Smaragdgrau. Severin Perrig
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Der Autor und der Verlag bedanken sich
für die großzügige Unterstützung bei
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2016–2020 unterstützt.
Erste Auflage Herbst 2020
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 by rüffer&rub Sachbuchverlag GmbH, Zürich
[email protected] | www.ruefferundrub.ch
Porträt Perrig: © Felix Ghezzi
Illustrationen: © Laila Defelice
Design E-Book: Clara Cendrós
ISBN Book: 978-3-906304-71-7
ISBN E-Book: 978-3-906304-75-5
Spaziergang zum Nullpunkt der Farbe …
Blick ins kosmische Sternentheater
Stau im Literaturbetrieb
Auf der Bahn der Gealterten
Einlaufen in verqualmte Stätten
Wege zu den Grauberockten
Albtraum vom Schattenland
Träumend durch die unwirtliche Weite schweifen
Zu den Göttinnen, Grisetten und dem Herrn über fünfzig Schatten
Hinaus aus der schalen Zeit
… nach dem Spaziergang
Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Index
Schon ein Kind spürt, wie verhalten Erwachsene die Farbbezeichnung Grau verwenden. Das Glanzlose wirkt nicht allzu glücklich machend, und so wird ein Kind auch äußerst selten in seinem lebhaften Farbspektrum damit spielen. Dieses Buch macht nun genau das Gegenteil davon: Allen nur möglichen und unmöglichen Grautönen wird unvoreingenommen, naiv und unverfroren nachgespürt, ohne dabei im belehrenden Grau in Grau eines geradezu erschlagenden Fachbuchs zu enden. Viel Staunenswertes wird hier eben auch bloß mit dem Augenzwinkern des Causeurs vorgeführt.
Da es im Gegensatz zu den bunten Farben kein grundlegendes Nachschlagewerk zum Grauen gibt, verdankt sich vieles in diesem Buch den eigenen, über Jahrzehnte hinweg gesammelten Lesefrüchten, aber auch unzähligen Recherchen, Gesprächen und persönlichen Erinnerungen. Dabei sind sehr subjektiv geprägte Essays entstanden, die ohne Anspruch auf eine vollständige Systematik die spezielle Farbe untersuchen in Kunst, Mythos, Literatur, Alter, Stadt und Landschaft, Kleidung, Erotik und Utopie, ja gar im Unsäglichen. Entsprechend der Planung eines Ausflugs lässt sich jedes der Kapitel in aller Freiheit auch nur für sich lesen, um dabei den eigenen Farbsinn zu überdenken. Und für allzu schnelle Spaziergänger lässt sich vom einführenden Essay »Grau« der Leseweg zum abschließenden »Grau« im Sinne eines Nachworts abkürzen. Vielleicht spricht das Grau dann bisweilen auch zu den Lesenden von einer neuen, farblich unerwarteten Luftballonpoesie einer zweiten Kinderzeit.
Es war nicht sonderlich gut um uns und die Welt bestellt in diesem Frühling. Eine Pandemie hatte uns festgesetzt, von allzu vielem lange isoliert. Jeder von uns war im »Exil bei sich zu Hause«, wie es in »Die Pest« von Albert Camus heißt. Wir sahen Graues, erlebten oder vernahmen viel Grauenerregendes. Die Atmosphäre um uns war verdüstert, mochte die Frühlingssonne draußen auch noch so grell scheinen. Und diese Zeit des Eingesperrtseins mag bei vielen eine eigentümliche, im Sportzeitalter geradezu altmodisch anmutende Sehnsucht geweckt haben: sich wenigstens als Spaziergänger der unsichtbaren viralen Bedrohung für eine gewisse Zeit zu entziehen und dabei dem gestauten Bewegungsdrang unangestrengt nachgeben zu dürfen; allem Beengenden entfliehen, um den eigenen Natureindrücken und Gedanken besser nachhängen zu können. Es spielte nicht einmal eine große Rolle, ob ein einsamer Bummel an die frische Luft oder ein Gang vom Schreibtisch zum Fenster. Es konnte durchaus ein Lustwandeln sein, das zerstreute, erheiterte und stärkte zugleich. Und wer zuvor noch hinter Büchern gelegen hatte, dem konnte beim Gehen die Lektüre noch einmal äußerst lehrreich aufscheinen. Ein Spaziergang lässt die Mühseligkeit des Alltags vergessen, und ebenso unerwartet fallen einem betörende Erinnerungen und neue Gedanken zu. Kein Mensch kann wohl einen Spaziergang machen, wie der Schriftsteller Jean Paul schreibt, »ohne davon eine Wirkung auf seine Ewigkeit nach Hause zu bringen«.
All das haben Literatur, Philosophie und Wissenschaft schon seit jeher erprobt, wenn sie ihre sprunghaften Intuitionen, das Ausmalen von Ideen oder das Hin und Her der Denkarbeit kultivierten. Ja, man könnte meinen, un sere Gedanken selber spazierten munter herum, bis sie schließlich ihren Weg wieder zu uns nach Hause finden, quasi als »Suppe zum Abendbrot«, wie Sokrates einmal gesagt haben soll. Das ergibt mitunter ganz merkwürdig essayistische Spaziergänge in der Belletristik. Das können elegante Promenaden sein, auf denen sich ziellos und mit Umwegen auf schöne Aussichten hin »spazifizottlen« lässt (Robert Walser). Je nach Charakter oder Beruf sieht jeder für sich dabei eine andere Welt und bisweilen sogar, laut