Breiter bis wolkig. Bernd Neuschl

Breiter bis wolkig - Bernd Neuschl


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Show vom Sofa herab mit kantigen Zwischenrufen kommentieren können.

      „Wie wollt ihr diese sechzehn Gruppen nennen?“, möchte ich mit gespielter Neugierde wissen.

      Esther ignoriert mich.

      Holger trinkt einen Schluck aus der Bierflasche, grübelt kurz, ehe sich sein Gesicht erhellt. „Die Gruppen heißen bestimmt Schmetterlinge 1–8, Bären 1–7 und die Krippenkinder Teppichratten“, doziert er. „Oder werden, didaktisch sinnvoll, die wissenschaftlich korrekten lateinischen Namen gewählt, wie Smerinthus ocellata oder Ursus arctos?“

      Wir lachen und prosten uns zu. Esther zeigt uns einen Vogel. Mit dem Mittelfinger.

      Das scheint Holger zu motivieren. Er fabuliert weiter. „Es wäre doch kreativ, die Kids nicht in drollige Tiergruppen einzuteilen, sondern nach den Stellungen, mit denen sie neun Monate vorher gezeugt worden waren. Da gäbe es dann die frommen Missionare, die hechelnden Hunde, die anschmiegsamen Löffelchen, die peitschenden Reiter oder die alten 69er.“ Nur kurz hält er inne, um schließlich sinnlos weiter zu sinnieren. „Man könnte die Gruppen aus pädagogischen Gründen auch grundehrlich danach einteilen, wie sich die Kinder primär verhalten. Dann gäbe es die Krippengruppen Heulsusen, Hosenscheißer, Deppen, Volldeppen, ab drei Jahren die Nervensägen, Arschlöcher, Psychopathen und die Vorschulgruppen heißen Terroristen, Tyrannen, Blutsauger und Dämonen.“

      Holger prostet sich selbst zufrieden zu, doch ehe er sich einen Schluck gönnen kann, hat ihm Esther die Flasche aus der Hand gerissen und zeigt mit strenger Miene in Richtung Ausgang.

      „Raus hier. Auf deine erbaulichen Kommentare kann ich verzichten.“

      Schuldbewusst zieht Holger seinen Kopf ein und dann von dannen.

      Danach bin ich an der Reihe. „Ben, bis ich vom Friseur wieder da bin, könntest du, anstatt hier faul herumzusitzen, bitte wenigstens Wohnzimmer und Schlafzimmer durchsaugen? Ich schaffe das alles sonst nicht.“

      „Geht klar“, nicke ich beschwichtigend und warte aber, bis die Haustür ins Schloss fällt.

      Ich hole den Staubsauger und ärgere mich bereits beim ersten Aufheulen des Motors über sein störrisches Eigenleben. Wie ein sturer Esel verweigert er mir die Gefolgschaft, verheddert sich im eigenen Kabel und kippt beim kleinsten Ruck wie eine schwere Schildkröte auf seinen Rückenpanzer aus Plastik.

      Hinter der Fußbodenleiste, direkt neben der Balkontür, schrecke ich ein Heer von Ameisen auf. Ich habe keine Ahnung, wie die Königin dieser hilfreichen Insekten den Beschluss fassen konnte, ausgerechnet hier, zwischen Balkontür und Bodenleiste, eine verdeckte, aber nicht minder frequentierte Ameisenstraße ganz ohne Maut anzulegen. Ohne groß nachzudenken, ernenne ich den Staubsauger zum Ameisenbären. Ich bin kein Tierquäler. Im Fernsehen haben sie gezeigt, dass Insekten den flinken Einsaugvorgang in den Staubsaugerbeutel durch das Rohr nicht überleben. Ein schneller, schmerzloser Tod. Besser als jede Chemiekeule. Esther wird stolz auf mich sein. Ich komme mir vor wie ein Kammerjäger, nein, ein Ghostbuster, der winzige Plagegeister vernichtet.

      Der Staubsauger und ich kommen schließlich im Schlafzimmer an. Dort stoße ich beim Saugen an den Kleiderständer, wo Esther ihr Outfit für das Bewerbungsgespräch platziert hat. Die Strumpfhose gleitet sanft zu Boden. Es ist eine sehr teure Strumpfhose. Bekommt keine Laufmaschen. Glänzend und doch matt, nicht kratzend, aber sehr dehnbar. Ich weiß das so genau, weil ich sie heimlich anprobiert habe, als Esther heute Morgen unter der Dusche war.

      Nun liegt das gute Stück auf dem Boden. Ich bin zu faul, mich zu bücken und schiele auf das Staubsaugerrohr, das wie eine glänzende Lanze in meiner Hand liegt. Bestimmt kann ich die Strumpfhose elegant ansaugen und mit dem Saugstab ritterlich hochheben. Noch während ich mich für diese grandiose Bergungsidee innerlich feiere und den Saugstab einem Schrankenwärter gleich langsam absenke, verschwindet die Strumpfhose mit einem flinken Flupp im Inneren des Saugrüssels. Ich hoffe inständig, dass sie sich innerhalb der ersten Schlauchbiegung verfängt und ich sie so einfach herausfischen kann, aber der Sauger tönt hell ohne hörbaren Widerstand auf gleicher Frequenz weiter. Mist.

