Die Anarchisten. John Henry Mackay

Die Anarchisten - John Henry Mackay


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      John Henry Mackay

      Die Anarchisten

      Kulturgemälde aus dem Ende des XIX. Jahrhunderts

      Mit einem einleitenden Essay

      .

      Impressum

      ISBN 978-3-940621-35-1

      Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1928

      Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Dr. Alexander Schug

      © Vergangenheitsverlag, 2010 – www.vergangenheitsverlag.de

      Einleitendes Essay

      John Henry Mckay (1864-1933) war ein gebürtiger Schotte, der von seinem zweiten Lebensjahr an in Deutschland aufwuchs. Nach dem Studium der Literatur- und Kunstgeschichte, das er ab 1884 in Kiel, Leipzig und Berlin absolvierte, bereiste er ganz Europa und machte schon früh als Autor auf sich aufmerksam, der die Ideen des individualistischen Anarchismus und radikalen Liberalismus verarbeitete. 1887 ging er für ein Jahr nach London, um die sozialen und politischen Bewegungen dort zu studieren.

      In London wird Mackay 1888 mit den Ideen des amerikanischen Anarchisten Benjamin R. Tucker vertraut. Mackay verbrachte danach mehrere Jahre in der Schweiz, reiste viel und kehrte 1892 nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tode in Berlin-Charlottenburg lebte. Mckay lebte lange Zeit von dem Geld seiner Mutter, die ihn unterstützte und nach ihrem Tod eine ansehnliche Erbschaft hinterließ, was ihm ein unabhängiges Leben erlaubte. Aber auch mit seiner schriftstellerischen Arbeit konnte er Erfolge erzielen. Eine Zäsur wurde die Inflationszeit 1923, während der sein gesamtes Vermögen entwertet wurde und die ihn in finanzielle Schwierigkeiten brachte.

      Mackay war ein Künstler, Dichter und leidenschaftlicher Schriftsteller, der sich als Anarchist empfand, aber kaum in die üblichen Kategorien eines politischen Anarchisten passte. Mckays Anarchisten, wie er sie auch in seinen Schriften beschrieb, waren weder Chaoten noch Bombenleger. Sie waren Intellektuelle, die einen eigenen Weg aus der sozialen Misere des späten 19. Jahrhunderts finden – gewaltfrei. Freiheit ist das zentrale Motiv seines Werks. Die wird allerdings nicht durch Umstürze und Revolutionen gewonnen, auch nicht durch Demokratie und Parlamentarismus, sondern vielmehr durch die Emanzipation des Individuums, durch passiven Widerstand gegen den Staat, zivilen Ungehorsam. Er will der Allmacht des Staates entgehen, seinem Gewalt- und Finanzmonopol. Statt Agitation auf der Straße betont er den Weg der Selbstverwirklichung. Der gewaltlose Widerstand, der Streik, der Boykott, waren seiner Meinung nach wirksame Mittel gegen den Staat und das Kapital. Dazu käme die Verwirklichung der Freiheit durch eigenes Verhalten, eigene Beispiele sowie die Durchsetzung von Vorschlägen und Ideen, die der wirtschaftlichen Unabhängigkeit dienlich sind.

      Mckay war zu seiner Zeit kein belächelter Eigenbrötler. Seine Texte publizierten namhafte Verlage wie beispielsweise S. Fischer. Mackay verkehrte in den Jahren bis zur Jahrhundertwende mit vielen bekannten Dichtern, wie mit den Brüdern Heinrich und Julius Hart, mit Karl Henckel, Bruno Wille, Wilhelm Bösche. Zu seinem Bekanntenkreis gehörten Johannes Schlaf, Max Halbe, Richard Dehmel, Erich Mühsam und andere Schriftsteller. Eine enge Freundschaft verband Mackay mit Rudolf Steiner, der trotz eines späteren Zerwürfnisses, Mckay als einen Menschen erinnerte "der Welt in sich trug" und dem im sozialen Leben der Menschen alles, was Gewalt (Archie) war, verhasst war.

      Mckay verstanden nicht alle. Von ihm hieß es, er sei ein Weltbürger, der in Deutschland immer ein Ausländer blieb, von manchen radikal abgelehnt, weil er es wagte, jenen zu widersprechen, die der Menschheit einen glückseligen Zustand versprachen, aber mit ihren Ideologien nur neues Unheil bewirkten und sich von der Freiheit immer nur entfernten – so eine wissenschaftliche Arbeit von der Jahrhundertwende 1900.

      Außenseiter war Mackay auch deshalb, weil er sich für die homosexuelle Befreiungsbewegung in Deutschland stark machte. Er schrieb die homoerotischen Romane "Puppenjunge" und "Fenny Skaller", die zum Eigenschutz alle unter dem Pseudonym Sagitta (Pfeil ) erschienen – und Mckay vor einem Kreuzfeuer der Kritik bewahrte und seine schriftstellerische Existenz nicht in Frage stellte, selbst wenn die Schriften Sagittas beschlagnahmt und der Verleger Bernhard Zack, der Mackay deckte, wegen „öffentlicher Beleidigung“ zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Mackays Pseudonym blieb anonym – er selbst unterstützte den Verlag finanziell und ließ 1911 bei Zack seine "Gesammelten Werke" (8 Bände) erscheinen.

