Rotzverdammi!. Reiner Hänsch
Für nichts.
„Vorwicht! Gepfwindikeitsbeschwänkung!“
Ich drehe TV-Spots, kreiere Anzeigenkampagnen, entwerfe Visionen für unsere Kunden, treffe Entscheidungen, bin ständig unterwegs, Vielflieger natürlich, ich bin einfach mittendrin in dieser gnadenlosen Reklamemühle, die sich immer dreht. Tag und Nacht. Manchmal hab’ ich echt große Lust, in den berühmten Sack zu hauen. Aber feste. Doch das geht natürlich nicht. Und es darf auch keiner wissen, dass ich das möchte, weil es ja auch keiner verstehen würde.
Zum Beispiel gestern: Was gab es da für ein Riesentheater, als ich sagte, ich sei heute mal nicht da?
„Wie, Sauerland?“, haben sie regelrecht angewidert gefragt. „Wo ist das denn? … Beerdigung? Deine Mutter? Oh, ja ... tut uns leid … jaja ... schon vergessen … natürlich“, und zähneknirschend hat mir Arno Bölkemeyer dann freigegeben.
„Ja, ja“, hat er gesagt, „selbstverständlich“. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass er es eigentlich nicht so richtig eingesehen hat, wo doch soooo wichtige Arbeit auf dem Tisch lag. „Aber sieh bloß zu, dass du übermorgen pünktlich wieder hier bist, Hardy!“
Hardy.
Ja, so heiße ich in der großen Werbewelt. Hardy Fetzer. Nicht Heinz-Nobätt Flottmann. Nä, das geht ja nicht. Eigentlich war der tolle, schnittige Name Hardy Fetzer für eine ganz andere zweifelhafte Karriere gedacht: Sänger. Das erzähle ich Ihnen auch später. Aber für die Werbung passt er doch auch ganz wunderbar. Man hat mir nämlich vor langer Zeit ziemlich schnell klargemacht, dass eine Karriere im Reklamegeschäft als Heinz-Norbert Flottmann quasi ausgeschlossen wäre. Das hat mir auch eingeleuchtet. Kein Mensch hat hier solche Namen. Nicht hier im Zentrum der Großkotz-Werbewelt. Und da habe ich diesen Namen einfach wieder hervorgekramt. Hardy Fetzer. Hört sich doch gar nicht übel an für so’n Reklameheinz auf der Überholspur, was meinen Sie?
Ich heiße und bin jetzt H. F., der Senkrechtstarter der Düsseldorfer Werbeszene, strahlender Stern am Firmament der Kreativen, der Mann, dem die Unternehmen ihre Millionen anvertrauen, um damit Werbekampagnen zu erschaffen, die die Welt erschüttern.
„Naja, nu chib ma nich so furchtbar an, Düsseldorfer!“, sacht dat Sauerland. Und es hat schon wieder recht.
3
Sskhöne Sskheiße!
„Mie mächste Mpfraße minks abmiegen“, mumpft die geknebelte Frau aus dem Handschuhfach.
Nee, Moment, das weiß ich jetzt aber besser, gute Frau. Entschuldigung, aber hier fahre ich mal geradeaus weiter, denn da war doch immer diese kleine Straße hinter den Feldern lang, die dann direkt bei Schwattmecke wieder auf die Hauptstraße führt.
Ich kenne mich doch tatsächlich immer noch ganz gut aus hier und brauche das Navi eigentlich gar nicht mehr. Ich erkenne doch glatt einiges wieder. Hier steht also immer noch die alte, schon immer recht baufällig wirkende Kirche von Schmelbecke und gleich müsste der Abzweig nach Langenei und dann nach Marbecke kommen. Diese Namen! Haben Sie schon jemals von Hundesossen oder Faulebutter gehört? Nein, sicher nicht. Das gibt’s nur hier. Das ist eben das Sauerland.
Das Sträßchen ist leider schlechter, als ich es in Erinnerung habe, aber es geht. Und wenn ich alle Löcher geschickt umfahre, dann setzt der Porsche noch nicht einmal auf.
„Bippe, wendem Sie bei ber mächsten Melegenheit!“
Jaja. Frau, Geknebelte, du meinst es ja gut, aber vertraue mir trotzdem. Ich bin hier zuhause!
Schwattmecke. Gleich bin ich da.
Ich blicke staunend wie ein kleiner Junge auf großer Fahrt, jetzt ganz wach, über geschwungene Hügelketten und Wäldchen, die sich zwischen Weiden, gewundenen Landsträßchen und kleinen, schnuckeligen Örtchen mit Kirchen in der Mitte, so wie es sich für’s Sauerland-Bilderbuch gehört, an die grünen Berge klammern. Jetzt ist die Sonne auch wieder kräftiger, der Frühling probt schon mal ein wenig, aber er ist sich noch nicht sicher. Ich überlege einen Moment, ob ich nicht das Cabriodach öffnen soll, lasse es dann aber doch. Das dauert ewig bei dem alten Modell. Keine Zeit. Und außerdem bin ich ja gleich da. Doch in diesem magischen Moment taucht der Probefrühling alles in ein sagenhaft intensives, tiefleuchtendes, sattes Grün. Und mit den drohenden schwarzen Wolken im Hintergrund sieht alles sogar noch dramatischer aus.
