Die Gentlemen-Räuber. Marianne Paschkewitz-Kloss

Die Gentlemen-Räuber - Marianne Paschkewitz-Kloss


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Sie strich über die Armlehne ihres rindsledernen Erbstücks mit den unvollzähligen Nietenbeschlägen, das sie bei nächster Gelegenheit wie einen Kinosessel vors Panoramafenster rücken würde. Kritisch betrachtete sie ihre Handoberfläche. Waren es noch Sommersprossen oder schon Altersflecken, die sie übersäten? Sei’s drum.

      Nachdem sie sich im Bad erfrischt und ein Glas Leitungswasser getrunken hatte, fühlte sie sich insoweit gestärkt, als dass sie ihren Rundruf von Neuem starten konnte. Sie wählte Nummer um Nummer und erreichte keinen der gewünschten Ressortleiter. Beim sechsten Versuch bestätigte ihr unerwartet eine hektische Männerstimme, dass sie richtig verbunden und er ihr Ansprechpartner sei. Bedauerlicherweise suchten sie derzeit keine Redakteurin, teilte er ihr emotionslos mit. Alternativ böte sich eventuell eine freie Mitarbeit an.

      „Liegen uns Arbeitsproben vor?“, wollte er wissen.

      „Das ist etwas schwierig“, wich sie aus.

      „Wieso das?“, hakte er argwöhnisch nach.

      Sie zögerte kurz. Dann erklärte sie ihm mit ruhiger, dunkler Stimme, dass sie zehn Jahre beruflich pausiert habe. Den Bruchteil einer Sekunde hatte sie noch die Formulierung etliche Jahre in Erwägung gezogen – tatsächlich waren es 20 – doch es wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen.

      „Gute Frau“, prustete er los, „ stehlen Sie mir bitte nicht die Zeit. Wie soll das funktionieren? In diesem Beruf muss man dranbleiben, anders geht das gar nicht. Ich kann Ihnen bei Ihrer Suche nur Glück wünschen.“

      Dann war die Leitung tot.

      Wiebke rang um Fassung. Eine Absage hatte sie ins Kalkül gezogen, nicht jedoch eine derartige Abfuhr. Schamvoll malte sie sich aus, wie er nun lauthals im Kreis seiner Kollegen über sie herzog: Stellt euch mal vor, da wollte sich eine Hausfrau bewerben!

      Gute Frau. Wie war das zu verstehen? Despektierlich oder typisch badisch? Sie war sich nicht sicher. Trotz allem war sein alternativer Vorschlag, frei mitzuarbeiten, durchaus zu ihr vorgedrungen. Warum hatte sie nicht eher daran gedacht, ärgerte sie sich. Vor lauter Sicherheitsbestreben hatte sie diese Form der Berufsausübung völlig ignoriert. Dabei hatte sie vor 20 Jahren nichts anderes gemacht, und zwar erfolgreich.

      Sie änderte ihre Gesprächsstrategie nun dahingehend, dass sie bei jedem Telefonat auch ihr Interesse an einer freien Redak-

       tionstätigkeit bekundete. Wie sich nach einer Stunde herausstellte, mit kläglichem Erfolg. Der Markt an freien Mitarbeitern war offensichtlich gesättigt. Jedenfalls im Dunstkreis jener Regionalzeitungen und Agenturen, für die sie einst geschrieben hatte, war nichts zu holen. Vielleicht lag es ja tatsächlich an der Insolvenz eines privaten Landessenders, auf die sie von einem Ressortleiter hingewiesen worden war.

      „Viele Redakteure von dort tummeln sich jetzt auf dem freien Markt“, hatte er sie wohlmeinend gewarnt.

      Dies bestätigte sich denn auch in einer ersten Bilanz ihrer Bemühungen. Die meisten Adressen waren durchgestrichen, wenige mit WW gekennzeichnet, was für Wahlwiederholung stand. RR hatte sie sich hinter die Kontaktdaten des zuständigen Ressortleiters bei der Oberrheinischen Zeitung notiert.

      Der Rückruf kam abends gegen 19 Uhr.

      „Wiebke Wolant!“

      „Ansgar Schroeder, Oberrheinische Tageszeitung“, meldete sich eine ältere, sonore Stimme mit unverkennbar norddeutschem Akzent. Sie erinnerte Wiebke an einen Tagesschausprecher. „Ich sollte zurückrufen.“

      „Ja, das ist sehr freundlich!“ Ihre dunkle, warme Stimme war nicht weniger markant. „Lassen Sie mich gleich mit der Tür ins Haus fallen: Ich bin an einer Mitarbeit in ihrer Redaktion interessiert.“

      „Das sind derzeit ziemlich viele. Kommt darauf an“, antwortete Schroeder gedehnt. „Worüber schreiben Sie bevorzugt?“

      „Ich war ... ich meine, ich bin Polizei- und Gerichtsreporterin.“

      „Ist selten, dass das eine Frau macht.“ Wiebke hörte feine Atemzüge. Ob er rauchte? „Kommen Sie morgen um zehn zu mir in den Verlag“, sagte er knapp und legte auf.

