einem kurzen Nicken verabschiedete. Wagner sah, wie er im Haus eine Treppe aus teurem Teakholz aufwärtsstieg. Der Mann war sicherlich siebzig Jahre alt, aber so, wie er die Stufen nahm, schien er kerngesund.

      Die Mutter der getrockneten


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