      Zu seinem 65 Geburtstag am 6. Febr. 1929 konnte Mackay noch die Glückwünsche von prominenten Schriftstellern wie Stefan Zweig, Thomas Mann, Hermann Hesse, Walter von Molo, Erich Mühsam, Roda Roda und anderen entgegen nehmen; er erhielt 1929 auch noch zum zweiten Mal den Preis der Weimarer Schillerstiftung, aber er vermochte keinen großen Verlag mehr für seine Werke zu gewinnen. Mackays Freunde begründeten deshalb 1931 die Mckay-Gesellschaft, um den durch die Inflation in Not geratenen Schriftsteller zu unterstützen, seine Bücher zu verbreiten, aber auch, um Mackay in die Lage zu versetzen, sein letztes Buch "Abrechnung" fertigzustellen und zu verlegen. Der Machtantritt des Nationalsozialismus machte der Mackay-Gesellschaft ein Ende. Mackay selbst starb in Berlin am 16. Mai 1933 nach längerer Krankheit, jedoch schlossen enge Freunde nicht aus, dass er sich selbst das Leben nahm.

      Sein Buch "Die Anarchisten" (Erstpublikation 1891) wurde in neun Sprachen übersetzt und erreichte in Deutschland bis 1928 eine Auflage von 17.000 Exemplaren, was durchaus als Bestseller bezeichnet werden kann. Manche sahen darin eines der radikalsten Bücher seiner Zeit. Der Text ist in weiten Teilen biografisch eingefärbt und ein philosophisches Dokument in Romanform. Anhand zweier Charaktere mit unterschiedlichen Grundsätzen illustriert Mckay den Wert des individualistischen Anarchismus und des Kommunismus seiner Zeit. Auban, Mackays alter ego und Hauptfigur des Romans, setzt sich dabei mit den Widrigkeiten einer Bewegung auseinander, die sich zwar anarchistisch nennt, aber mit seinen individualistischen Grundsätzen nicht konform geht. In der Auseinandersetzung mit seinem Freund Trupp, der ein glühender Anhänger der kommunistischen Arbeiterbewegung ist, beschreibt Mckay sein eigenes Konzept des individualistischen Anarchismus.

      Einleitung

      Das Werk der Kunst hat für den Künstler zu sprechen, der es schuf; die Arbeit des betrachtenden Forschers, welcher hinter ihr zurücktrat, erlaubt ihm zu sagen, was ihn trieb, sich zu äußern.

      Der Vorwurf der Arbeit, die ich vollende, erlaubt mir nicht nur, sondern verlangt von mir, sie mit einigen Worten zu begleiten.

      Zuvor das eine: wer mich nicht kennt und in den folgenden Blättern etwa sensationelle Enthüllungen in der Art jener verlogenen Spekulationen auf die Urteilslosigkeit des Publikums erwartet, aus welchen dieses seine ganze Kenntnis der anarchistischen Bewegung schöpft, der gebe sich nicht die Mühe, über diese erste Seite hinaus zu lesen.

      Auf keinem Gebiet des sozialen Lebens herrscht heute eine heillosere Verworrenheit, eine naivere Oberflächlichkeit, eine gefahrdrohendere Unkenntnis als auf dem des Anarchismus. Das Wort an und für sich wirkt bereits wie das Schwenken eines roten Tuches - in blinder Wut stürzen die meisten darauf los, ohne sich Zeit zu ruhiger Prüfung und Überlegung zu lassen. Sie werden auch dieses Werk zerfetzen, ohne es verstanden zu haben. Mich werden ihre Stöße nicht treffen. -

      London und die Ereignisse des Spätjahres 1887 haben mir als Hintergrund meines Gemäldes gedient.

      Als ich im Anfang des darauf folgenden Jahres noch einmal für einige Wochen auf den Schauplatz zurückkehrte, hauptsächlich um meine East-End-Studien zu vervollständigen, ahnte ich nicht, daß gerade die von mir zu eingehenderer Schilderung gewählte Gegend durch die Frauenmorde »Jack des Aufschlitzers« bald nachher in aller Munde sein würde.

      Das Kapitel über Chicago wurde nicht abgeschlossen, ohne daß ich auch das dicke Bilderbuch für große Kinder, mit dem inzwischen der Polizeikapitän Michael Schaack den infamen Mord seiner Regierung zu rechtfertigen suchte: »Anarchy and Anarchists« (Chicago, 1889), einer Durchsicht unterzogen hätte. Es ist nichts weiter als ein - nicht unwichtiges - Dokument stupider Brutalität sowohl, wie raffinierter Eitelkeit

      Die Namen von Lebenden sind von mir in bewußter Absicht nirgends genannt; der Näherstehende


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