Patrick Hohmann - Der Bio-Baumwollpionier. Nicole Müller
sind Arbeitsschritte, die andernorts erfolgen, weit weg von dort, wo die Baumwolle das Licht der Sonne erblickt hat. Nicht selten wird der Rohstoff zur Weiterverarbeitung sogar in ein anderes Land gebracht. Die Baumwollindustrie ist eine nomadisierende Industrie, die der Spur des günstigsten Preises folgt: Wenn es günstiger ist, die tansanische Baumwolle in Sambia zu verspinnen, dann schafft man sie eben nach Sambia, auch wenn es in Tansania Spinnereien gibt, die die Arbeit übernehmen könnten.
Die Abnehmer von Baumwollprodukten agieren global. Die Anbieter dagegen hängen von lokalen Rahmenbedingungen ab. So ist es durchaus möglich, dass eine Regierung im Land A den Mindestpreis für Baumwolle anhebt mit dem Ziel, Mehreinnahmen für die einheimischen Bauern zu generieren. Wenn aber die globalen Abnehmer den gleichen Typ Baumwolle in Land B günstiger bekommen können, dann verdienen die Bauern in Land A nicht nur nicht mehr, sondern gar nichts mehr. Das System ist fragil und vertrackt. Auch die Tatsache, dass der Baumwollpreis in Dollar notiert, setzt die Bauern großen Risiken aus. Die Ernte kann gut sein, die Qualität auch, aber wenn der Dollar eine Abwertung erfährt, dann erhalten die Bauern real weniger Geld in ihrer Landeswährung. Zu den systemischen Risiken gesellt sich die Abhängigkeit vom Wetter, ein Risiko, das sich in Zeiten des Klimawandels laufend verschärft.
»Der Konsument trägt Baumwolle oder kauft Karotten und weiß gar nicht, was eigentlich dahintersteht«, sagt Patrick Hohmann. Will man es etwas genauer wissen, so ist man rasch mit unangenehmen Tatsachen konfrontiert. Rund 200 Millionen Menschen leben direkt oder indirekt von der Baumwolle, von ihrem Anbau oder den nachgelagerten Arbeitsprozessen. Großmächte im Anbau von Baumwolle sind Indien, China und die USA. Platz fünf, sechs und sieben belegen Brasilien, Pakistan und die Türkei. Von den jährlich rund 80 Millionen Tonnen geernteter Baumwolle ist nur ein verschwindend kleiner Teil Bio-Baumwolle, man schätzt ihren Anteil auf 1%. Baumwolle in der Art, wie sie heute üblicherweise angebaut wird, ist ein Desaster für Mensch und Umwelt. Der Aralsee zum Beispiel, der zu Usbekistan und Kasachstan gehört, war vor 30 Jahren noch so groß wie ganz Bayern. Heute ist der einstige See praktisch trockengelegt, geblieben ist eine giftige, staubige Salzwüste, eine Folge der beim Baumwollanbau in Usbekistan verwendeten Pestizide. Mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem haben die sowjetischen Ingenieure den 30 Meter tiefen See angezapft, denn es braucht zwischen 10000 und 20000 Liter Wasser für 1 Kilogramm Baumwolle. Wo natürliche Niederschläge fehlen, kommt es zu massiven Umweltschäden, die das Weltklima verschlechtern und uns alle angehen. Wasser ist nicht das einzige Problem. Auch die Beschädigung der »grünen Lunge« gehört zu den Folgen des industriell angelegten Baumwollanbaus. So werden in Brasilien Jahr um Jahr Tausende Hektar Urwald abgeholzt und gerodet, um Baumwolle zu pflanzen.
Es gehört zu den bitteren Ironien der Baumwollbranche, dass die Umweltsünden Hand in Hand gehen mit einer zunehmenden Verarmung der Menschen, die die Baumwolle anbauen. So muss China, der größte Baumwollproduzent der Welt, immer wieder gigantische Mengen an Baumwolle aufkaufen und horten, um die eigenen Produzenten per Staatsintervention zu schützen. Die Baumwolle wird dem Markt entzogen und künstlich verknappt, um den Preis stabil zu halten. Auch die USA verzerren mit ihrer Subventionspolitik den Markt. Bis 2014 erhielten die amerikanischen Baumwoll-Farmer mehr Subventionen, als der Verkauf des Rohstoffes einbrachte. Als Brasilien die USA wegen dieser Handelsverstöße einklagte, mussten die Vereinigten Staaten von Amerika 300 Millionen Dollar Buße bezahlen und die Subventionen an ihre Farmer in Texas, Georgia, Arkansas, Mississippi und Kalifornien streichen. Wirklich verändert hat sich aber nichts. Die Baumwoll-Farmer werden weiterhin staatlich unterstützt mit Defizitgarantien, mit Entschädigungen, die als Unterstützung für Hurrikan-Opfer getarnt sind, und mit massiv vergünstigten Ernteausfall-Versicherungen. Dabei ist es nicht etwa so, dass die amerikanischen Baumwoll-Bauern besonders begütert wären. Viele von ihnen kommen nur mit einem Zweitverdienst über die Runden, mit einem Job irgendwo in der Stadt. Sie sind ebenfalls Opfer eines Marktes, bei dem es zu keiner echten Preisbildung mehr kommt. Manche von ihnen würden gern aus der Baumwolle aussteigen, haben sich aber mit einem Maschinenpark verschuldet, der nur für die Baumwollernte zu gebrauchen ist. Eine Maschine, die die Baumwolle mechanisch erntet, kostet schnell einmal 750000 Dollar – zugleich erlauben Monokulturen wenig Flexibilität. Hinzu kommt, dass die Baumwoll-Farmer Angestellte auf der Gehaltsliste stehen haben, Menschen, für die sie sich verantwortlich fühlen. Abgesehen davon muss es eine deprimierende Erfahrung sein, ständig am Tropf der Steuerzahler zu hängen und ein Produkt herzustellen, das keinen wirklichen Gewinn abwirft.
