Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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      Joseph Bernhart

       Die Krisis menschlichen Handelns und der Geschichte

       Rainer Bendel

      „Man sagt, die wichtigsten Fragen seien die vergeblichsten, und meint, man sollte sie deshalb aufgeben. Sagen wir lieber umgekehrt, daß die vergeblichsten Fragen, wie die nach dem Menschen und nach Gott, die wichtigsten sind, was alsdann so zu verstehen wäre, daß es von unendlicher Wichtigkeit ist, nicht aufzuhören zu fragen, so wichtig wie die Unendlichkeit selbst, mit der wir uns der wahren Lebensluft beraubten, wenn sie unser Fragen, gerade unser vergebliches Fragen nicht mehr beschäftigte. Ist dieses Fragenmüssen ins Vergebliche nicht die großartigste, über alles menschenwürdige Antwort auf unser Fragen? Die docta ignorantia ist gelehrte, aber auch belehrte Unwissenheit.“1

      Diese Notwendigkeit, Fragen zu stellen, macht den katholischen Intellektuellen Joseph Bernhart zum Wegweiser in eine neue Zeit, deren Signum das Finden neuer Paradigmen ist, die das Profil schärfen, die aber auch das Wissen um und die Intention zur Integration haben: Der Intellektuelle will sich einbringen in die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Debatten, in die religiösen Suchbewegungen der Zeitgenossen. Er versucht Antworten aus dem reichen Fundus christlicher Traditionen und erschüttert mit seinen Fragen manche gesellschaftlichen und religiösen Fassaden und Zwänge. Er will damit die Menschen hinweisen auf den tieferen, den inneren, den größeren Zusammenhang: das Humanum, die Catholica. Der Intellektuelle erscheint hier als Prophet, als Kritiker, als Mahner, Deuter und Wegweiser in den Suchbewegungen, in den Umbrüchen und Aufbrüchen, in den Katastrophen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts.

      Die ersten Suchbewegungen des jungen Seelsorgers zielten auf Wege aus der ,kulturellen Inferiorität‘ der Katholiken im Bismarckreich; die partielle Ausgrenzung empfand Bernhart schmerzlich. Rückzug in das eigene Milieu, Ghettoisierung waren für ihn keine akzeptable Antwort. Aufbruch und Ausbruch, Anregung und Austausch suchte er in diesem Klima in erster Linie im Umfeld der Zeitschrift „Hochland“. Während seines Studiums der katholischen Theologie von 1900 bis 1904 in München hatte er diese Öffnung und Offenheit weitgehend vermisst. Allein der Rückgriff auf die pluriforme theologische Tradition in seinen dogmenhistorischen Studien und seiner eigenen Dissertation zu unterschiedlichen mystischen Ansätzen in der mittelalterlichen Theologie zeigten ihm dort einen Ausweg aus der neuscholastischen Ghettotheologie. Bedrückende Enge und Bespitzelung im eher intellektuellenfeindlichen Klima empfand er schmerzlich. Eine Antwort sah er allein im Ausbruch aus der kirchenamtlich verordneten Unzeitgemäßheit und damit verbundenen Inferiorität.

      Als Bernhart 1910 auf dem Augsburger Katholikentag, aufgrund seiner Mitarbeit am „Hochland“ von einigen Bischöfen kritisch beäugt, über die „Bildungsaufgaben der Katholiken“ sprach, wollte er Letztere zu einem verstärkten Engagement auf allen Sektoren der Kulturarbeit anstacheln und so aus ihrer damaligen, zumindest von ihnen so wahrgenommenen Ghettosituation herausführen; gleichzeitig warnte er vor polemischer Haltung gegenüber modernen außerkirchlichen Richtungen in Wissenschaft und Kunst. „Das ganze Tagwerk unserer Zeit, stolz in seiner Mühsal, mag nur immer tiefer graben draußen in der Welt und drinnen in der Menschenbrust; wir vertrauen, das Ende kann nur dieses sein: Entdeckung Gottes in der Außenwelt, Allelujasang der Schöpfung, Kreuzauffindung in der Menschenseele.“2 Gegen Verdächtigungen und Verurteilungen des Modernismus und Reformkatholizismus durch die Kirchenleitung vertrat der junge Theologe eine optimistische Position im Hinblick auf einen Dialog der Theologie mit den modernen Wissenschaften und der Kultur; er zeigte keine Berührungsängste, keinen Ghettogeist.

      Mit allen Fasern seines Intellektes und Gemütes mühte Bernhart sich um das Gespräch von Theologie und modernen Wissenschaften, um die Zeitgenossenschaft von Kirche und moderner Kultur, um den Einsatz der Kirche in den drängenden sozialen Fragen und schließlich darum, die Erkenntnisse seiner Forschungen und Reflexionen zur Mystik auch für die Seelsorge fruchtbar zu machen. Der Theologe, „der mit so feiner Witterung auf den Fährten des modernen Denkens geht“, der um die Fähigkeit seiner Kirche zur Zeitgenossenschaft, damit zu einer Frucht bringenden Seelsorge rang, litt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert daran, „daß wir im kirchlichen Leben am Ausgang des Mittelalters stehen“.3 Kein Wunder, dass er als Reformkatholik kritisch beäugt, zuweilen gar in die Nähe der so genannten Modernisten gerückt wurde.