„Bippe wendem Sie metzt!“, sagt die geknebelte Frau und es klingt fast schon verzweifelt, als wolle sich mich unbedingt davon abhalten, in mein Verderben zu fahren. Ich höre gar nicht hin.
Meine Güte, ist das schön hier. Wahnsinn! Total kitschig eigentlich. Das habe ich auch vergessen. Es sieht aus wie in einem alten Heinz-Rühmann-Film. Dieser Heinz fuhr doch auch immer fröhlich singend in polierten Oldtimern auf kleinen, kurvigen Sträßchen durch Deutschland bergauf, bergab. Manchmal mit sei-nem Filmsohn dabei, dem er dann später „Lalelu“ vorgesungen hat. Das hab ich immer gerne gesehen. Sonntagsnachmittags, wenn mal einfach gar nichts los war. Früher. Da war öfter mal gar nichts los. Und heute?
Ich suche einen Sender auf dem natürlich auch stilechten alten Radio aus den Sechzigern, aber das ist nicht ganz einfach. Viele Störungen, schlechter Empfang, viel Gerausche. Was zum einem an dem alten Röhrenradio liegt, zum anderen aber auch an den vielen Hügeln und Bergen, die immer wieder den Empfang stören. Nach einigem Kurbeln bekomme ich den Sender „Sauer-land Radio“ einigermaßen störungsfrei rein. Na gut. Sie spielen nette alte Sachen. Bisschen rockig, ziemlich altmodisch. Aber mir gefällt’s. Gerade läuft Bachmann-Turner Overdrive mit „Roll on down the Highway“ aus dem Jahre 1975, wie der oberschlaue Moderator des Senders stolz verkündet. Na, warum denn nicht? Passt doch.
Kraatz. Jetzt hat der Porsche doch noch leicht aufgesetzt.
„Bippe wendem Sie metzt!“
Wenn ich jetzt nicht auf dem Weg zur Beerdigung meiner Mutter wäre, würde ich diese Fahrt glatt genießen. Eine tolle Tour durch die alte Heimat. Ach, Mutter, ich war, glaube ich, ein schlechter Sohn. Ich hätte mal öfter kommen müssen.
„Ja, ja, da muss ers’ deine Mutter stärben, dat du dich ma’ wieder seh’n lässt, Heinz-Nobbät Flottmann“, sacht dat Sauerland zu mir. Und es hat noch mal recht.
„Mach mpfünmpfig Mepern … mpfmpf … mpfmpf …“
Was hat die Geknebelte gesagt? Kein Wort verstanden. Und jetzt könnte ich sie gerade mal gebrauchen. Rechts oder links? Das weiß ich jetzt doch nicht mehr so genau. War hier nicht immer die alte Schule, oder bin ich jetzt auf den letzten Metern doch noch falsch gefahren? Ich öffne das Handschuhfach, um die arme Frau besser verstehen zu können. Aber sie sagt einfach nichts mehr.
Sprich, Frau! Du hast deine Freiheit wieder. Rechts oder links? Nichts. Sie schweigt eisern.
Ich versuche auf dem Display mit der Karte zu erkennen, wo ich bin und wo ich hin muss, aber das ist nicht so einfach. Mit einer Hand am Lenkrad versuche ich mit der anderen das Navigationsgerät etwas zu drehen, um besser sehen zu können.
Und dann erschrecke ich mich ganz furchtbar und es durchbrizzelt mich wie ein ernstzunehmender Elektroschock am Weidezaun für Ochsen.
Ich höre meine eigene Stimme aus dem Radio. Ja. Ich singe zu krachenden Gitarren und polterndem Schlagzeug: „Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen!“ Das bin ich, das ist unser alter Hit. Der Hit meiner Band von vor … vor … über zwanzig Jahren. Nein, noch viel mehr.
Rotzverdammi! Das hätte ich nicht gedacht, dass der noch gespielt wird. Ich versuche ganz aufgeregt, den Sender etwas schärfer zu stellen, denn ich selbst habe den Song doch auch schon ewig nicht mehr gehört. Ich weiß gar nicht mehr, wie er so klingt. Das ist ja wie früher, denke ich, als wir diesen Song zum allerersten Mal überhaupt im Radio gehört haben. Da sind wir fast ausgeflippt, haben alle Fenster aufgerissen, das Radio bis zum Anschlag aufgedreht und haben mitgegrölt, damit auch bloß jeder mitbekommt, dass es jetzt endlich so weit ist und das Sauerland seine ersten großen Popstars hat.
Und dann passiert es. Irgendwie verliere ich zwischen Navi und Radio