Gleich knallt's. Eva Encke
und sie runzelte die Stirn. Olga, ihre aus Russland stammende Haushaltshilfe, hatte doch erst gestern geputzt, wie konnte sie denn so etwas übersehen? Charlotte schüttelte den Kopf, eilte in den Keller und bewaffnete sich mit Leiter, Putzeimer, Spezial-Glasreiniger und Mikrofasertuch. Dieses Missgeschick musste sie beseitigen, bevor ihre Gäste heute Abend etwas davon bemerkten. Wenn die Gartenbeleuchtung eingeschaltet war, konnte man sehr gut erkennen, ob die Glasscheiben des Wintergartens wirklich glänzend sauber waren oder ob irgendwo Spuren vom Regen oder gar Staub und Dreck waren.
Nein, das musste sie unbedingt nachher Reinhard erzählen. Wenn sich so etwas wiederholen sollte, war es sicherlich besser, sich von Olga zu trennen. Unzuverlässigkeit konnten sie beide nicht leiden, da waren sie einer Meinung.
„Mein Gott, ich muss noch das Filet anbraten, das Gemüse putzen, den Salat waschen … Die blöde Putzerei bringt meinen Zeitplan völlig durcheinander.“
Charlotte spürte, wie eine nervöse Unruhe von ihr Besitz nahm. Sie hasste es, wenn etwas nicht nach Plan lief. Sie war perfekt, aber unvorhergesehene Dinge brachten sie aus dem Gleichgewicht. Eine heiße Welle setzte ihr Gesicht in Brand, als sie jetzt daran dachte, dass sie auch überprüfen wollte, ob der schwarze Rock noch passte, den sie heute Abend anziehen wollte. Wenn nicht, musste sie etwas anderes finden. Vielleicht die anthrazitfarbene Hose oder der graue Seidenrock …?
Sie hatte schon wieder etwas zugenommen, wenn nun alles zu eng war, wenn …
„Verdammt“, fluchte Charlotte, als sie mit dem Fuß gegen den Eimer stieß und der gefährlich ins Wanken geriet. Mit einem schnellen Griff konnte sie zwar verhindern, dass der Eimer umfiel, aber das Wasser war bereits übergeschwappt und hatte glänzende runde Flecken auf den Fliesen hinterlassen.
„Na prima“, rief Charlotte mit hysterischer Stimme, „jetzt kann ich auch noch den Boden wischen.“
Mit fahrigen Händen erledigte sie das Aufwischen und ging dann seufzend in die Küche. Sie enthäutete das Filet, würzte es mit Rosmarin und Salbei und briet es in der schweren gusseisernen Pfanne an.
Zum Glück klappte bei der Zubereitung des Essens alles wie am Schnürchen und Charlotte vergaß allmählich den Ärger über die unzuverlässige Putzfrau. Mit einem Schmunzeln stellte sie sich vor, wie Bernd am Abend ihren Filettopf loben würde. Er aß gern, vor allem so raffinierte Gerichte, wie Lotte sie zubereitete. Die Hausmannskost, die Gisela ihm vorsetzte, hatte ihn zwar im Laufe der Jahre ziemlich rund gemacht, aber wirklich begeistert war er davon nicht. Ihr Filet Bourguignon würde ihm sicherlich wieder ausgezeichnet munden.
Lotte hörte Geräusche im Haus und rief: „Reinhard, bist du es? Gut, dass du so pünktlich kommst. Du musst den Wein noch dekantieren, er steht in der Küche. Und bitte, zieh die Schuhe aus. Ich musste den Wintergarten noch einmal wischen, stell dir vor …“
Weiter kam Lotte nicht, denn Reinhard Reinermann hatte die Küche betreten und sah seine Frau mit leidender Miene an.
„Was ist los, Reinhard, bist du krank?“ Lottes Stimme klang alarmiert, sie wollte das Treffen mit Bernd und seiner Frau auf keinen Fall absagen, sie hatte doch schon alles vorbereitet …
„Ich weiß nicht, es geht mir heute gar nicht gut. Mich plagt so eine seltsame Übelkeit, heute Mittag nach dem Essen musste ich mich übergeben. Danach habe ich sogar die Betriebsprüfung unterbrochen, deshalb bin ich auch so früh hier.“
„Mein armer Liebling, komm trink einen Schnaps, bestimmt geht es dir dann besser.“
Lotte wusste, dass Alkohol bei ihrem Mann Wunder wirkte. Oft lösten sich Beschwerden unterschiedlichster Art nach dem Genuss eines Grappas oder eines Obstlers in nichts auf.
So schien es auch heute zu sein. Nach dem doppelten Williamsbrand bekam Reinhard wieder etwas Farbe im Gesicht und legte auch die Leidensmiene, die jeder Christusstatue am Kreuz Konkurrenz gemacht hätte, ab.
