Rotzverdammi!. Reiner Hänsch
Heinz-Geörge, Heinz-Wilhelms, Heinz-Herrmänner ... oder eben alles mit Hans. Das geht auch ganz gut und wurde im-mer wieder gerne genommen: Hans-Walter, Hans-Martin, Hans-Peter ... oder Horst. Ja. Horst-Peter zum Beispiel. So heißt der Fotograf aus Krefeld, mit dem ich letzte Woche noch das Wahnsinns-Fotoshooting in New York gemacht habe. Die Amerikaner haben sich scheckig gelacht über seinen Namen. „Horse-Peter“, haben sie gesagt, „the talking horse, hahaha.“ Ich muss wieder grinsen, wenn ich daran denke. War toll mit Horse-Peter in New York. Jetziges Ziel: Schwattmecke.
„Heinz-Nöbbät?“, fragt der grüne Oppa jetzt noch mal und schaut mich lange und prüfend an. Dabei kneift er seine listigen Äugelchen zusammen. Immer wieder scheint er mich abzuscannen und mit Bildern auf seiner internen Festplatte zu vergleichen. Nä, der Vergleich ist nicht gut. So was hat der Oppa noch nicht.
„Ja“, sage ich ergeben. „Ich bin Heinz-Norbert.“
Und dann geht ein Leuchten über sein zerfurchtes Gesicht und er bewundert mich wie eine Sonnenfinsternis, die nur alle sechsundzwanzig Jahre zu sehen ist.
„Wars abba lange nich mehr hier, mein Gunge!“
Mein Junge? Aber es stimmt. Ziemlich lange. Aber woher will er das denn wissen und was geht ihn das überhaupt an?
„Ja, kennze mich denn char nich mehr?“, fragt er jetzt mit Grinsebacke, aufgerissenen Äugelchen und hochgeschobener grüner Agro-Kappe. Er taut so langsam auf, scheint mir. Ist gar nicht mehr so auf Randale aus.
Jetzt fängt es dafür aber nun bei mir an zu rattern. Wer ist dieser alte Mann? Habe ich so jemanden überhaupt schon mal gekannt? Grün, Hühnerscheiße, Dreizack … ich versuche alle Details irgendwie zusammenzubringen, aber ich komme zu keinem verwertbaren Ergebnis.
„Nee“, sage ich daher nur.
„ONKEL WILLI BINNICH!“, brüllt er mich da plötzlich ganz freundlich an. „Brockmanns Willi, Mensch, das gibbs donnich, du dösigen Tuppes!“
Schutzmann bellt und steht wieder auf. Das Haltbarkeitsdatum seines Herrchenbefehls ist wohl endgültig abgelaufen.
Willi Brockmann. Onkel Willi. Ja, die Synapsenmaschine läuft zwar noch aber es macht plötzlich schon ganz eindeutig Klick. Und „dösigen Tuppes“, nett gemeint, natürlich!, hat ja eigentlich nur immer einer zu mir gesagt. Ich muss einfach nur mal so etwa vierzig, fünfzig Jahre zurückdenken. Kein Problem. Der Mann, der hier gerade meinen Zeitplan gehörig durcheinanderbringt, ist sicher siebzig oder achtzig … oder älter? Wie alt wird man denn in so einer Urgegend? Manche Leute in der sibirischen Einöde oder in mongolischen Steppendörfern werden ja schon mal weit über hundert.
Aber das ist er.
„Onkel Willi!“, brülle ich zurück und grinse dabei jetzt ebenfalls übers ganze Gesicht. Ja, sicher. Das ist ja Onkel Willi! Und dann steige ich endlich aus.
„Ja, sachich doch“, meint er achselzuckend. „Hab' euch Kindern doch früher immer ma ’n paar Klümpkes mitchebracht oder ma paar Chroschen für’n Eis checheben, dir un deim Bruder, dem Bernd.“
Ja, Bonbons und Kleingeld. Und das ist also Onkel Willi, der drahtige und eigentlich erstaunlich gut aussehende Mann aus meiner Kindheit. Wenn Vater nicht zuhause war – und er war häufiger unterwegs auf Montage für eine Baufirma –, war Onkel Willi oft bei uns. Meine Mutter mochte ihn wohl ganz gerne. Und er sie wohl auch.
Ich sehe mir den hutzeligen Mann, diesen Gegenwarts-Onkel-Willi, jetzt so aus der Nähe an und stelle fest, dass er sehr viel kleiner geworden ist als ich.
