Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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verdanken hat.15

      Im Folgenden geht es mir darum, anhand von Wusts Hauptwerk „Ungewißheit und Wagnis“ die Konsequenzen seiner anthropologischen Kernaussage, dass nämlich der Mensch wesentlich als „animal insecurum“, als ungesichertes Lebewesen zu begreifen ist, für die Dimension des religiösen Glaubens herauszuarbeiten.

      Insecuritas als Existential

      „Der ungeborgene Mensch gibt dem Zeitalter die Physiognomie, sei es in der Auflehnung des Trotzes, sei es in der Verzweiflung des Nihilismus, sei es in der Hilflosigkeit der vielen Unerfüllten, sei es im irrenden Suchen, das endlichen Halt verschmäht und harmonisierenden Lockungen widersteht.“ Diese Worte stammen nicht etwa von Peter Wust, sondern von Karl Jaspers. Sie finden sich in seiner Schrift „Die geistige Situation der Zeit“16 von 1931. „Der ungeborgene Mensch gibt dem Zeitalter die Physiognomie“: Das ist ein Satz, der auf unsere heutige Situation mehr denn je zutrifft. Peter Wust kannte die Schriften von Karl Jaspers, und er kannte sicherlich auch dieses Wort. Was hier über den „ungeborgenen Menschen“ in den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gesagt wird, arbeitet Wust als ein Existential menschlichen Seins heraus, ja als das Existential des Menschseins. Die Ungeborgenheit, die Ungesichertheit, lateinisch: die Insecuritas, ist für Wust nicht nur ein Kennzeichen des Menschen im 20. Jahrhundert, sondern ein Kennzeichen des Menschseins überhaupt. Die conditio humana ist wesentlich geprägt durch diesen Begriff der Insecuritas; der Mensch ist in diesem Sinne nach Wust das „animal insecurum“ (UW 40 f.), das „ungesicherte Lebewesen“. Wust will damit keineswegs die klassische Definition des Menschen verabschieden, die ihn als „animal rationale“, als „vernünftiges Lebewesen“, bestimmt, aber er will den Aspekt der Ungesichertheit herausheben, der mit der Geistigkeit des Menschen immer schon mitgegeben ist.

      In seiner anthropologischen Konzeption versteht es Wust, modernes Denken mit Positionen der klassischen Metaphysik zu verknüpfen. Denn er stellt den Begriff der Ungeborgenheit oder Ungesichertheit in einen größeren Rahmen, nämlich in den von Thomas von Aquin im Anschluss an neuplatonische Auffassungen formulierten Gedanken der Horizontstellung des Menschen.17 Der Mensch lebt hiernach in zwei Welten: in der Welt des Göttlichen und in der Welt des Tierischen; er hat sowohl teil am „mundus sensibilis“ als auch am „mundus intelligibilis“. In Wusts Worten ausgedrückt: Er hat sowohl am „Bios“ als auch am „Logos“ teil. Mit dieser Horizontstellung ist gleichzeitig eine tragische Dialektik verbunden: Der Mensch gehört beiden Bereichen zu, ist aber in keinem der beiden Bereiche wahrhaft ansässig (vgl. UW 46 f.). D. h., der Zustand einer absolut unanfechtbaren Gesichertheit ist für den Menschen prinzipiell nicht zu erreichen.

      Diese Gedanken weiß Wust mit den Einsichten der modernen philosophischen Anthropologie zu verbinden, wie sie ihm bei Max Scheler18 begegnet sind: Der Mensch ist hiernach nicht mehr umweltgebunden wie das Tier, sondern weltoffen. Wust spricht in diesem Zusammenhang von der „Indefinitheit“ der menschlichen Natur (vgl. UW 42 u. ö.). Diese Weltoffenheit des Menschen ist jedoch zweideutig; denn sie bedeutet zum einen eine Erhebung über das Schicksalhafte hinaus in den Raum der Freiheit, zum anderen ist damit aber immer auch ein Risiko und Wagnis verbunden. Der Mensch ist, wie Friedrich Nietzsche es so treffend formuliert hat, „das noch nicht festgestellte Tier“.19

      Diese Entscheidungs- und Wagnissituation wird nach Wust um so tiefer und offensichtlicher, je weiter wir vordringen zum eigentlich Menschlichen, d. h. in den Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Welt und in den Fragen nach unserem Heil, also: in Philosophie und Religion. Die Situation der Ungesichertheit spielt somit nicht nur im vitalen Bereich eine entscheidende Rolle, sondern sie verschärft sich geradezu in den Bereichen der geistigen und übernatürlichen Existenz des Menschen. In keinem dieser Bereiche kommt der Mensch zu einer letzten Gewissheit.