      Ich trete den Staubsauger genervt aus und öffne den Behälter, um den Beutel griffsicher zu packen. Um mein Gesicht herum verpufft eine Staubwolke. Wusste gar nicht, dass frisch gepresster Staub nicht nur feucht ist, sondern dieselbe Konsistenz und Farbe wie eine graue Seidenstrumpfhose hat. Mit spitzen Fingern durchforste ich die enge Beutelöffnung und werde nach vielen Fehlgriffen endlich fündig: Wie graues Gedärm hängt die Strumpfhose traurig in meiner Hand. Staubdurchtränkt, aber nicht zerrissen. Immerhin.

      Da ich keine Schuhbürste zum Reinigen finde, nehme ich eine Drahtbürste zur Hand. Halt, so einfach bekomme ich den Staub nun auch wieder nicht weg. Ich beschließe, die Strumpfhose mit der einen Hand festzuhalten, um sie mit der anderen Hand sozusagen sauber zu saugen. Ich schalte den Sauger ein. Er saugt und zieht die Strumpfhose in das Rohr. Da ich sie festhalte, wird sie hörbar flott im Turbowindkanal sauber, denn es klingt, wie wenn der Zahnarzt Spucke absaugt. Plötzlich klingelt es an der Haustür. Mit einem noch flinkeren Flupp verschwindet die Strumpfhose schon wieder im Inneren. Ich kapituliere.

      Genervt öffne ich die Tür. Immerhin kein Staubsaugervertreter, sondern mein Nachbar Rudi. Rudi stammt aus Österreich und ist ein Plagegeist vor dem Herrn.

      „Servas Ben. Darf ich dich kurz stören?“

      „Das tust du bereits“, erwidere ich, doch Rudi drückt sich bereits in den Hausflur.

      „Hör mal Ben, ich habe ein sensationelles Angebot für dich. Wir haben jetzt Ende Oktober, das heißt, wir stehen mitten im letzten Quartal.“

      „Na und? Du weißt, dass ich nicht spekuliere, höchstens auf Spekulatius und den gibt es bereits seit Ende August.“

      „Lass mich ausreden. Mein Schwager Axel hat doch im Sommer diesen Edeka in Linz übernommen. Und jetzt stell’ dir vor, er hat Ende September zu viele Artikel bestellt, die im neuen Quartal aus dem Sortiment müssen.“

      „Aha, zu viel bestellt. So wie bei Loriot? Radiergummis und Senf?“

      „Na. Es geht um diverse Hygieneartikel. Toilettenpapier, Desinfektionsmittel. Insgesamt acht Europaletten.“

      „Und was sollen Esther und ich damit? Unsere Bude tapezieren? Als Mumien verkleidet mit dem Cha-Cha-Charmin-Klopapier-Bären zusammen alle Straßen von Köln nach dem Karneval mit Sagrotan aus dem Kärcher einer kräftigen Grundreinigung unterziehen?“

      „Nicht ganz, aber mein Schwager muss das Zeug schleunigst loswerden, weil es Lagerplatz wegnimmt. Ben, bitte, er verscherbelt 80 Zehnerpackungen Klopapier um acht Euro, den Liter Desinfektionsmittel um einen Euro.“

      „Also, ich sage mal so. Wir haben jetzt Ende 2019. Sollte es 2020 irgendwann einen Engpass an Klopapier und Desinfektionsmittel geben, würde ich sofort zuschlagen. Aber wie selbst du als Österreicher hören kannst, habe ich eben zwei Mal den Konjunktiv verwendet. Also: Nein. Und jetzt schleich dich.“

      Freundlich, aber bestimmt schiebe ich Rudi aus dem Haus raus und gehe zurück ins Schafzimmer.

      Dort fische ich die Strumpfhose erneut erfolgreich aus dem Staubbeutel heraus, klopfe sie nur ab und unterziehe sie mit dem Föhn einer umgekehrten Behandlung. Nicht saugen, blasen heißt jetzt das Motto. Die Strumpfhose jedenfalls ist danach ohne Makel und Esther merkt nichts.

      April 2020. Zwei Lektionen habe ich gelernt.

      Erstens: Wenn dir jemand an der Haustüre skurril wirkende Geschäfte vorschlägt, dann sei mutig und investiere. Ich stehe gerade im fünften Supermarkt und suche händeringend nach Toilettenpapier und Desinfektionsmittel. Rudi, so habe ich gehört, hat mit seinem Schwager von der exorbitanten Gewinnspanne durch die Hamsterkäufe in Italien eine Nudelfabrik gekauft.

      Das Zweite, was ich lernen durfte: Ameisen überleben Staubsauger. Erst als Esther die Strumpfhose angezogen hatte, lösten sich nach und nach ihre kräftigen Kiefer aus der Schockstarre, mit der sie sich im Seidenstoff verhakt hatten, um mit ihren scharfen Kauwerkzeugen alsdann einen Generalangriff auf Esthers Beine zu starten.

      Das


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