      Ein freundlicher Pförtner wies ihr am nächsten Morgen zur verabredeten Zeit den Weg durch das Verlagsgebäude in der Innenstadt. „Herrn Schroeder finden Sie im zweiten Obergeschoss, links auf der Stirnseite. Da drüben ist ein Fahrstuhl.“

      Sie nahm die Stufen durchs enge Treppenhaus des schmucklosen, verlebten Baus aus der Nachkriegsmoderne – ein sicheres Zeichen ihrer Nervosität, denn normalerweise vermied sie unnütze Fußwege. Auf dem letzten Treppenabsatz hielt sie inne. Unverwechselbar schallte Schroeders Stimme über das Stockwerk. „Herrgott, Ulli! Einen schlechteren Zeitpunkt konntest du dir für deine Krankmeldung nicht aussuchen. Du krank, unser Chefreporter auf Fortbildung. Mir bricht die halbe Redaktion weg. Ist dir das klar? ... Mach, dass du auf die Beine kommst. Tschüss.“ Lautstark knallte er den Hörer auf.

      Die Bürotür stand offen. Wiebke spannte ihren Körper unter dem dunkelblauen Hängerkleid, nestelte am Stoff unterhalb ihres Gesäßes. Sie tat es zur Kontrolle. Das Missgeschick mit dem verfangenen Saumzipfel in ihrem Slip nach einem Toilettenbesuch hatte sich ihr ins Gedächtnis gebrannt. Alles war in Ordnung. Aus besonderem Anlass hatte sie sich sogar dezent geschminkt, ein wenig Rouge aufgelegt.

      Als sie das Verlagsgebäude zum letzten Mal betreten hatte, war sie Anfang 30 und im landläufigen Sinne wohl auch attraktiv. Hochgewachsen, schlank, ein brünetter Lockenkopf mit dunklen, ausdrucksvollen Augen. Jetzt verdichtete sich die Farbe Silbergrau auf ihrem Kopf. Wiebke betrachtete das Alter als einen natürlichen Prozess der Reife und hatte dafür in ihrem eitlen Hamburger Umfeld häufig genug Befremden ausgelöst. Es focht sie nicht an.

      Mit leichtem Schwung klopfte sie an die offene, weiß lackierte Tür und schaute nach links in den Raum.

      „Herr Schroeder?“

      „Ja?“ Schroeder saß über einer aufgeschlagenen Zeitung.

      „Mein Name ist Wiebke Wolant.“ Sie betrat das Zimmer, das ein wuchtig schwarzer Schreibtisch dominierte. Schroeder, groß und breitschultrig, thronte in einem hochlehnigen, schwarzen Bürosessel. Hinter ihm strahlte das hellgelbe Karlsruher Schloss durchs Fenster wie die feudale Kulisse seines Herrschersitzes, vielleicht aber auch nur wie eine kitschige Fototapete.

      „Ach ja, Frau Wolant“, empfing er sie verwirrt, „nehmen Sie doch Platz.“ Er musterte sie unverhohlen, was sie in Verlegenheit brachte. „Nun, Frau Wolant, Hanseaten, wie ich einer bin, pflegen nicht um den heißen Brei zu reden.“

      „Das ist mir bekannt“, lächelte Wiebke zustimmend. Schroeder schaute verblüfft. „Ich habe in den letzten 20 Jahren in Hamburg gelebt“, bekannte sie.

      „Das ist ja großartig! Dann sind wir ja gewissermaßen Hanseaten unter sich.“ Vertraulich beugte er sich zu ihr vor. „Worüber haben Sie denn in der Vergangenheit berichtet, Frau Wolant?“

      Wiebke spürte ein leichtes Kribbeln. „Hauptsächlich über größere Kriminalfälle und spektakuläre Strafprozesse. Auch über weitreichende BGH-Entscheidungen“, sagte sie mit fester Stimme.

      Schroeder überlegte kurz. „Ich muss gestehen, dass ich das Hamburger Zeitgeschehen, zumindest das kriminalistische, nicht sonderlich verfolge.“

      Hatte er sie missverstanden? Vorsichtshalber ließ sie es so stehen: „Kein Problem.“

      „Dann darf ich unterstellen, dass auch komplexe Themen und deren permanente Nachverfolgung Ihnen keine Mühe bereiten.“

      Schroeder fuhr sich nervös durchs schlohweiß-gewellte Haar.

      Sie nickte. Ihr Blick hatte sich auf seinem Schreibtisch verfangen, genauer: auf einem Glas Kakao und einem üppig belegten Heringsbrötchen, das noch jungfräulich auf einem Frühstücksteller lag. Der Geruch von Zwiebeln war ihr längst in die Nase gestiegen.

      „Gut, dann passen Sie mal auf: Wir haben hier im Südwesten seit 15 Jahren eine Serie von Banküberfällen, die wohl alle auf das Konto ...“

      „


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