      Wo viele nach 1918 der Sehnsucht nach dem „Sacrum Imperium“ verfielen, dem katholisch geprägten mittelalterlichen Kaiserreich, stand Bernhart im Aufschwung des katholischen Geisteslebens der 20er-Jahre: Münchener „Hochland“-Kreis, Kreis um Ildefons Herwegen und Maria Laach, um Max Scheler in Köln, um Guardini und Burg Rothenfels, Schell-Kreis um Hermann Platz in Bonn.

      Trotzdem erahnt man auch bei Bernhart das Störpotenzial, das mit dem Zusammenbruch der Monarchie kam – noch in den Erinnerungen spürt man sehr deutlich die tiefe Verstörung durch den Umsturz der alten Ordnung.

      Der Intellektuelle zwischen Poesie und Gelehrsamkeit

      „Halb Poet und halb Gelehrter“ lautet Bernharts Fazit einer Szene, die er selbst erzählt, um sich zu charakterisieren: Er erlebt, wie ein Kunde in einer Buchhandlung nach Werken Bernharts sucht, worauf der Buchhändler nachfragt, welchen Bernhart er meine: Es gebe da den Poeten und den Gelehrten. Diese Selbsteinschätzung Bernharts trifft den Kern seines Schaffens und die Problematik seiner Biographie. Sie sagt mehr aus und lässt mehr aufscheinen als Begriffe, vor allem wenn man mitschwingen hört, dass sowohl der Poet wie der Gelehrte sich in ihrer Erkundung und Aussage um die Schöpfung mühen, im Innersten also immer der Theologe spricht, der in aller Wirklichkeit Bewegung und damit Veränderung entdeckt. Wenn nun die Alteration im Betrachter eine einfühlsame Teilnahme erweckt, wie Bernhart unterstreicht, „eine unausweichliche, im ursprünglichen Sinne poetische Affektion“, dann ist jede Wahrnehmung – in unterschiedlicher Intensität und auf verschiedenen Ebenen – eine poetische Empfängnis, dann ist auch der Gelehrte, der erkennt, dass er um so stärkere Bilder und Begriffe braucht, je mehr er sich abgrenzt, im Innersten ein Poet. So sieht sich denn Bernhart auch zeit seines Lebens durch „die Qual einer doppelten Anlage“ vor die Berufswahl gestellt.

      Bernharts Werk ist engstens verwoben mit dem zeitgenössischen Kontext in Theologie, Kirche und Gesellschaft. Nicht nur die sich überschlagenden politischen und geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts bestimmten seinen Denkweg, es ist auch – vielleicht zuerst – seine eigene Biographie. Das zeigt sich bereits an dem Bändchen „Tragik im Weltlauf“, veranlasst durch das Grauen des Ersten Weltkrieges, aber auch durch eine tiefe persönliche Konfliktsituation: Bernhart, am 8. August 1881 im schwäbischen Ursberg geboren, stammt aus einer gläubigen Familie mit einem sehr traditionellen Verständnis von christlicher Frömmigkeit und auf Seiten des Vaters einer Aufgeschlossenheit für geistige Fragen. Das patriarchalische, autoritäre Umfeld im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat ihn beeindruckt und nicht wenig zu seiner Berufsentscheidung beigetragen; es lässt sich eine stark ausgeprägte Pietät Bernharts gegenüber der unterschiedlich strukturierten Religiosität seiner Eltern erkennen. 1904 zum Priester geweiht, verbrachte er seine Kaplansjahre zum großen Teil in bayerisch-schwäbischen Dorfpfarreien, damals bereits mit seinem Dissertationsthema „Bernhardische und Eckhartische Mystik in ihren Beziehungen und Gegensätzen“ beschäftigt. Er suchte den anspruchsvollen, anregenden Ausgleich zum eher körperlich denn geistig anstrengenden Seelsorgsdienst auf dem Lande, dessen Eintönigkeit und Einsamkeit er in „Der Kaplan“ später so trefflich skizziert hat. Aus der Begegnung mit der Provinzialität, mit der bedrängenden Enge der ländlichen Seelsorgearbeit wuchs ein Roman zum Meisterwerk.

      Seit 1904 arbeitete er im „Hochland“ mit; nach seiner Eheschließung stellte er die Mitarbeit ein, weil er das „Hochland“ nicht mit den Schwierigkeiten des verheirateten Priesters belasten wollte. Erst seit 1934 erschienen dann im „Hochland“ wieder Beiträge aus Bernharts Feder. 1907 wurde er Sekretär der Gesellschaft für christliche Kunst in München. In dieser Funktion hielt er an Pfingsten 1908 einen Vortrag vor dem Verein katholischer deutscher Lehrerinnen; bei dieser Gelegenheit


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