      Dialektik von Geborgenheit und Ungeborgenheit

      Wusts Hauptwerk „Ungewißheit und Wagnis“ setzt – wie schon eingangs angedeutet – mit der neutestamentlichen Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32) ein. Hiernach verlässt ja bekanntlich der jüngere der beiden ungleichen Brüder, allen Warnungen des weise vorsorgenden Vaters zum Trotz, die Gesichertheit des väterlichen Hauses und stürzt sich in das Wagnis einer unbekannten Welt. Wust deutet diese Parabel als ein Bild des Menschseins als solchen. Hiernach verlangt das Leben in seiner Sinnganzheit die unaufhebbare Dialektik von Geborgenheit und Ungeborgenheit. Es ist nicht so, als gäbe es nur die beiden Seiten der Geborgenheit oder der Ungeborgenheit. Sondern diese beiden Seiten sind dialektisch ineinander verschlungen: Es gibt eine Ungeborgenheit in der Geborgenheit, und es gibt eine Geborgenheit in der Ungeborgenheit. Wust führt dazu aus:

      „Wohl hat zunächst die Gesichertheit des Lebens ihr Recht und ihren ganz tiefen Sinn. Und man wird es selbstverständlich finden, daß der Mensch auf sie hinstrebt und sich gegen die Ungesichertheit des Lebens zu schützen sucht. Das Leben selbst aber, wenn man es auf sein Wesen hin näher untersucht, scheint viel eher mit der Ungesichertheit insgeheim im Bunde zu sein als mit der Gesichertheit, und zwar nicht etwa, wie der Mensch aus seiner Alltagssicht so leicht anzunehmen geneigt ist, weil es ihm aus einer ihm eingeborenen Feindseligkeit heraus sein Glück mißgönnen würde, sondern vielleicht gerade deshalb, weil erst die Ungesichertheit zu jener besonderen Art von Gesichertheit führt, die den Menschen als Menschen über sich selbst hinausdrängt und ihn damit erst ganz zu sich emporhebt.“ (UW 30 f.)

      Wust sieht in der Ungesichertheit also immer auch einen positiven Sinn. Es geht ihm dabei in keiner Weise darum, jeglicher Tradition und allem Ordnungsstreben des Menschen den Kampf anzusagen „und gewissermaßen das Prinzip einer Revolution in Permanenz auf seine Fahne [zu] schreiben“ (UW 38). Aber nach Wust steht „das Sekuritätsstreben der Menschen (...) so sehr im Vordergrunde aller Lebenserfahrung, daß es geradezu einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, um die positive Bedeutung der Ungesichertheit als ein ernstes metaphysisches Problem des Lebens in den Blickpunkt der Alltagsmenschen zu bringen“ (UW 37 f.). Wust will die „Totalität des Lebens“ (UW 31) sichtbar machen. Das ist ihm zufolge aber nur möglich, wenn die ganze Dialektik des Lebens nach seinem Wechselverhältnis von Gesichertheit und Ungesichertheit im Auge behalten wird.

      Die Daseinssituation des Menschen unterscheidet sich nach Wust nicht nur gradhaft von der Daseinssituation des Tieres, sondern wesenhaft. Es liegt hier ein „seinsmäßiger ,hiatus‘“ (UW 40) vor. Was meint er damit? „Das Tier ist von Natur ein ,animal securum‘, ein Wesen der Seinsbehütetheit. Demgegenüber ist der Mensch ebenso naturhaft das ,animal insecurum‘ schlechthin, das Wesen, dem die Ungesichertheit von Hause aus in seine ganze Struktur mithineingegeben ist.“ (Ebd.) Diese Insecuritas humana kann man von zwei Seiten aus betrachten, sowohl von der objektiven als auch von der subjektiven Seite her. „Objektiv betrachtet, ist der Mensch ein Wesen der Ungesichertheit. Dem entspricht auf der subjektiven Seite seine Ungewißheit in den entscheidendsten Fragen seines Daseins.“ (Ebd.) Aber diese Ungewissheit gibt dem Menschen auch wiederum den nötigen Spielraum für seinen Selbsteinsatz, für das Wagnis, also für jene Form der Freiheit, die nur ihm eigen ist.

      Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch als „Sinnenwesen und Geistwesen“ „gewissermaßen in eine paradoxe Situation versetzt“ (UW 45): Er ist nämlich von seinem Wesen her „heimatlos“ – wie Wust sagt. Und in dieser Heimatlosigkeit ist der Wesenskern seiner Insecuritas zu suchen. Wust beschreibt diese Heimatlosigkeit so:

      „Es ist dem Menschen zugemutet, dauernd in einem dialektischen Schwebezustand zu existieren, indem sein Wesen stets nach zwei Seiten hin ponderiert, ohne daß jemals ein Gleichgewicht hergestellt werden kann. Zwischen (...) Bios und Logos ist der Mensch so eingespannt, daß er sowohl beiden Bereichen zugehört als auch in keinem der beiden Bereiche wahrhaft ansässig ist. Ein ewiger, unschlichtbarer Widerstreit in ihm zwingt ihn dazu, seine Existenz von Augenblick zu Augenblick im Kampfe mit sich selbst zu erringen, und niemals kann er hoffen, diesen Kampf endgültig durchgekämpft zu haben. Hier erst kommt der tiefere Sinn einer Indefinitheit zum Vorschein, die selig-unselige Unendlichkeitsbestimmtheit seines Wesens.“ (UW 45 f.)

      Diese Heimatlosigkeit sieht Wust durch


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