Es gibt aktuell keine genauen Zahlen, wie viel der insgesamt angebauten Menge an Baumwolle transgen ist. Je nach Quelle wird ihr Anteil mit 64–81% beziffert.2 Zwischen 51 Millionen Tonnen und 65 Millionen Tonnen Rohbaumwolle jährlich sind folglich transgen. Das heißt, dass das Erbmaterial der Baumwollpflanze mit einem Protein manipuliert wurde, das die klassischen Baumwoll-Schädlinge tötet bzw. töten sollte. Falls Sie nicht ganz bewusst ein Kleidungsstück aus Bio-Baumwolle gekauft haben, dann tragen Sie gerade jetzt, wenn Sie diese Zeilen lesen, ein Kleidungsstück aus genmanipulierter Baumwolle. Die Erfahrung zeigt, dass in den ersten drei, vier Jahren die Ernte von genmanipulierten, hybriden Pflanzen tatsächlich üppiger ausfällt und der Verbrauch von Pestiziden zurückgeht. Nach dieser Frist jedoch entwickeln die Schädlinge Resistenzen, und das bedeutet schärfere Pestizide in noch höheren Dosen, noch mehr Genmanipulation, erneut aggressivere Pestizide etc. Genmanipuliertes Saatgut ist außerdem patentiert. Nicht zuletzt ist der Samen, der aus einer genmanipulierten Pflanze entsteht, nur eingeschränkt keimfähig. Die Idee dahinter: Der Bauer muss jedes Jahr frisches Saatgut kaufen und spült so den Großkonzernen Geld in die Kasse. Swissaid schätzt, dass drei Agrarkonzerne inzwischen rund zwei Drittel des gesamten Baumwoll-Saatgutes besitzen. Das ist nicht nur eine gefährliche Einschränkung der Bio-Diversität, sondern eine existenzielle Bedrohung für die Bauern.
»Näherinnen sind unterbezahlt«, kommentiert Patrick Hohmann, »aber die Landwirtschaft ist noch unterbezahlter.« Die Bauern in armen Ländern haben keine Ersparnisse. Deshalb kaufen sie Saatgut und Pestizide auf Pump. In der Hoffnung natürlich, dass der Verkauf der Ernte genügend Geld einbringt, um die Ausgaben zu decken. Wenn etwas dazwischenkommt – ein Schädlingsbefall, schlechtes Wetter, Wasserknappheit –, schnappt die Schuldenfalle zu. Jedes Jahr berichten indische Tageszeitungen wie »Times of India« oder »The Hindu« von Suizidserien der Bauern in ländlichen Gebieten. Obwohl der Ton der Artikel durchaus mitfühlend ist, wird selten über die effektiven Hintergründe berichtet.
Ein einzelner Mensch kann gleichzeitig viel und wenig ausrichten. Wenn Patrick Hohmann irgendwo auf dem Perron eines Bahnhofes steht, ist er ein Passant unter Passanten. Ein großer, breitschultriger, freundlich wirkender Mann in Windjacke und Chinos, den Rucksack über die eine Schulter geworfen. Er hat sein halbes Berufsleben dafür eingesetzt, das Los der Bauern zu verbessern und Baumwolle mit der Natur und nicht gegen die Natur zu produzieren. Trotzdem wird das Geschäftsmodell, das er gemeinsam mit seinen Partnern in jahrelanger Arbeit entwickelt hat, immer wieder herausgefordert und angepasst. Die Produktionsabläufe der bioRe® Sustainable Cotton & Textiles sind enormen Fliehkräften und der Übermacht einer Industrie ausgesetzt, bei der die Rendite an erster Stelle steht. Dem Sog der Maximierung zu widerstehen erfordert menschliche Wärme, Mut und sehr viel Erfindungsgabe von der Art, wie sie David zum Sieg gegen Goliath verholfen hat.
Patrick Hohmann hat Verantwortung übernommen und diese Verantwortung im Bereich der Baumwolle konkretisiert. Das ist zweifellos beeindruckend, aber nur ein Teil dessen, was ihn als Zeitgenossen so inspirierend macht. Patrick Hohmann ist ein Wirtschaftskünstler. Wenn man sein Lebenswerk verfolgt, dann verblüfft vor allem die Mischung aus nüchterner Analyse, Kreativität und Rechenkünsten, knochentrockenem technischen Wissen und Experimentierlust. Er ist Buchhalter und Philosoph in einer Person. Die absolute Akzeptanz von Schwierigkeiten hat ihn als Unternehmer erfolgreich gemacht. »Es steht nirgendwo geschrieben, dass das Leben einfach sein soll. Das Leben ist immer ein bisschen Glück und ein bisschen Unglück«, so der Unternehmer. Patrick Hohmann weiß, dass das, was er erreicht hat, fragil und beweglich bleibt. In diesem Sinne besteht die eigentliche Inspiration dieses Pioniers in einer Geisteshaltung, die mit agilen, leicht beweglichen Konstellationen umzugehen versteht und angemessen auf sie reagieren kann. Kreativ und mit feinem Gefühl für die Bedürfnisse von Mensch, Natur und Tieren.
Patrick Hohmann und sein Team weigern sich, sich entmutigen zu lassen. Einem weitgehend gesichtslosen System