Alternativlos?. Helmut Fischer

Alternativlos? - Helmut Fischer


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nach Kant auf die vor aller Erfahrung gegebenen transzendenten Ideen. Erst in diesen Ideen, mit denen die Vernunft operiert, werden die Phänomene, die wir über unsere Sinne wahrnehmen, und die der Verstand erfasst, zum Ganzen der Erkenntnis zusammengeführt.

      Kant bezweifelt nicht, dass Gott sei. Aber er leitet aus dem Begriff »Gott« ab, dass Gott nicht ein Gegenstand wie die Dinge dieser Welt sein kann. Daraus folgt, dass Gott weder aus menschlichen noch naturwissenschaftlichen Erfahrungen noch durch die Arbeit unseres Verstandes erschlossen werden kann. Alle bis dahin aufgestellten Gottesbeweise entkräftet er so. Gott und Religion seien auch nicht durch Offenbarung in die Welt gekommen. Dennoch erweist sich ihm Gott als ein Postulat der praktischen Vernunft. Das begründet er anthropologisch aus der Bestimmung des Menschen. Der Mensch, sagt er, wird nicht bereits durch Erkenntnis zum Menschen, sondern erst dadurch, |17| dass er die Möglichkeit hat und wahrnimmt, seine höchsten sittlichen Werte auch frei zu verwirklichen. Hatte Kant in seiner »Kritik der reinen Vernunft« (1781) die Religion noch als Begründung für die Moral herangezogen, so reduzierte er später Religion auf Moral, nämlich als die »Erkenntnis aller Pflichten als göttliche Gebote« (Kant 1788, 233). Diese Reduktion der Religion auf Moral hat nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Theologie in vielen Abwandlungen Nachfolger gefunden.

      1.2.3 Die philosophische Reduktion auf Selbstspiegelung (Ludwig Feuerbach)

      Ludwig Feuerbach (1804–1872) trat der Religion nicht von außen entgegen, sondern hatte in Heidelberg und Berlin Religion und Theologie studiert, in Berlin wurde er beeinflusst vom Philosophen Hegel, von dessen idealistischer Gleichsetzung der christlichen Religion mit der wahren Philosophie er sich wieder distanzierte. An Luther und der zeitgenössischen Theologie glaubte er feststellen zu können, dass diese sich längst als Anthropologie verstehe und dass die Gläubigen sich im Gott ihrer Religion nur selbst wie in einem Spiegel ansähen und ihr eigenes menschliches Wesen reflektierten. Gott ist das vergegenständlichte und vergöttlichte Wesen des Menschen als Gattung. Diese These ist bereits in den ersten Sätzen seines Hauptwerkes »Das Wesen des Christentums« (1841) angelegt: »Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen zum Tiere – die Tiere haben keine Religion … Was ist aber dieser wesentliche Unterschied? … das Bewusstsein … Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion.« (Feuerbach, I,35f) So ist der Mensch der Anfang der Religion, deren Mittelpunkt und auch deren Ende. Den Gottesglauben, den er mit Religion identifiziert, sieht Feuerbach im selbstischen Kreisen des Menschen um sich selbst angelegt. Im Gefühl der unentrinnbaren Abhängigkeit von |18| der bewusstlosen Natur macht er das zu seinem anbetungswürdigen Gott, was er selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, nämlich: Herr der Lage. Feuerbach war überzeugt, dass mit dem Mechanismus der religiösen Selbstspiegelung alle Religion als Illusion aufgedeckt und die atheistische Philosophie der Zukunft gefunden sei.

      1.2.4 Die soziologische Reduktion auf ein Machtinstrument der Herrschenden (Karl Marx)

      Karl Marx (1818–1883) war Zeitgenosse Feuerbachs. Sein philosophisches Profil fand er in der Auseinandersetzung mit Hegel und Feuerbach. Von Feuerbach übernahm er den Atheismus und die Einschätzung der Religion als ein illusionäres Machwerk des Menschen. Hatte Feuerbach das Wesen der Religion auf das Wesen des Menschen reduziert, so reduzierte Marx das Wesen des Menschen noch enger auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen es hervorging. In seinen »Thesen über Feuerbach« (1845) stellte er fest: »Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber dieses menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.« (These 6) Das, was man als »religiöses Gemüt« bezeichne, sei selbst ein gesellschaftliches Produkt (Marx 1845, These 7). Marx interessierten weder die Inhalte der Religion noch die Frage nach deren Wesen und Wahrheit, sondern lediglich ihre Wirklichkeit als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Darunter verstand er vor allem die ökonomischen Verhältnisse, da das Bewusstsein der Menschen durch ihre gemeinsame Arbeit als wirtschaftende Wesen gebildet werde. In den Arbeitsverhältnissen, in denen das Produkt der Arbeit zu einer dem Arbeitenden entfremdeten Ware wird, entfremde sich auch der Mensch vom Menschen. Diese ökonomischen Verhältnisse dienten dem Vorteil bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Die Religion, deren Priester mit den Herrschenden zusammenarbeiteten, habe |19| den Zweck, die bestehenden Verhältnisse stabil zu halten, zu legitimieren und zu rechtfertigen. Während Feuerbach noch dachte, dass sich mit der Aufdeckung ihres illusionären Charakters die Religion selbst auflösen werde, forderte Marx mindestens indirekt den Kampf gegen die Religion als »Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist« (Marx 1844, 1,378). Die Religionskritik allein genügte Marx nicht. Seiner Forderung gemäß, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern zu verändern, gelte es, gegen jene Verhältnisse aktiv vorzugehen, die Religion als »Opium des Volkes« hervorbrächten, förderten oder stützten. Der Befreiungskampf des Proletariats werde zu dieser freien Welt führen.