„Dein Vatter hat mich ja dann vom Hoff chegaacht (,gejagt‘ soll das heißen), weil ich ja ma ’n Krösken mit der Hilde hatte, woll ... VOR seiner Zeit, natürlich. Knapp davor. Abba dat hat ihm nich chepasst.“
Noch mal Achselzucken, verschwörerisches Grinsen und Augenkneifen. Er hatte was mit meiner Mutter? Na, guck mal einer an. Das habe ich allerdings nicht gewusst. Und dann sieht er mich wieder an, so ganz verträumt irgendwie, und grinst über beide pausigen Backen, die jetzt sogar eine gewisse Röte zeigen.
„Dattich dich nomma seh’, woll“, sagt er dann und holt ganz tief Luft, um sie dann lange und schnaufend durch die Nase wieder rauszulassen. Aber dann reißt er sich zusammen und sagt: „Weiße, dat mit der Hilde … ach … ich kann da nich zur Beäärdigung heute. Dat is zu traurich für mich. Ich chlaub, da krichich ’n Herzkasper un fall mit ins Chrab, woll.“
Ich nicke nachdenklich, ja, das ist zu riskant, das leuchtet mir ein.
„Getz wird et abba höchste Zeit für dich, mein Gunge, sons kommsse noch zu spät.“
Oh, er hat recht. Ich muss los.
„Mensch, Onkel Willi, ich komm’ auf jeden Fall noch mal bei dir vorbei.“
„Ja, dat wär’ sskhön … abba getz ersma ’ne sskhöne Beärdigung, woll!“
Und dann bellt Schutzmann noch einmal und Onkel Willi gibt mir die Hand. Scheißegal. Ich sehe die Hühner- oder Hundekacke an seinen Fingern, aber ich greife trotzdem beherzt zu. Ist ja schließlich Onkel Willi. Und dann umarme ich ihn auch noch mal. Wenn schon, denn schon. Er bleibt etwas steif dabei und grinst verlegen. Schutzmann kommt vorsichtig näher, beschnüffelt mich und wedelt mit dem Schwanz.
„Heißt der wirklich Schutzmann?“, frage ich Onkel Willi.
„Jou. Sskhutzmann.“
Der Hund spitzt die Ohren.
Dann traue ich mich noch, den braunen Riesen anzufassen, allerdings möglichst ohne seinen Sabber an die Hose zu bekommen, und er erhöht sofort seine Schwanzwedelfrequenz. Guter Hund.
So. Jetzt aber. Scheibe hoch, Gang rein, wohin mit der Kacke …? Fußmatte! Und los. Der Porsche faucht geschmeidig und legt sich schwer ins Zeug. Die Hühner sitzen inzwischen alle auf einer Stange in so einer Art Hühnertreff-Gemeinschaftsbaracke auf dem Hof, die wahrscheinlich Onkel Willi höchstpersönlich gezimmert hat.
Kopfschüttelnd und breit grinsend versuche ich, mich auf die Straße zu konzentrieren, um endlich, endlich anzukommen. Weit kann es jetzt nicht mehr sein.
Onkel Willi. Phh. Das gibt’s doch nicht. Na, der hat sich aber gefreut über mich. Mmh. Und schon fällt mir ein alter, netter Reim ein.
Ein Bauer stand im Sauerland
und dachte drüber nach,
dass Hühner auffe Stange sitzen,
Tauben auf’m Dach.
Inzwischen in sein’ Hühnerstall,
da tobt der Fuchs ganz munter
und holt de Hühner nach und nach
von ihrer Stange runter.
2
Bütterkes mit Sskhinken
„In mümpfundert Mepern mechts abmiegen“, verkündet die freundliche Frauenstimme meines Navigationsgerätes, die ich aber leider kaum verstehen kann. Denn weil so ein Gerät ja eigentlich nicht in so ein altes Auto gehört, habe ich es tief ins Handschuhfach verbannt, damit es auch ja keiner sieht. Bloß nichts Modernes in meinem Klassiker! Alles stilecht. Das muss schon sein. Leider hört man das nützliche Gerät dann aber auch nicht so gut und die schöne Stimme ist viel zu dumpf, so, als würde man der guten Frau beim Sprechen den Mund zuhalten oder vielleicht hat man sie auch enführt und geknebelt.
Da bin ich also wahrscheinlich die ganzen letzten zwei Stunden irgendwie in einer Art Autofahrertrance gewesen, immer den Blick an den sich ständig windenden, hypnotisierenden Mittel-streifen geklebt, bis diese Hühnerscheiße hier mich wieder ins Leben zurückgeholt hat. Aber trotzdem bin ich in diesem Zustand über endlose Sträßchen und Kurven, Hügel, Berge und Täler wohl doch ganz in die Nähe meines gewünschten Zieles gekommen. Jedenfalls sieht es ganz danach aus. Und ich hab sogar jemanden aus meinem früheren Leben getroffen.
Der Himmel sieht nicht so ganz echt aus. Die Sonne scheint zwar noch, aber