Lotte atmete auf. Ihr Rock passte, Reinhard erholte sich, der Abend schien gerettet.
Punkt 19.30 Uhr klingelte es an der Tür. Bernd und Gisela wussten, dass die Gastgeberin nichts so sehr hasste wie Unpünktlichkeit.
Lotte führte die beiden in den Wintergarten.
„Wenn ihr brav seid, bekommt ihr als Abschiedsgeschenk eine Calla-Blüte von mir“, versprach Lotte ihren Gästen, um gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit auf das Prachtstück zu lenken.
„Wie nett“, erwiderte Gisela, nahm aber sogleich an dem stilvoll gedeckten Tisch Platz. Bernd hingegen ging zu der üppigen Pflanze und besah sich die unzähligen Blüten aus der Nähe. „Wunderschön“, schwärmte er aufstöhnend, „wie machst du das bloß, Lotte? Hast du ein Geheimnis?“
„Aber ja, Bernd“, flötete Lotte und sah Bernd dabei tief in die Augen.
Etwas später verlagerte sich die allgemeine Bewunderung von der Blume auf Lottes Kochkünste. Wie erwartet, stimmte Bernd eine Lobeshymne nach der anderen an.
Gisela saß mit unbeweglicher Miene daneben, nickte aber immerhin ab und zu anerkennend zu den Kommentaren ihres Mannes.
Als Bernd schließlich sagte: „Lotte, wenn du nicht mit meinem besten Freund verheiratet wärst und ich nicht seit Jahren in festen Händen wäre, dann würde ich dir allein wegen deiner Kochkünste einen Heiratsantrag machen“, schrie Reinhard laut auf, presste die Hände auf seinen Bauch und rutschte zusammengekrümmt vom Stuhl auf den Boden.
Lotte dachte zuerst: Gut, dass ich eben noch mal gewischt habe, dann schrie sie ebenfalls auf und rief: „Reinhard, um Gottes willen, was ist denn los?“
Reinhard Reinermann war kalkweiß im Gesicht, Schweiß rann in Bächen über sein Gesicht. Er stöhnte. „Mein Bauch, ich habe solche Schmerzen im Bauch.“
Gisela, die erst kürzlich einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht hatte, weil man ihr kurzzeitig einmal den Führerschein abgenommen hatte, diagnostizierte sofort einen Blinddarmdurchbruch.
„Der Rücken tut mir auch weh und die rechte Schulter.“
Reinhards Stimme klang gepresst, er lag immer noch in einer Art Embryonenhaltung auf dem Boden.
„Ich rufe den Notarzt“, rief Lotte, die nun von einer panischen Angst um Reinhard ergriffen wurde.
Der Krankenwagen war in weniger als fünf Minuten da, zwei Sanitäter kamen mit einer Trage in den Wintergarten. Der Notarzt schien Lotte in einem Alter zu sein, in dem man gerade mal das Abitur machte. Sie beantwortete aber präzise alle Fragen, die der Arzt an ihren Mann richtete. Bei der anschließenden Untersuchung schrie Reinhard mehrmals auf, und Charlotte zuckte jedes Mal zusammen.
„Wir müssen ihren Mann mitnehmen“, kommentierte der junge Arzt, „ich denke, dass es eine Gallenkolik ist.“
„Hab ich doch gleich gesagt“, flüsterte Gisela ihrem Bernd zu, der es vorzog, keine Antwort zu geben.
„Ich fahre mit“, entschied Lotte jetzt. Gisela und Bernd werteten das als Beendigung des geselligen Abends und erhoben sich sofort von ihren Plätzen.
Reinhard Reinermann wurde auf die Trage gehoben und in den Krankenwagen gebracht. Lotte lief hinterher und versuchte, ihren Mann zu beruhigen. „Es wird alles gut, Reinhard. Bestimmt brauchst du nur ein oder zwei Nächte dort zu bleiben. Nur zur Kontrolle. Bestimmt …“
Lotte tätschelte Reinhard die rechte Schulter, doch der schrie gequält auf.
„Sie sollten ihn besser nicht berühren, ihm scheint alles wehzutun“, klärte der Sanitäter Lotte auf.
„Aber eine Gallenkolik hat man doch nicht in der Schulter“, antwortete Lotte beleidigt, stellte aber die Streicheleinheiten für ihren Mann sofort ein.
„Sie können vorn neben dem Fahrer einsteigen.“
Der Notarzt deutete auf den Beifahrersitz. Bernd und Gisela waren ebenfalls mit zum Krankenwagen gelaufen. Als Lotte sie sah, beugte sie sich herunter und flüsterte ihnen zu:
„Die Calla-Blüten gebe ich