      Auf der Basis der Thesen von Feuerbach und Marx hat Friedrich Engels (1820–1895) den Kampf gegen die Herrschenden als jener fremden und entfremdenden Macht propagiert, mit deren Verschwinden auch die Religion verlöschen sollte. Die kirchen- und religionsfeindliche Marx-Engels-Ideologie ist in Deutschland lange präsent geblieben. Sie wurde zwischen den Weltkriegen von deutschen Sozialisten sehr offensiv praktiziert und bewirkte zwischen 1920 und 1930 eine beachtliche Kirchenaustrittsbewegung. Die deutschen Sozialdemokraten lösten sich erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in ihrem Programm von den religionsfeindlichen Ideologie-Elementen.

      1.2.5 Die naturwissenschaftliche Reduktion auf Messbares

      Als Napoleon den französischen Astronom und Physiker Pierre Laplace (1749–1827) fragte, wo in seinem Weltsystem Gott zu finden sei, antwortete dieser: »Ich habe diese Hypothese nicht gebraucht.« Damit sagte er für einen Naturwissenschaftler seiner Zeit nichts Neues. Er fasste aber auf sehr einfache Weise zusammen, was Astronomen wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Giordano Bruno (1548–1600), Johannes Keppler (1571–1630) und Isaak Newton (1642–1726) und andere Naturforscher seit Jahrhunderten taten, nämlich die Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, |20| nach denen sich die Abläufe im Weltganzen wie im Kleinen berechnen und erklären lassen.

      Zunächst war man noch überzeugt, dass das Anfangsereignis auf einen Impuls Gottes als dem Urgrund der Welt zurückzuführen sei. Aus dieser Vorstellung entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich und England das Konzept des Deismus. Danach hat Gott die Welt samt den Bedingungen und den Gesetzmäßigkeiten ihres Existierens geschaffen, er greift aber nach dem Schöpfungsprozess in den Lauf der Dinge nicht mehr ein. Im Horizont dieses Denkens wird Religion auf jene Inhalte reduziert, die der menschlichen Vernunft einleuchtend sind und die sie aus sich selbst haben kann.

      Das religiöse Relikt des Deismus, nämlich der Schöpfergott, wurde aber bereits im 18. Jahrhundert von der naturwissenschaftlichen Forschung ganz ausgeschieden. Mit der Inthronisation der »Göttin der Vernunft« am 10. November 1793 auf dem Hochaltar von Notre Dame in Paris glaubte man alles Übernatürliche, alle Offenbarungsreligion und alle Metaphysik endgültig abgeschüttelt zu haben. Naturwissenschaft und konsequenter Atheismus schienen identisch zu sein. Diese Gleichung wird in der Popularliteratur bis heute verbreitet.

      Die sich als konsequent atheistisch verstehende Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts fand seine prägnante Stimme in der Person des Jenaer Zoologen Ernst Haeckel, der mit seinem allgemein verständlichen Buch »Die Welträtsel« (1899) nicht nur die Naturwissenschaftler mehrerer Generationen, sondern die Gebildeten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt hat. Im Nachwort zur 10. Auflage bezeichnet er sein Buch als ein »Glaubensbekenntnis der reinen Vernunft« (511). Er singt das Hohelied auf das »Grundgesetz des Weltmechanismus«. Danach »sind die sämtlichen anorganischen Naturwissenschaften rein mechanisch und damit zugleich rein atheistisch geworden« (331). Haeckel war noch fest davon überzeugt, dass die Naturwissenschaft die Gegenstände ihrer Forschung ihrer |21| Natur gemäß erfasst. Er konnte um die Jahrhundertwende noch nicht ahnen, dass Albert Einstein, Max Planck, Max Born, Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und andere Naturwissenschaftler die von Haeckel noch so sicher proklamierten Vorstellungen


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